Die zwei Frauen am Tresen passten eigentlich überhaupt nicht in dieses Lokal. Die Ältere der beiden, eine gepflegte Erscheinung um die fünfzig, war mehr als nur eine Spur zu elegant und teuer gekleidet, um hier zum Stammpublikum zu gehören. Ihre etwas jüngere Begleiterin trug ein Kostüm, das zwar nicht ganz so teuer wirkte, aber ebenfalls nicht recht in ein Kneipencafé passte. Kurz gesagt: Beide Ladies waren eindeutig overdressed für diesen Laden, in dem sich normalerweise Studenten mit Möchtegern-Bohemiens und brotlosen Künstlertypen mischten. Beide waren andererseits auch mehr als eine Spur zu angeschickert für ihr Erscheinungsbild, als wären sie sozusagen am heutigen Abend aus ihren Rollen gefallen. Und aus der Rolle gefallen, das waren sie tatsächlich.
Theresa und Annika Windering, so hießen die Damen, bildeten eine ziemlich ungewöhnliche und seltsame Konstellation. Trotz des gemeinsamen Familiennamens waren sie nicht miteinander verwandt. Nicht direkt jedenfalls. Theresa, die Ältere der beiden, war einst mit dem wirtschaftlich sehr erfolgreichen Industriellen Johannes Windering verheiratet gewesen - solange jedenfalls, bis seine damalige Sekretärin - die knapp fünfzehn Jahre jüngere Annika - ihr den Mann ausgespannt hatte. Immerhin war ihr der Abschied damals mit einer sehr lukrativen Scheidung erleichtert worden und die Konkursmasse dieser Ehe hatte ihr unter anderem eine recht luxuriöse Villa eingebracht und genügend Kapital, um sich als selbständige Fachärztin mit Privatpraxis im eigenen Haus niederzulassen. Dass sie jetzt mit ihrer Nachfolgerin ziemlich betrunken am Tresen hockte, war einem Zufall geschuldet.
Sie hatte nicht schlecht gestaunt, die einstige Rivalin am Nachmittag plötzlich als Verkäuferin in einer Ihrer Lieblingsboutiquen anzutreffen. Auch Annika war nämlich vom mittlerweile über siebzigjährigen Johannes gegen eine jüngere Begleiterin ausgewechselt worden und hatte ihren Platz für eine 26-jährige Werkstudentin räumen müssen.
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