Kevin und die Künstlerin

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Kevin und die Künstlerin

Kevin und die Künstlerin

Sven Solge

Als Kevin oben ankam, reichte sie ihm die Hand und ließ ihn zu sich rauf klettern. Neugierig betrachtete er das Bild. „Solche großen Möwen habe ich ja noch nie gesehen!“, sagte er und deutete auf die beiden ersten Vögel, die Regine schon fertig hatte.
„Du hast aber vielleicht Möwen noch nie von so nah gesehen. Wenn du unten bei deinem Vater stehst, sind die Möwen gar nicht mehr so groß!“
Regine erklärte ihm noch das Bild und Kevin schien alles in sich aufzusaugen. Doch dann sagte sie: „Knies du dich bitte mal hin, ich möchte eben meine Pinsel sauber machen. Ich möchte nicht, dass du hier runterfällst.“
Kevin schaute genau zu was sie machte und als sie noch ein nasses Tuch über die Farben auf ihrer Palette legte, sagte er: „Damit die Farben nicht trocken werden, bis du vom Eisessen zurück bist!“
„Genau mein Schatz, damit ich die Möwen nachher fertig malen kann!“ Regine legte ihm einen Arm um die Schultern und zog ihn leicht an sich.
Das alles wurde aufmerksam von Bertram beobachtet. Dieses innige Gefühl, dass jetzt durch seinen Körper strömte, hatte er so vermisst.
Wieder blickte er in diese warmen Augen, als Regine Kevin half, auf die Leiter zu klettern.
Regine zog sich ihren Kittel aus und kletterte dann ebenfalls nach unten und wurde dort von Bertram empfangen, der ihr bei der letzten Sprosse, die etwas höher zum Boden war, wie selbstverständlich die Hände auf die Taille legte und sie abstützte. Seine Hände brannten wie Feuer an den Stellen, wo er sie berührte. Das spürte sie noch, als sie schon das Kurhaus verlassen hatten!
Das Eiscafé war ein Stück vom Kurhaus entfernt und Kevin hatte Regines Hand genommen, während Bertram auf ihrer anderen Seite ging. Wie zufällig oder war es Absicht, stießen ihre Hände beim Gehen ab und zu zusammen, sodass jedes Mal ein Schauer durch Regines Körper schoss.
„Musst du heute nicht arbeiten?“, fragte sie ihn und erst als sie das gesagt hatte wurde ihr bewusst, dass sie Bertram geduzt hatte.
Doch er schien es nicht bemerkt zu haben: „Montags hat das Brodersen immer zu! Dann habe ich meinen freien Tag und der gehört dann ganz Kevin! Wann gehst du wieder zurück nach Hannover?“ Und wie selbstverständlich war er auch zum „Du“ übergegangen!
„Ich denke in gut einer Woche werde ich fertig sein, dann soll es noch eine Enthüllungsparty geben, wo der Bürgermeister und andere Honoratioren eine Rede halten wollen. Bis dahin muss ich auf jeden Fall noch bleiben, das ist für mich eine gute und kostenlose Werbung, da ich noch ein paar Bilder von mir zum Verkauf anbieten darf.“
Sie erreichten das Eiscafé und nachdem sie ihre Auswahl getroffen hatten, setzten sie sich an einen Tisch im Vorgarten. Das Eis wurde ihnen von einer hübschen Kellnerin an den Tisch gebracht, die Regine misstrauisch beäugte. Deutlich spürte sie die Ablehnung der jungen Frau.
„Hallo Bertram!“, sagte sie zu Kevins Vater. „Besuch aus der Stadt?“, fragte sie noch bevor sie Kevin demonstrativ über den Kopf strich, was dieser mit einer herrischen Kopfbewegung abkürzte.
„Hallo Leni, nein, das ist Regine, die das große Bild im Kurhaus malt. Sie war so nett, dass Kevin das Bild mal von dichten betrachten konnte!“
Bertram schien recht sachlich und kühl zu reagieren, er konnte aber nicht verhindern, dass Regine seine innere Zerrissenheit spürte.
Nachdenklich begann sie ihr Eis zu löffeln, was besonders Kevin zu schmecken schien, denn er hantierte mit dem kleinen Plastiklöffel so geschickt Eis und Sahne zum Mund, dass Regine hin und wieder vergas, selbst zu essen.
