Der Wirt brachte zwei „Sudden deaths“ und sagte, als er das langstielige Glas vor ihn auf den Tisch stellte, der hier sei ganz besonders „nicht süß“ und es sei auch mehr Gehaltvolles drin als normal, extra für ihn. Dabei lachte er wieder, sein seltsam obszönes, meckerndes Lachen. Es war ein rötliches Zeug, das nach Chili und Mokka und Wodka schmeckte, als er daran nippte, eine Mischung, die er sich freiwillig nie hergestellt hätte und die er freiwillig lieber nicht hätte trinken sollen. Janine schaute ihn neugierig an, gespannt auf seine Reaktion. Als sie die Skepsis in seinem Gesicht aufkommen sah, lachte sie und belehrte ihn. „So trinkt man den aber nicht. Man muss ihn rasch auszutrinken, ex, auf einen Zug, so wie Schnaps oder Wodka, dann ist der Geschmack am besten.“ Hatte sie Geschmack oder Wirkung gesagt? Sie hielt ihm ihr Glas hin. Sie stießen an, es schepperte dissonant. Janine kippte ihr Glas auf einen Zug hinunter. Er zögerte immer noch. Warum bestellt man sich einen Long-drink wenn man ihn so rasch austrinken soll? Doch er wollte seiner neuen Flamme nicht nachstehen und zeigen, dass ihm Chili und andere heiße Sachen nichts ausmachten und vor allem wollte er endlich, endlich mit Janine dahin, wo er von Anfang an hin gewollt hatte. Er schaute sie über den Rand seines Glases schelmisch an, setzte an und schon war es leer. Dann begann die Malaise.
Nach wenigen Augenblicken wurde er müde, sehr müde, er sah noch, wie Janine sich ihm näherte, ihm einen Kuss auf die Wange drückte und irgend etwas sagte, das in seinem umnebelten Hirn – hatte er denn wirklich schon so viel gesoffen? – als „pardon chèri et au revoir“ registriert wurde. Und noch etwas nahm sein Restverstand wahr. An der Theke standen plötzlich zwei Männer. Nicht nur Marcel, der ihn gespannt beobachtete, sondern auch der Mann von heute Nachmittag, Guy, an den sich seine Schöne so festgeklammert hatte. Jetzt sah Guy zu ihm hin und grinste ihn breit an. Dann verschwamm alles um ihn herum und nacheinander verschwanden das leere Glas, der kleine Tisch, das rote Licht und schließlich auch die süße Janine, die neben ihm saß und seinen Kopf hielt, um zu verhindern, dass sein bleischwerer Schädel auf dem Tisch aufschlug.
5
Er wachte auf, weil Regen auf sein Gesicht tropfte. Er wusste nicht, was los war und wo er war, nur dass er fürchterliches Kopfweh hatte, das merkte er sofort. Er schlug die Augen auf und obwohl es noch dunkel war, stellte er fest, dass er auf einem Stück Rasen lag, am Rand einer Straße, besser gesagt im Straßengraben. Dann fühlte er, dass seine Jacke ganz nass war und auch seine Hose und dass diese nicht nur vom Regen, sondern auch von seiner Pisse nass war und dass er ganz schön stank. Er musste würgen und erbrach sich. „Verdammt, verdammt, was ist nur los?“ Er zwang sich, die letzte Zeitspanne zu rekonstruieren, an die er sich noch erinnern konnte. Rotes Licht, ein enger Raum, ein rotes Sofa, eine Theke, dahinter ein Mann, nein, zwei Männer. Neben sich auf dem Sofa dieses Mädchen - wie hieß sie doch gleich? – ach ja, Janine. In ihrer Hand ein hochstieliges Glas und noch so ein Glas in seiner. Das war der rote Drink mit dem komischen Namen. Delirium tremens? Nein, wie hieß er doch gleich?... Sudden death, richtig, so hieß das Zeug. Wie sinnig, wie unheimlich sinnig, dachte er jetzt. Ja, das war der entscheidende Moment gewesen, als er diesen Drink in sich hineinkippte. Warum kippte? Ach ja, diese Janine, wollte es, sie drängelte ihn. Danach black out, sudden death. Man hatte ihn also gelinkt, verarscht, k.o. gemacht, knocked out. Ihn, den ehemaligen Einzelkämpfer und Elitesoldat, dem so etwas noch nie passiert ist, dem so etwas einfach nicht passieren durfte. Ihm, diesem ausgekochten Fuchs, der immer alles im Griff hatte, der alles durchschaute. Ihn hatte diese raffinierte Schlampe, der er vertraut hatte, der er, erst jetzt fiel es ihm wieder ein, sogar die dunkelste Geschichte aus seinem Leben anvertraut hatte, ihn hatte dieses Weib und ihre Macker gelinkt, betrogen, erniedrigt. Wut und Ärger stiegen in ihm auf und zugleich der Wunsch nach Rache, nach Vergeltung. Denen werde ich es zeigen! Da habt ihr euch den Falschen ausgesucht!
Knocked out
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Knocked out
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Knocked out
schreibt Huldreich