„...ja, so ging die Geschichte von Zapunzel.“
...Als das Schlachtross mit seiner Erzählung am Ende war, gewahrte es den flehentlichen Blick des Kalifen. Der hatte sich schon die ganze Zeit über nervös die Finger geknetet. Denn der „vierbeinige Gott“ erzählte und erzählte, während zu Füßen des Magierturms bereits die halbe Stadt in Flammen stand.
„Ach ja, das Drachenproblem...“
„Eberwurz,... bei Fuß!“ ...befahl es darauf seinem treuen Ritter. Und der gehorchte mit Eifer.
„Bringe dem Herrchen die bösen Drachen,... fang das lästige Flattergetier!“...
Auf diese Weise machte das Schlachtross seine lebende Waffe bereit, ...und sorgte gleichermaßen für dessen Traumabewältigung.
Mit gezückter Klinge sprang Götz von Eberwurz auch sogleich aus dem Fenster. Er fuhr wie ein Berserker unter die entsetzten Bestien. Denn die hatten noch nie zuvor einen so großen Ritter gesehen. Dazu noch einen, der es wagte zu fliegen ...und während des Angriffs wie ein tollwütiger Hund die Zähne zu fletschen.
Und Götz von Eberwurz flog zweifelsfrei. Jedenfalls mehr, oder weniger. Denn sein verbeulter Zackenhelm hatte sich bei dem verwegenen Fenstersprung im Gardinenvorhang verfangen. Dieses feine Gewebe trug den schweren Kriegsmann, wider alles Erwarten, ...und gegen alle Gesetze der Schwerkraft, sicher zur Erde.
Den Drachen schlotterten vor Furcht die Schuppen. Denn ihre Scheibenwelt existierte nur in der Singelversion. Das hatte zur Folge, dass unser Ritter, der ja auf einer Maxischeibe aufgewachsen war, den geflügelten Echsen als gewaltiger Riese gegenübertrat.
Und nach seinem letzten „Drachentrauma“, tat unserem Götz das richtig gut. Doch mischte sich bald Mitleid in sein mächtiges Kriegsgebrüll. Siebzig Drachen hatte er schließlich mit seinem wirbelnden Vorhang gefangen. Zunächst dachte er über ihre Zubereitung nach. ‚Sollte er sie vielleicht im eigenen Feuer schmoren?... Oder doch lieber in süßsaurer Sauce einlegen?‘...
...Aber das bitterliche Weinen der Feuerechsen erweichte schließlich sein Herz. So schenkte er sie dem Zoo des Kalifen, ...und behielt nur den schönsten für sich. Er wollte ihn zähmen und ihm allerlei Kunststücke beibringen, die sich auf dem Jahrmarkt zu Gold machen ließen. Denn schließlich hatte er eine beschädigte Murmel. Das legte sich zwar jetzt langsam wieder, aber er taugte für den Ritterberuf nicht mehr die Bohne.
Der kleine, clevere Drache übernahm jedoch bald die Vormundschaft über seinen Herren, ...und brachte ihn ganz groß raus...
...So endete der kleine Abstecher auf die „Singelscheibenwelt“. Das Schlachtross setzte sich als Kalifenberater zur Ruhe, ...und stieg bald sehr erfolgreich in den Lampenölhandel ein. Nicht lange, da hatte es eine ganze Scheune voller Hafer, ...und den schärfsten Harem dieser Weltenscheibe beisammen.
Und wenn sie nicht gestorben sind...
*
...Der Magier Gidion Ed‑Shabby aber, widmete nun all seine wiedergewonnene Lebenszeit der Forschung. Noch immer fragte er sich, wie der Scharfrichter, trotz der viel zu zähen „Zeitreisepaste“, einfach im Buch der Zeit verschwinden konnte.
In einer stürmischen Novembernacht wagte er dann schließlich diesen verhängnisvollen Selbstversuch. Das „Göttliche Schlachtross“ hatte ihm nämlich mit seinen einfachen Worten erklärt, dass es nichts, als eine riesige Blähung war, die sie damals von einer Weltenscheibe in die Nächste katapultiert hatte.
So hatte Ed‑Shabby sich also diese feurige Bohnensuppe gekocht. Eine magische Bohnensuppe, wie sich versteht....
Es schlug gerade Mitternacht, als der Zauberer auf die Zinnen seines Turms stieg, und mit einen fauchenden Feuerschweif unwiederbringlich gen Himmel fuhr. Er hatte sich geradezu in eine Rakete verwandelt. Denn er hatte reichlich Lampenöl eingerührt, welches ja auch schon als Drachentreibstoff bekannt und gefürchtet war. So trug es ihn, wie sollte es auch anders sein, in unseren altvertrauten Märchenwald.
