Knocked out

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Yupag Chinasky

„Wollen Sie sich nicht ein Weilchen setzen?“ sprach sie ihn ohne Umschweife an. Und wieder waren es ihre Augen, die ihn diesmal neugierig und erwartungsvoll anschauten und die ihn erneut so faszinierten, dass er sich über das unerwartete Angebot keine Sekunde lang wunderte. Als sie kurze Zeit später durch den Park gingen, erst züchtig nebeneinander, dann, auf Initiative des Mädchens, Hand in Hand, wusste er, dass sie Janine hieß, dass sie ihn schon beim ersten Blick „très interessant“ gefunden hatte und ihn deswegen, nur deswegen, kennen lernen wollte. „In dieser Stadt ist nie was los. Hier kommt doch kein Mensch her. Wenn mal jemand auftaucht, so wie du, ist das ein Glücksfall.“ So plapperte sie munter drauf los und zerstreute mit ihrem Charme und ihrer natürlichen Ausstrahlung von vorne herein alle Zweifel und Ungereimtheiten, die ihn wegen dieser ungewöhnlichen, direkten Anmache hätten überkommen können. Er wollte wissen, wie sie ihn ausfindig gemacht habe. „In so einer kleinen Stadt ist das kein Problem“ meinte sie „ich habe dein Auto vor dem Aigle noir gesehen und die Madame hat mir gesagt, dass sie für dich im Faisan d’or angerufen habe. Voilà, das hat gestimmt. Ich musste nur ein Weilchen warten. Das war doch genial von mir, oder?“ Sie lachten. Etwas später legte er seinen Arm um ihre Schulter und sie gingen nun genauso eng aneinandergeschmiegt, wie er sie am Nachmittag gesehen hatte. Dass sie den Abend und, so seine zunächst noch vage Hoffnung, auch die ganze Nacht miteinander verbringen wollten, war klar, die Frage war nur wie und wo. Er hätte seine Eroberung am liebsten gleich in das Hotel abgeschleppt und unterwegs irgend etwas Trinkbares besorgt. Doch sie schlug vor, eine Bar aufzusuchen, die auch am Sonntag Abend geöffnet sei. Sie kenne eine. Das „Dernier cri“. Sie sei klein und intim, ideal, um den Tag ausklingen zu lassen. Sie könnten dort einen apéritif trinken, sie korrigierte sich lachend, er habe ja schon gegessen und deswegen sei es wohl ein digestif, jedenfalls könnten sie einen Cocktail oder ein Glas Champagner oder was auch immer trinken und in Ruhe miteinander reden. Und dann, sie zwinkerte ihm zu und er wurde daraufhin ganz hibbelig, könne man ja noch etwas Schönes aus dem Abend machen. Er sei ein so netter Mann und sie sei froh über die Abwechslung in diesem öden Kaff, sie musste dies noch einmal ausdrücklich betonen, um ihr Vorgehen, wie ihm schien, zu rechtfertigen. Und er habe doch sicher auch nichts gegen einen netten Abend. „Pas vrai, mon chèri? »

Auf die beiden Fragen, die ihn am brennendsten interessierten, hatte sie plausible Antworten parat. Der Mann von heute Mittag, das sei ihr Cousin gewesen. Sie kenne ihn schon lange. Sie seien von Kind an vertraut und würden daher oft eng aneinander geschmiegt spazieren gehen, aber sonst sei nichts zwischen ihnen. Nur Verwandtschaft, nur Freundschaft. Keine Liebe. „Non, non, non – pas d’amour avec Guy“ kicherte sie. Er solle nicht denken, dass sie eine pute sei, eine, das Geld wolle oder sich gar auf die Straße stelle. „Non, non, non – pas d’argent“. Ob er es denn noch nie erlebt habe, dass ihn eine Frau anspräche? Er sei doch attraktive, ja wirklich, und seriös. Sie liebe seriöse, ältere Männer, mit denen könne man reden, die seien verständnisvoll, würden zuhören und einen nicht gleich ins Bett abschleppen. Sie liebe gepflegte Gespräche und entspannte Spaziergänge und das Schöne im Leben. Bei diesen Worten schaute er sie etwas zweifelnd und spöttisch an. So ein junges Ding und so viel Abgeklärtheit. Sie bemerkte seinen Blick und beeilte sich, ihm ihre Haltung zu erklären. Ja, sie wisse, dass es ungewöhnlich sei, wenn eine junge Frau einen älteren Mann anspräche, aber heute habe man doch mehr Freiheiten als früher „n’est-ce pas?“. Männer würden doch immer nur an das eine denken und könnten sich gar nicht vorstellen, dass Frauen auch etwas anderes als Sex haben wollten. Sex sei bestimmt nicht ihre primäre Absicht, aber, sie lachte und drückte sich an ihn, wenn sich aus einer netten Bekanntschaft so etwas ergäbe, pourqoui pas, sie sei keine Heilige. Aber jetzt, jetzt wolle sie nicht über sich, sondern über ihn und mit ihm reden und das könne man am besten im „Dernier cri“.

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schreibt Huldreich

Lieber Yupag Chinasky! Ihre Geschichte hat mir gefallen, samt dem Hinweis auf Stig Larrson's Lisbeth Salander, Danke sehr gut erzählt und spannend bis zum Schluß. Ich freu mich auf die nächste und grüsse Sie herzlich, Ulrich Hermann aus München

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