Bin schockiert. Sitze am Lietzensee. Da sitze ich öfter. Zwar nicht in letzter Zeit, wegen meiner chronischen Pleite, aber generell schon. Es ist schön, in der Sonne zu sitzen, die an diesem Spätoktobertag noch einmal alles gibt. Sie scheint, als gäbe es kein Morgen, weil es bald Winter sein wird. Die Blätter versuchen, sich an ihren Bäumen festzuklammern, als wären sie kleine Geliebte. Aber sie müssen loslassen. Bald. Nur nicht heute. Heute wiegen sie sich sanft im warmen Wind. Vielleicht sollte ich das auch tun.
An den letzten Sex kann ich mich nicht mal mehr erinnern. Vermutlich, weil er nicht gut war. Jedenfalls: Ich wollte nur so da sitzen. Möglichst, ohne was zu konsumieren. Ohne was dafür zu bezahlen jedenfalls. Ihr wisst ja, wie ich das meistens mache. Ich schleppe eine Tetra-Tüte voll von billigem Fusel mit und dazu ein leeres Glas. Daraus schenke ich mir unterm Tisch heimlich selber ein. Diesmal nicht. Sagen wir einfach, ich habe den Wein vergessen, damit das Szenario noch etwas asozialer klingt, als es ohnehin schon ist, aber es könnte wirklich so gewesen sein, oder?
Egal. Was wirklich passiert ist:
Weil ich mir schon mit gekrümmten Rücken die Finger wund getippt habe, war ich leider gezwungen, meinen Revuekörper aus dem Korbsessel zu erheben, aufzustehen, ein paar Schritte zu gehen und um die Ecke, wo mich weniger Leute sehen können, einige gymnastische Übungen zu vollführen, Rücken strecken, Hände in die Höhe, ein paar kleine Kreise und so. Bei dieser Beschäftigung beobachtete mich eine ältere Dame, die ihre besten Jahre sichtlich hinter sich hat, das Rennen aber, ihrem Verhalten nach zu urteilen, trotzdem noch nicht aufgegeben hat. Sie sieht mich bei meinen peinlichen Verrenkungen und macht einfach mit. Dazu steht sie auch noch auf. Sie glaubte, ich wolle ein imaginäres Orchester dirigieren und macht einfach mit. Das kann ja heiter werden, denke ich noch.
Jedenfalls hat die Dame ein Glas Rose ´wein am Start und deswegen sehe ich mich dazu verführt, mir auch eins zu holen. Klingt logisch, oder?
Am Tresen erwartet mich derselbe junge Mann, der eigentlich immer da ist. Nennen wir ihn Hu, weil er asiatischer Abstammung zu sein scheint. Hu ist, seiner Optik nach zu urteilen, ungefähr Fünfundzwanzig. Vielleicht ist er auch schon dreißig. Erwähnte ich schon, dass ich beinahe zehn Jahre älter bin?
„Sie waren aber lange nicht da“, spricht er mich einfach an.
Logisch, ich wohne ja hier im Kiez.
„Stimmt, hatte viel zu tun.“
Stimmt nicht, aber besser, ich oute mich nicht als der Edelpenner, der ich eigentlich bin. Seit Jahren schon. Viel zu peinlich. So was wäre selbst beim Ficken ein No Go. Und frau weiß schließlich nie, wann und wo einer ein erigierter Penis in den Schoß fällt. Buchstäblich.
„Sie wohnen aber noch hier im Kiez, oder?“
Klar Sweetie, denke ich, bei den galoppierend steigenden Mieten hier im Kiez kann ich mir wohl kaum eine neue Bleibe leisten. Es sei denn, ich gewönne im Lotto oder meine kleinen Geschichten verkauften sich besser. Vielleicht könnten Sie, geschätzte Leser, ei wenig zur Verbesserung meiner Lebenssituation beitragen, indem sie alle meine Bücher kaufen.
Das alles denke ich, sage aber nichts. Stattdessen sage ich: „Sicher.“
Hu gießt den Rose´wein ein.
„Ist kalt geworden.“
„Hmm.“
„Herbst halt. Da kann man nichts machen.“
„Ist doch schön“, meint mein schöner Chinese. Da kann man kuscheln.“
Hat der gerade „Kuscheln“ gesagt? Fragend sehe ich ihn an.
„Na, kuscheln!“, bekräftigt er. Dazu umarmt er sich selbst und wiegt seinen Oberkörper versonnen hin und her. Er scheint akut unterkuschelt zu sein. Das trifft sich gut, denn ich bin chronisch untervögelt. Und kuscheln und vögeln, das gehört definitiv zusammen. Das sage ich natürlich nicht. Ich nehme meinen Wein und gehe mit ihm zu meinem Laptop, wo ich diese kleine Episode in die Tasten hacke.
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