Und er kam gerade zur rechten Stunde dort an. Auch wenn er auf dieser unbekannten Weltenscheibe nur ein Zwerg war (denn der Märchenwald war schließlich auf einer LP gewachsen), wurde hier dringend ein guter Zauberer gebraucht. Denn einen Bösen, den gab es ja schließlich schon. Und in seiner unendlichen Machtgier, hatte der auch schon wieder einiges Unheil angerichtet.
*
Und all diese Dinge geschahen unbemerkt von unserem Rotkerbchen, das noch immer ungestört den unruhigen Winterschlaf unseres neuen Wolfes versüßte...
...Der Winter im Märchenwald war kalt und lang. Doch unsere schöne Heldin hatte inzwischen ja wieder einen Wolf gefunden, der sie warm über den Winter brachte. Das ständig kitzlige Nimmersatt nahm ihn so geschickt heran, dass er bald alle Pein vergessen hatte.
Nach und nach nahm er seinen Beruf wieder auf, und war bald wieder der Schrecken des Waldes. Genau, wie es sich eben für einen bösen Wolf gehörte. Mit neuem Selbstbewusstsein bestückt, streifte er durch den Schnee, ...und brachte dem Rotkerbchen die erlesensten Leckerbissen heim, um sich für die wirkungsvolle Heilung zu bedanken...
...„Ach, gern geschehen“, ...meinte Rotkerbchen da nur beiläufig.
„Eine Hand wäscht schließlich die Andere. Aber jetzt muss ich dich verlassen. Denn der Frühling ist gekommen. So schön es auch mit dir war. Aber ich muss mir nun einen Prinzen suchen. Denn Jugend und Schönheit, sind leider schnell dahin. Und ein hübsches Mädchen muss bei Zeiten seine Schäfchen ins Trockne bringen. Denn viel zu schnell zeigen sich die ersten Fältchen, ...und die besten Prinzen sind dann weg...“
„Ja, das kann ich gut verstehen. Und mit Schäfchen kenne ich mich bestens aus“, ...sinnierte der „Neue Böse Wolf“.
„Auch für mich ist es jetzt an der Zeit, mir eine heiße Wölfin zu suchen, und in Familie zu machen. Ziehe also in Frieden deines Weges.“
„Die besten Prinzen gibt es übrigens in Richtung Westen“, ...gab er ihr noch mit einem letzten Pfotenwink mit auf den Weg.
Da hatte Rotkerbchen sich auch schon die Beine rasiert, und ihr kurzes, scharfes Jagdröckchen übergestreift.
„Weidmanns Heil“, ...wünschte ihr der Wolf zum Abschied, ...und war auch schon im Wald verschwunden. Denn er hatte gerade die Witterung von ein paar verdammt scharfen Artgenossinen aufgenommen. Hier und da ein wenig Exotik, war ja ganz nett. Aber was war das schon gegen eine so richtig ranzige Wölfin? Wir wollen hier lieber nicht weiter ins Detail gehen...
*
...Rotkerbchen war noch nicht weit gewandert, als sie mitten im Wald von einem ausnehmend hübschen Jüngling angesprochen wurde.
...„Schönes Fräulein, meine Sanduhr ist stehengeblieben. Könntet ihr mir vielleicht sagen, was die Stunde geschlagen hat?“ ...säuselte er zuckersüß.
Rotkerbchen wurde schon feucht im Schritt. Denn schließlich war es Frühling. Doch da gedachte sie der warnenden Worte ihrer Hexenfreundin Barbarella Birkenstock. Die kannte sich aus, was die tückischen Gefahren des Märchenwaldes anging.
„Laß dich nicht von fremden Männern ansprechen! Und schon gar nicht, wenn sie dich vom rechten Pfad herunter locken wollen!“ ...echote die Warnung durch Rotkerbchens Kopf, als würde die süße Lesbe direkt hinter ihr stehen.
Er war einfach zu schön, um wahr zu sein. Auch stand er zwei Schritte neben dem Weg; ...was ihn schon mächtig verdächtig machte.
Dazu: ‚Wer trägt schon eine Sanduhr mit sich herum? Und wie sollte die stehen bleiben?‘ Rotkerbchen war zwar hübsch, aber auch ziemlich clever...
Beherzt griff das Mädchen in seine Rocktasche und öffnete das Döschen mit dem „Wahrheits-Niespulver“, welches ihr Barbarella zur Sicherheit geschenkt hatte. Eine winzige Priese nur, ließ sie in ihre Handfläche rieseln.
Das Mittel verfehlte seine Wirkung nicht...
Der Jüngling heulte laut auf, als er in die Falle getappt war. Er war sich seines Sieges schon ganz sicher, als sie plötzlich über die elegant gereichte Kusshand blies. Die magische Priese entfaltete sich als beißende Wolke. Unter panischem Jaulen und Niesen, fiel die kunstreich gespachtelte Fassade aus dem falschen Gesicht des heimtückischen Zauberers.
