Die Kollegin

Geschichten vom Anfang der Sehnsucht

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Die Kollegin

Die Kollegin

Stayhungry

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Schön, dass du da bist hatte sie gesagt, und mich in die Wohnung gebeten. Alles wirkte unverfänglich, der Fernseher lief, es war keine schummrige Atmosphäre geschaffen, die meine Befürchtungen oder die sehnsuchtsvollen Verirrungen meiner Auffassungsgabe hätten bestätigen können.

Wir plauderten ein wenig und fast hätte ich mich, zugegeben in einer gewissen Enttäuschung über meine anmaßende Selbstüberschätzung, erleichtert zurückgelehnt, da wurde mir klar, dass sie aufgekratzt war, das passte nicht zu ihr.

In meinem nachdenklich musternden Blick wurde sie ernst, setzte sich neben mich auf die Kante der Couch und berührte mit zittrigen Händen meine Wangen. Sie küßte mich, weiche Lippen hatte sie, und mit feuchter Sanftheit erwiderte ich ihre Liebkosung, umarmte sie. Ohne Kraft, mit weichen Knien saß ich da und sie auch, keine Wildheit, keine Leidenschaft, aber eine so tiefe, zärtliche, heiße Erregung, ich hätte Tränen vergießen können und lachen zugleich. Doch gehen, fliehen konnte ich nicht mehr. Die Grenze war schon jetzt überschritten, es war die liebevolle, verlangende Berührung gewesen.
Ich möchte einmal wirklich unbeschwert sinnliche Liebe erfahren, flüsterte sie, und dafür will ich nicht noch ewig warten müssen, bis sich der Richtige findet. Ich möchte von einem erfahrenen Mann geliebt werden. Mehr sagte sie nicht, sah mich nur aus ihren dunklen Augen an. Diese drängten nicht, nur ganz leise schienen sie zu bitten: Weise mich nicht zurück.

Sie musste mir ansehen, was sie mir antat.

Ich hatte erwartet, nie mehr so etwas Schönes zu erleben, dieses sanfte, liebevolle, sehnsüchtige Bekenntnis des Begehrens, das tatsächlich mir galt. Sie hatte sich geöffnet, sich verletzlich gemacht und es trotzdem getan, etwas, das meiner Liebsten ohne Gefahr möglich wäre und die es dennoch unterlässt, weil ein zarter, aber bestimmter Griff im Dunkel unter der Bettdecke denselben Zweck erfüllt.

Dem gegenüber stand mein Entsetzen über den Gedanken, meiner Frau untreu zu sein, sie zu verletzen, sie zu verlieren. Diese Grenze hatte ich nie überschritten und darüber war ich froh. Ich glaubte, ich hätte ihr nie mehr in die Augen sehen können. Selbst bei Tina hatte ich nie wirklich gezweifelt, dass ich mich richtig verhalten würde.

Ich werde dich ihr nicht wegnehmen, denn wir könnten nicht miteinander leben. Ich bin zu jung für dich und du, sei nicht böse, bist für mich zu alt. Aber ich spüre, du könntest einen Bogen spannen zwischen Zärtlichkeit und Leidenschaft und nicht zwischen Langeweile und Rücksichtslosigkeit.

Genau das war es, ich hatte kein Verlangen nach einem Leben an der Seite einer quirligen jungen Frau, die die Nacht zum Tag macht. Das war schon eineinhalb Jahrzehnte früher nicht mehr gut gegangen. Und wenn sich ihr hungriges Leben dann langsam einmal nach Ruhe sehnen würde, wäre ich bereits wirklich alt und wieder nicht der Richtige für sie. Das alles war keine Verlockung, es war nur die Versuchung der Schönheit des Jetzt.

Dieser war ich schon erlegen.

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