Mein Freund Horbert ist einer, dem man, begegnet man ihm im Dunkeln, lieber aus dem Weg geht. Er ist ein Hüne mit kahlrasiertem Schädel und stets grimmigem Gesicht. Ein dichtes Geflecht aus Tätowierungen überzieht seine Haut. Es soll schon vorgekommen sein, daß Horbert in der Kneipe einen ausgewachsenen Mann plötzlich mit ein paar wuchtigen Schlägen zu Boden befördert hat, doch im Grunde ist er ein netter und durchaus liebenswerter Kerl. Wie wir alle trägt er ein Geheimnis in sich, und weil ich die selbe Stammkneipe habe wie er, und außerdem befreundet mit ihm bin, war es mir vergönnt, einen Gutteil seines Geheimnisses am eigenen Leibe zu erfahren. Irgend etwas war mit Horbert passiert. Sein Gang erinnerte schon immer ein wenig an den eines Affen, doch seit ein paar Wochen schien er mir noch krummer zu gehen. Kam Horbert in die Kneipe, bestellte er sich ein großes Memminger, dazu einen dreistöckigen Rum und verzog sich an seinen Stehtisch am hintersten Ende der Bar.
An dem Abend, an dem ich begann, seinem Geheimnis auf den Grund zu gehen, war sein Gesicht so blass, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Er sah schrecklich mitgenommen aus, doch in seinen Augen lag ein zufriedener Glanz. Ich nahm mein Bier und stellte mich zu ihm an den Tisch. "Was ist passiert?" sagte ich mit einem "mir kannst dus doch sagen - Ausdruck" in der Stimme. Horberts Mund tat sich auf und er sagte: "Mercedès."
"Frau oder Auto?" fragte ich. "Frau ... zumindest sowas in der Richtung." Keiner von uns hatte Horbert je zusammen mit einer Frau gesehen. Es wurde gemunkelt, daß er keinen hochkriegte. Natürlich nur, wenn Horbert nicht dabei war. Niemand hatte Lust, mit seinen Fäusten Bekanntschaft zu machen. "Alle Achtung" sagte ich voll ehrlicher Anerkennung. Horbert winkte ab und trank einen Schluck Bier. "Ist nicht so, wie du denkst. ... Nicht ganz jedenfalls." "Wie ist es denn?
Der Kuss
ODER DER RAUBBAU AN DER GESUNDHEIT
3 8-13 Minuten 0 Kommentare
Der Kuss
Zugriffe gesamt: 3091
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.