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Janine ließ das alles ohne Widerspruch, ohne Zurückweichen, ohne Zicken mit sich geschehen. Sie war offensichtlich nicht nur auf ein geistreiches Gespräch aus. Im Moment jedoch schaute sie faszinierte auf die Hand, die auf ihrem Oberschenkel lag. Sie schaute auf den kleinen Finger, an dem sie etwas vermisset. Das letzte Glied mit dem Fingernagel. Es war weg. Da war nur noch ein Stumpf, nur noch eine Narbe. Janine war neugierig, die Sache mit dem kleinen Finger ließ sie nicht in Ruhe und nach einer Weile fragte sie „Wie ist das denn passiert, chéri? Willst du es mir erzählen? Ich bin so neugierig.“ Etwas widerstrebend, aber gleichzeitig durch ihr Interesse geschmeichelt - kann man einer schönen Frau etwas abschlagen? – begann er zu erzählen, von einer Zeit, die längst vergangen war, einer Zeit als in Jugoslawien Krieg herrschte und er als Berufssoldat in der Armee einen ziemlich langweiligen Dienst schob.
Nachdem der Krieg bedrohliche Dimensionen erreicht hatte, wurden Freiwillige für den NATO-Einsatz gesucht. Er meldete sich. Ihn reizte sowohl die Aussicht auf ein Abenteuer als auch die Möglichkeit, das so oft Geübte anzuwenden, die Aufgaben eines Soldaten nicht nur durchzuspielen, sondern sich im richtigen Kampf zu beweisen. Er verhehlte aber auch nicht, dass der zusätzliche Sold ein wichtiges Argument für die Entscheidung gewesen war. Er kam in eine Elitetruppe und erhielt zunächst eine besondere Ausbildung als Einzelkämpfer, Scharfschütze und Spezialist für Minenräumung und Sprengkörperbeseitigung. Die tägliche Aufgabe seiner Einheit war es, verdächtige Objekte zu kontrollieren, Bomben zu entschärfen oder notfalls zu sprengen. Doch der mit Abstand interessanteste und begehrteste Job war der Personenschutz. Wenn VIPs kamen, hochstehende Militärs und Politiker auf Truppenbesuch, mussten sie rund um die Uhr bewacht und ihr Umfeld beobachtet werden. Jeder Beschützer war mit einem Präzisionsgewehr ausgerüstet und sie hatten nicht nur die Freiheit, sondern sogar den Befehlt, verdächtige Personen kampfunfähig zu machen, ja notfalls zu erschießen. Die Sicherheit ihrer Schutzobjekte hatte höchste Priorität.
Ja, er habe mehrfach geschossen. Ob er jemanden getötet habe, wisse er nicht, aber er habe mehrfach Angriffe abgewendet. Ja, das Entschärfen von Bomben sei sehr gefährlich, man brauche gute Nerven und eine ruhige Hand. Was mit dem Finger geschehen war? Nun ja, eines Tages waren sie von einer Gruppe Serben überrumpelt worden, als sie gerade bei einer kleinen Feier waren. Ihr Kommandant hatte Geburtstag und er hatte seine Leute zu einer Grillparty eingeladen. Es gab Lamm am Spieß, ein Fass Bier, Musik und Frauen, junge Mädchen. Im Krieg fände man immer welche, die man nicht lange überreden müsse. Sie feierten abseits des Lagers auf einer Wiese an einem kleinen Fluss. Es war Sommer, wie jetzt, ein schöner, milder Abend. Die Wache, die sie aufgestellt hatten, war leider auch abgelenkt, durch Bier und Weiber. Jedenfalls sei plötzlich diese Gruppe Serben aufgetaucht, aus dem Nichts. Es gab einen kurzen Kampf, ein paar Schüsse, Gerangel Mann gegen Mann. Die Partisanen seien schnell wieder verschwunden, ohne viel Schaden anzurichten. Aber die fehlende Fingerkuppe sei ihm als Andenken geblieben.
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schreibt Huldreich