„Das Eis schmeckt ja hervorragen!“, sagte sie an Bertram gewandt.
„Ja, es ist der beste Eisladen im Ort. Lenis Vater ist extra ein halbes Jahr nach Italien gegangen, um die Eisherstellung zu erlernen, wie die Italiener es machen!“
Er wandte sich wieder seinem riesigen Eisbecher zu und löffelte genussvoll sein Eis.
„Wart ihr mal befreundet?“ Regine schlug sich die Hand vor den Mund. „Entschuldige das geht mich nichts an!“
Bertram lächelte feinsinnig, Frauen haben ein Gespür für Konkurrentinnen. „Ja waren wir, aber das ist schon zwei Jahre her. Als meine Frau von uns gegangen ist, habe ich mich in meiner Arbeit vergraben. In so einem kleinen Ort wie hier, gibt es viele alleinstehende Frauen und von allen Seiten hagelt es Avancen. Doch ich war noch nicht so weit, habe Kevins Mutter zu sehr geliebt. Außerdem kam Kevin nicht mit Leni zurecht und das ist mir für eine neue Beziehung sehr wichtig.“
Sie schwiegen eine ganze Weile und aßen ihr Eis. Bis Bertram plötzlich rausplatzte: „Und, bist du vergeben?“ Dieses Mal war er es, der sich entschuldigte, ob dieser persönlichen Frage!
„Nein, ich bin nicht vergeben. Ich habe für eine Partnerschaft bisher einfach zu wenig Zeit gehabt. Nach meinem Kunststudium musste ich mir erst Mal eine Existenz aufbauen. Mittlerweile kann ich aber ganz gut von meiner Arbeit leben und bin offen für alles, was da so kommt!“, sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln und entfernte mit dem Finger etwas Sahne von Kevins Kinn und leckte ihren Finger ab.
Diese einfache, aber bedeutsame Bewegung löste bei Bertram Herzklopfen aus. Zu sehr erinnerte ihn das an Kevins Mutter. Und auch Kevin schien diese Berührung zu genießen, denn er strahlte förmlich von innen, aß aber weiter sein Eis. Zu sehr erinnerte ihn das an Kevins Mutter.
Als sie später vor dem Brodersen ankamen und sich Regine verabschieden wollte, war es wieder Kevin, der das Schicksal spielte. „Bitte, kommst du noch mit nach oben? Ich möchte dir mein Zimmer zeigen. Ich habe auch was für dich gemalt!“, fügte er noch aufgeregt hinzu.
„Ja, das solltest du tun! Er hat dir ein Bild gemalt und es im Regen draußen rumgetragen, ist jetzt ein verwaschenes Kunstwerk!“ Bertram zog seinen Jungen an sich und sagte zu ihm: „Es ist wirklich ein schönes Bild, was du für Regine gemalt hast!“
Kevin lief vorweg, zum Eingang an der Seite des Hauses und als Bertram die Tür aufgeschlossen hatte, tobte sein Sohn die Treppe hoch, sodass sein Vater ihn berufen musste, weil die Treppe doch recht steil war. Die Wohnungstür war unverschlossen, da es hier keinen weiteren Zugang gab.
Regine schaute sich vorsichtig um in der Wohnung, wollte auf keinen Fall neugierig erscheinen.
„Magst du noch einen Kaffee, nachdem Kevin dir sein Zimmer und das Bild gezeigt hat?“
Bertram schaute sie mit so viel Wärme an, dass sie nur nicken konnte, wobei Kevin schon an ihrer Hand zerrte. Regine hatte nicht das Gefühl in einer fremden Wohnung zu sein, sondern sie fühlte sich wohl. Alles roch frisch und war aufgeräumt. Nichts lag herum und dafür, dass Bertram lange Arbeitstage hatte, war es ein ordentlicher Haushalt.
„Komm!“, bettelte Kevin und zog sie bis zum Ende des Flurs.
„Ich mache derweil den Kaffee!“, sagte Bertram und verschwand in der Küche.
Kevins Kinderzimmer war riesig, bestimmt das ehemalige Schlafzimmer.
„Hast du aber ein großes Kinderzimmer, so eins hätte ich als Kind auch gerne gehabt!“, sagte Regine und schaute sich um.
Kevin beobachtete sie genau und seine Augen glänzten als sie das sagte.