„Wer bist du wirklich? Was hast du mit mir vor?“ ...erprobte Rotkerbchen in herrischem Ton die Wirkung des Wundermittels.
Der verdutzte Unhold konnte gar nicht anders. In heftigen Krämpfen wand er sich. Aber die Wahrheit sprudelte trotzdem aus ihm heraus, wie aus einem munteren Wasserspeier.
„Ich bin Mogul Finsterbart, der grausame, heimtückische Zauberer. Ich wollte dich in mein Labor locken, um ganz fürchterliche Experimente mit dir anzustellen. Denn ich bin böse, hinterhältig und gemein. ...Ich suche das Elixier der ewigen Lust ...und jage den Gnom Eichling, der mir die Rezeptur vorenthält. ...Ich habe meinen Drachen ausgesandt, ihn zu fangen. Doch das dumme Vieh hat versagt“...
...“Hier im Märchenwald ist eine schreckliche Lustseuche ausgebrochen. Ich bin ein weltberühmter Seuchenarzt und muss dich dringend eingehend untersuchen“, ...begann der Zauberer geil zu lechzen, als seine Augen über Rotkerbchens verführerische Konturen strichen. „Also folge mir, es wird dir fast nichts passieren... Ehrlich“...
Da wusste Rotkerbchen, dass die Wirkung des Pulvers langsam nachließ. Aber sie hatte sich nicht täuschen lassen, so dass sie fest auf dem Weg geblieben war. Da konnte ihr der Magier nichts anhaben. Denn sie hatte das „Süppchen Wegtreu“ gegessen, welches sie auf festen Pfaden vor großem Schaden (und sabbernden, alten, geilen Böcken) bewahrte. Lachend zog sie daher ihr Jagdröckchen hoch ...und zeigte dem Bösling ihre herrliche Kehrseite.
„Ich habe dich durchschaut, böser Finsterbart. Aber lass dir das eine Lehre sein. Und wenn dieser Anblick nicht genügt, deine Lanze aufzurichten, dann hilft dir auch kein Wunderelixier mehr“, ...spottete sie vergnügt, ließ ihr scharfes Fleisch verführerisch zucken ...und streckte ihm eine lüstern schleckende Zunge heraus. Denn auf dem festen Pfad versagte all seine finstere Zaubermacht.
Wütend löste sich der Zauberer unter zahlreichen bösen Drohungen in beißenden Rauch auf.
*
Frohen Mutes zog Rotkerbchen darauf weiter ihres Weges. Denn hübsche Prinzen fand man nicht einfach so am Wegesrand.
,Wie schön es jetzt wäre, den kleinen Geilling bei sich zu haben‘, ...dachte sie des Abends, als sie einsam am Feuer saß, während sie das Schlafzeug ausrollte. Der kannte immer so schöne Gutenacht-Geschichten.
Ja, der kleine Freund fehlte ihr schon sehr. Besonders dann, wenn sie von schönen Prinzen träumte. Ach wenn sie nur nicht ständig so feucht und kribbelig wäre…
‚Wie mochte es ihm wohl inzwischen ergangen sein? Hatte er den Absprung wirklich überlebt?‘
,Aber so ein praller Geilling ist ja ziemlich robust‘, ...beruhigte sie sich selbst, während sie schon damit begann, sich eigenhändig, mit geschickten Fingern eine Gutenachtgeschichte zu erzählen. Ihr Mittelfinger war bereits feucht, als sie zum Gedenken ein paar Tröpfchen auf den Waldboden spritzte. Natürlich nur zur Sicherheit, falls der Gnom mit gebrochener Eichel, hungrig und unbestattet, irgendwo einsam im Totenreich umherirrte.
Rotkerbchen liebte diese heidnischen Opferrituale. Denn sie wusste: Großmutter würde der Schlag treffen, hätte sie nicht bereits der böse Wolf gefressen.
Wieder fand der „Böse Finger“ den heißen, schwülen Eingang zur Unterwelt. Bald hechelte sich das kleine, kitzlige Luder vor Vergnügen in den Schlaf. Mit einem gewöhnlichen Prinzen gab sie sich jetzt gar nicht mehr zufrieden.
Ein neues Märchen formte sich in ihrem Kopf, ...und nahm im Traum schon lebensechte Gestalt an.
Hätte Rotkerbchen je das Lesen und Schreiben erlernt, sie hätte es am nächsten Morgen sofort aufgeschrieben. Denn da zitterten ihr noch vor Wonne die Knie.
Und damit es nicht ganz verloren geht, soll es hier dennoch rekonstruiert werden.
Fortsetzung folgt...
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