Kasimpasa

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Subutai

Es war stickig und heiß im vollgepferchten Bus. Ich hatte das Glück, einen Sitzplatz am Fenster erwischt zu haben. Meine Blicke schweiften über das Goldene Horn, die Strahlen der Sonne reflektierten sich auf dem grün gefärbtem Wasser. Das wunderbare Panorama entfachte ein spontanes Glücksgefühl in mir. Die Menschen im Bus hatten kein Auge für die Schönheiten Ihrer Stadt. Ihre Gedanken kreisten mehr um existentielle Dinge, wie Sie ihre Mieten bezahlen, oder wo sie günstige Lebensmittel kaufen konnten. Als Student an der Istanbuler Universität musste ich mich mit solchen profanen Dingen des Alltags nicht befassen. Ich wohnte bei meinen Eltern, die meine Studienbemühungen großzügig unterstützten, entgegen des Rates meiner konservativen Eltern hatte ich mich für die Studienfächer Soziologie und Politikwissenschaften entschieden. Ich ließ aber meine Eltern im Glauben, dass ich Jura studierte. Ich genoss die lebhaften Diskussionen der Kommilitonen mit den Proffesorren, die zahlreichen Demonstrationen auf den öffentlichen Plätzen von Istanbul. Der Zeitgeist atmete eindeutig links und ich wollte mitten im Geschehen dabei sein.

Der Busfahrer brabbelte etwas Unverständliches, er kündigte die nächste Haltestelle an, nach einigen Minuten hielt der rote Bus. Ich war froh, aus der Enge des Busses zu entkommen. Bis zu meiner Arbeitsstätte, einem kleinem Bakkal, war es noch ein sehr langer Weg. Ehrfürchtig betrachte ich die alten historischen Gebäude, die links und rechts die Straße säumten. Von Straße konnte aber nicht die Rede sein, es war ein mit zahlreichen Löchern, gespickter, staubiger Pfad. Vor den Häusern spielten Zigeunerkinder, sie unterbrachen abrupt ihre Spiele als sie mich sahen und betrachteten mich neugierig. Ich lächelte sie an und setzte meinen beschwerlichen Weg fort und quälte mich eine steile Anhöhe hoch. In den Ecken, zwischen den Häusern, stapelte sich der Unrat; Katzen turnten auf dem Dreck herum, den die Bewohner achtlos aus ihren Fenstern herausgeschmissen hatten. Die Stadtverwaltung traute sich selten in dieses verruchte Viertel hinein, dies war zu früheren Zeiten ganz anders gewesen als in Kasimpasa noch Levantiner und Griechen wohnten. Nach den Pogromen im September 1955 in Istanbul, hatte ein Großteil der Ausländer den Bezirk Beyoglu verlassen, den freiwerdenden Wohnraum nutzen jetzt arme Tagelöhner aus Anatolien. Sie lebten in seltsamer Eintracht zwischen Zuhältern, Strichern, Transvestiten und Zigeunern. Ich hatte nun den Gipfel erreicht und war wie jeden Tag, ziemlich außer Atem und bog jetzt in die Seitenstraße, wo sich das Geschäft befand.

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