Das Hotel, in dem er ein Zimmer gebucht hatte, der Aigle noir, hatte zwar nur zwei Sterne und es war sogar recht klein, laut Prospekt hatte es nur zehn Zimmer, aber es lag mitten in der Altstadt und war grundsolide, wie er gleich beim Eintreten merkte. Das Zimmer war eng, aber sehr sauber und geschmackvoll eingerichtet, mit Blick auf den Marktplatz mit seinem Kopfsteinpflaster und der gotischen Kirche. Er war sehr zufrieden mit seiner Wahl. „Nehmen sie unbedingt ihren Schlüssel mit, wenn Sie ausgehen“ sagte die Madame an der Rezeption, vermutlich die Eigentümerin. “Ich wohne nicht hier und gehe abends nach hause, meist schon so gegen acht Uhr. Nachts ist dann niemand mehr da. Wenn Sie etwas brauchen, dort drüben steht ein großer Kühlschrank mit Getränken und im Frühstücksraum ist ein Kaffeeautomat. Sie können sich gern bedienen, schreiben Sie bitte auf, was Sie entnommen haben.“
Etwas problematischer war es, an ein gutes Essen zu kommen. Dass kein herausragendes Lokal in der Gegend angesiedelt war, wusste er aus seinem Michelinführer. Dass aber viele Lokale nicht nur am Montag, sondern schon am Sonntag Abend geschlossen waren, überraschte ihn immer aufs Neue. So war es auch hier und es bedurfte einiger Anrufe von Madame, um ein akzeptables, Restaurant, den Faisan d’or, ausfindig zu machen, das geöffnet war. Es lag etwas außerhalb der Innenstadt, am Rande eines kleinen Parks, war aber immer noch gut zu Fuß zu erreichen. Auf der Speisekarte bot es die traditionelle Küche der Region und damit war man, so seine Erfahrung, in der Regel auch ganz gut bedient. Das Essen war nicht überragend, aber gut, der Wein gepflegt und bezahlbar und das Ambiente gefiel ihm, es lud zum Verweilen ein, obwohl er der einzige Gast war und sich in der Tat fragte, warum es nicht ebenfalls geschlossen war. Aber das sollte sein Problem nicht sein. Als er seinen Kaffee trank und einen zweiten Cognac bestellte, ging er lieber noch einmal den Tag in Gedanken durch. Er dachte an die schöne Kirche mit ihren interessanten Fresken und Skulpturen, an das prächtige Rathaus, das von einer glorreichen Vergangenheit zeugte. Aber auch an die vielen leeren, aufgegebenen Geschäfte in den engen Kopfsteingassen, an die oft marode Bausubstanz der alten Gebäude, die bröckelnden Fassaden und die Schutthaufen in manchen Höfen. Er beneidete die Menschen nicht, die dort wohnen mussten. Romantik und Lebensqualität waren oft nicht deckungsgleich. Aber diese weniger schönen Details verdrängte er erfolgreich und rief sich stattdessen das wunderschöne Panorama der Altstadt in Erinnerung. Und natürlich ging ihm die schöne Frau in Gelb nicht aus dem Kopf, schon die ganze Zeit nicht.
2
Als er beim besten Willen keinen Grund mehr hatte, länger zu bleiben und auch merkte, wie der Kellner dezent auf seine Uhr schaute und den Feierabend herbei sehnte, bezahlte er, ließ ein großzügiges Trinkgeld zurück und machte sich auf den Weg in sein hübsches, langweiliges Hotel, um dort die restlichen Stunden des Sonntagabend zu verbringen. Auf einer Bank, die bereits zu dem kleinen Park auf der gegenüberliegenden Straßenseite gehörte, sah er eine Gestalt sitzen, die ihm heftig zu winkte, als er die ersten Schritte auf die Straße gemacht hatte. Zu seiner Überraschung erkannte er beim genaueren Hinsehen die junge Frau wieder, die ihn am Nachmittag in solche Verwirrung gestürzt hatte. Sie trug zwar nicht mehr das gelbe Kleid, sondern Jeans und eine dunkle Bluse und statt der knallroten Stilettos hatte sie nur einfache Sandalen an, aber es war ohne Zweifel dieselbe Person. Das Gesicht mit den langen Haaren hatte er ebenso in seinem Gedächtnis gespeichert, wie die langen, schlanken Beine und dieses enge, aufregende, gelbe Kleid. Das Mädchen schien auf ihn gewartet zu haben, denn die Zeichen, die sie ihm gab, waren eindeutig, er solle zu ihr herüberkommen. Etwas irritiert winkte er zurück, überquerte aber dann doch die Straße. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und die Front der Bäume im Park war dunkel und abweisend. Auch die junge Frau war dunkel, mit ihrer schwarzen Mähne, den Jeans und der dunklen Bluse, aber abweisend war sie auf keinen Fall.
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schreibt Huldreich