Knocked out

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Yupag Chinasky

Es geht alles so schnell, dass ich nicht weiß, wie mir geschieht. Im Nu bin ich überwältigt und gefesselt und geknebelt und dann sind sie am Bach und fangen dort mit ihrem Affentheater an, das ja schnell beendet war, wie ich schon gesagt habe. Leider haben sie mich auf dem Rückzug mitgenommen. Geiselnahme kam damals öfters vor. Ich lebte ein paar Tage in einer Höhle, mit Wasser und Brot, wirklich nur Wasser und Brot und sie versuchten für mich Lösegeld einzutreiben. Weil das nicht auf Anhieb funktionierte, brauchten sie ein besseres Argument. Das Argument war das äußerste Glied meines kleinen Fingers. Mit einem Messer hat mir einer die Fingerkuppe abgeschnitten, nein, regelrecht abgehackt. Hand auf einen Baumstamm, einer hält sie fest, der andere schlägt zu. Zack. Geht schnell. Sie haben mir noch angedroht, dass dann das nächste Glied und dann der nächste Finger dran sei und so weiter, bis sie ihr Geld hätten. Zum Glück hat mein Kommandant rasch gehandelt und gezahlt und dann haben sie mich tatsächlich frei gelassen. Doch für mich kam jetzt erst das dicke Ende. Militärgericht, Anklage wegen Vernachlässigung meiner Dienstpflicht, Verhandlung, Verurteilung. Leute wie mich, könne man in einem Kampfgebiet nicht gebrauchen. Ich wurde umgehend in die Heimat zurückgeschickt. Ich habe dann meine Entlassung eingereicht, ich hätte keine Zukunft mehr beim Militär gehabt.“

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Er saß ruhig da. Die Erinnerung an die Vergangenheit hatte ihn sichtlich getroffen und davon schien er selbst überrascht zu sein. Doch ein kräftiger Schluck brachte ihn zu sich und aus dem Soldaten wurde wieder der nette, ältere Herr, der andere, bessere Dinge zu tun hatte, als in seiner Vergangenheit zu kramen und unangenehmen Gedanken nachzuhängen. Und das sagte er ihr auch. „Jetzt ist Schluss mit den alten Geschichten. Erzähl du mir mal etwas. Wo kommst du eigentlich her? Von hier bist du doch nicht, oder?“ Aber Janine war nicht nach Reden zu Mute oder sie wollte nichts über sich Preis geben. Sie bevorzugte es zu schmusen und überzeugte ihren Lover mit einem langen, feuchten Kuss, dasselbe zu wollen.

Als der Kuss zu Ende, die Gläser leer, er schon ziemlich benebelt und die romantische Stimmung leicht angeknackst war, fragte er Janine, was denn nun als nächstes passieren sollte. Sie könnten doch nicht den ganzen Abend hier in der Bar sitzen. Ob sie jetzt in sein Hotel gehen sollten oder ob es einen besseren Vorschlag gäbe und wie, er räusperte sich etwas verlegen, wie das mit der Bezahlung sei. Janine, der man in keiner Weise anmerkte, dass sie genauso viel getrunken hatte wie er – später, als er den Abend rekonstruierte, kam er zu dem Schluss, dass sie wohl immer alkoholfreie Drinks bekommen hatte – flötete. „Gleich mein Schatz, wir gehen gleich. Wenn du willst, in dein Hotel, aber wir können auch hier ein Zimmer mieten. Mir ist es egal, Hauptsache wir sind noch eine Weile zusammen. Ich freue mich, glaub mir, mein Held! Wegen irgendwelchem Geld brauchst du dir doch gar keine Gedanken machen. Hast du denn schon vergessen, dass ich dir gesagt habe, dass ich kein Geld will? Wenn du mir ein Geschenk machen willst, na gut, ich will dich ja nicht beleidigen, das nehme ich an. Aber wie viel du mir gibst, liegt ganz an dir. Du wirst mich schon nicht enttäuschen.“ Aber, fuhr sie aufgekratzt fort, bevor sie jetzt gehen, müssten sie unbedingt noch den Spezialcocktail des Hauses bestellen. Zum Abschluss dieses schönen Abends und bevor eine noch schönere Nacht begänne, müsse er unbedingt einen „Sudden death“ probieren, eine eigene Erfindung von Marcel. Der Cocktail sei ganz, ganz prima, ziemlich stark, aber große Klasse. Sie würde ihn immer trinken, wenn sie hier sei. „Ohne einen Sudden death können wir unmöglich, unmööööglich, die Bar verlassen.“ An sich hatte er schon mehr als genug getrunken und fahren musste er ja auch noch, denn irgendwie widerstrebte ihm der Gedanke, mit Janine in eines der Zimmer dieser billigen Absteige zu gehen, da war das Hotel allemal besser. Also gut, willigte er ein, man müsse die Feste feiern, wie sie fallen, das sei schon immer einer seiner Leitsprüche gewesen und er wollte nur wissen, ob dieser schnelle Tod süß sei, süße Drinks möge er nicht. Aber nein, beruhigte ihn Janine, die möge sie doch auch nicht. Er habe doch gesehen, was sie bestellt habe, oder nicht?

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schreibt Huldreich

Lieber Yupag Chinasky! Ihre Geschichte hat mir gefallen, samt dem Hinweis auf Stig Larrson's Lisbeth Salander, Danke sehr gut erzählt und spannend bis zum Schluß. Ich freu mich auf die nächste und grüsse Sie herzlich, Ulrich Hermann aus München

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