Er nahm ein Blatt Papier von seinem Arbeitsplatz und hielt es ihr mit einer verlegenen Geste hin. „Das habe ich für dich gemalt, es ist leider gestern etwas nass geworden vom Regen. Ich male dir aber ein neues!“
Regine schaute sich die typische Kinderzeichnung an, trotzdem erkannte sie ein gewisses Talent, denn Kevin hatte ebenfalls die Promenade gezeichnet, ähnlich wie sie selbst. Zusätzlich hatte er noch die Bank gezeichnet, auf der sie gesessen hatte und einen Jungen, der einer Frau zuschaute, die etwas schrieb oder zeichnete.
Regine kniete sich hin und Kevin schaute sie erwartungsvoll an: „Das bin ich!“ Regine zeigte auf die Frau. „Und das bist du!“, stimmts? „Das hast du aber wirklich sehr schön gemalt, darf ich das Behalten?“
Kevin stürmte plötzlich auf sie zu und umarmte sie, beinahe wäre sie nachhinten umgekippt, so heftig war der Aufprall. Er kuschelte sich an ihren Hals und als er ihr leise ins Ohr flüsterte, „Ich hab dich lieb!“ Schossen Regine Tränen in die Augen. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Sie legte ihre Arme um den schmächtigen Jungen und sagte: „Kevin, ich habe dich auch lieb! Du bist etwas ganz besonderes!“
Bertram hatte diese ganze Szene von der Tür aus beobachtet und auch seine Augen glänzten, als er sich jetzt auf Kevins Bett setzte. Sein Sohn hatte das vorweg genommen, was er schon die ganze Zeit gefühlt hatte. Nur Kinder waren in der Lage unverfälscht ihren Gefühlen nachzugeben!
„Und ich?“, fragte er, „und wer hat mich lieb?“
Abrupt ließ Regine Kevin los und erhob sich. Währen Kevin zu seinem Vater eilte und auch zu ihm sagte: „Dich hab ich auch lieb!“
Etwas betreten betrachte Regine das Bild von Vater und Sohn und wischte sich noch verstohlen eine einsame Träne von der Wange.
„Und dich mag ich auch!“, sagte sie nach einigem Zögern zu Bertram, weil Kevin sie so erwartungsvoll anschaute.
Jetzt erhob auch Bertram sich, kam auf Regine zu und küsste sie auf beide Wangen: „Und auch ich mag dich, … sehr sogar!“, kam es gedehnt über seine Lippen.
Bertrams rechte Hand ruhte auf ihrer Taille und die Wärme seiner Hand fühlte sie wieder durch den dünnen Stoff ihres T-Shirts, wie schon beim Verlassen des Kurhauses. Instinktiv hatte sie auch ihre Lippen gespitzt und seine Wangen kurz berührt. Sie spürte die kurzen Stoppeln seines Bartes und roch sein After Shave, alles ließ ihre Sinne verrücktspielen und sie beugte automatisch ihren Kopf leicht zu ihm. Eine Gänsehaut hatte sich auf ihren Armen gebildet und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Es war schon ewig her, dass ein Mann bei ihr solche Reaktionen hervorgerufen hatte.
Sie wurden aufmerksam von Kevin beobachtet und der meinte jetzt: „Siehst du, Papa hat dich auch lieb!“
Etwas verlegen lösten die beiden sich.
„Der Kaffee ist fertig!“ Dabei schob er Regine zur Tür und folgte ihr, ohne seine Hand von ihr zu lösen.
Im Wohnzimmer sagte er: „Setzt dich! Nimmst du Milch und Zucker?“
„Bitte nur Milch!“
Während Bertram in die Küche ging, hatte sie Zeit sich etwas umzusehen. Auch hier herrschten eine fast peinliche Ordnung und Sauberkeit. Auf einem Bord an der Wand standen Fotos von Kevin und einer Frau.“
„Das ist meine Mama!“, sagte Kevin, der sich unbemerkt an ihre Seite gekuschelt hatte. „Liest du mir nachher noch eine Geschichte vor?“, fragte er und schaute zu ihr auf.
„Sicher, wenn du das möchtest und dein Papa nichts dagegen hat?“
„Hat er nicht! Ich würde mich freuen, wenn du das übernimmst! Er findet nämlich nie ein Ende!“

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