Damals, als ich in dein Land kam, warst du es, der als erster mit mir tanzte. Der mir die Umarmung anbot, und mich sicher in die ersten, zittrigen Schritte ins Unbekannte führte. Der mir zeigte, dass der Tango derselbe bleiben würde, egal wo ich ihn tanzte. Tango, der Tanz der Heimatlosen, die auf der verbrannten Erde des neuen Landes fühlen, wie weit sie ihre Füße tragen. Du hast mir den Boden geebnet, mein Innerstes gesehen durch den Schmerz und die Ablehnung und mir Raum gegeben, mich im Tanz zu entwickeln, bis ich angekommen bin. Bis ich auf dich zugehen konnte, von allein.
Und heute wirst du es sein, der mit mir meinen letzten Tango tanzt. Noch einmal lege ich meinen Körper an deinen, schmiege meine Brüste an dich, liebkose deinen Nacken, berühre leicht deine Stirn. Wie innig, wie eng… ein Wunder, dass wir beide uns finden durften. Ich liebe deinen Körper so sehr, weil er mir Sicherheit gibt im Tanz, weil er meiner Schönheit Raum lässt, sich zu entfalten. Weil er mich tröstet ohne Worte, weil er mich erregt, ohne mich zu drängen. Weil er einfach da ist, und sich mir in seiner Vollkommenheit gibt. Ganz bei mir ist, ohne etwas zu erwarten. Weil dein Körper ausdrückt, was deine Seele fühlt. Zuneigung, die nicht leben durfte, Lust, die es nicht über das Stadium der nächtlichen Träume hinaus geschafft hat. Esta noche que te fuiste. Die Nacht, in der du gingst, und mein Herz starb.
Von allen habe ich mich verabschiedet, die obligatorischen Küsschen getauscht, versprochen, ganz sicher zum nächsten Festival zu kommen und jeden zu beherbergen, der sich in mein Land verirren würde. Nun wartest du. Meine Augen brennen, meine Kehle schmerzt vor heruntergeschluckten Tränen. Du streichst mir übers Haar, umfasst mich fest, bringst mich schweigend zum Auto. Wieder stehen wir da, wortlos. „Stay“ bringe ich noch über die Lippen. Du siehst mich an, ich sehe in deinen Augen meine Traurigkeit, die ich dir verheimlichen wollte, um dich nicht zu quälen. Noch ein letztes Mal deinem Körper nahe sein… und du verstehst meine stumme Bitte. Du öffnest deine Arme, und lässt meinen Kopf an deine Brust legen, umschließt meinen Rücken mit deinem Arm, ziehst mich eng an dich. Dir nah sein, deinen Atem spüren. So eng es geht, schmiege ich mich an dich, lasse unsere Körper die gewohnte Vertrautheit aufnehmen.
Endlose Minuten stehen wir so, kommunizieren mit unseren Körpern, was wir uns nie zu sagen wagten. Die Liebe, die wir füreinander empfinden, und die wir nur im Tanz ausdrücken durften, um unser anderes Leben, das Leben jenseits des Tango, nicht zu gefährden. Die Zärtlichkeit, mit der sich unsere Körper zu einem verbinden, synchron die Musik tanzen. Das gemeinsame Einatmen, und unser Schweigen nach dem Ende jedes Tanzes. Mir war nie bewusst, wie sehr ich einen Menschen lieben kann aus der Distanz eines gemeinsam bestimmten Abstandes. Du hast es mich gelehrt.
Meine Tränen brechen heraus, in deine Schulter. Ob du dich noch erinnern kannst an einen unserer ersten Tangos? Ich war so verlassen, dass ich in deine Schulter geschluchzt habe vor Heimweh, vor Angst vor all dem Neuen. Du hast mich getragen, damals, und du trägst mich jetzt, auch wenn du selbst weinst. Zärtlich streichelst du eine Träne von meiner Wange, fährst mit deinem Finger über meine aufgesprunge Lippe, so dass ich die salzige Schärfe schmecke. Wie tröstend, wie gut du zu mir bist.
Meine Hände liebkosen deinen Nacken, dein Gesicht, fahren die Linien ab, um sie sich einzuprägen für meine Träume. Deine Stirn, an die ich meine lehne, mit sanftem Druck. Die Kuhle zwischen Schulter und Hals, in der mein Kopf ruht, so dass meine Lippen fast die Haut deines Halses berühren, und deinen Duft in sich aufsaugen. Eine Mischung aus Reinlichkeit, herb-spritzigem Aftershave und Schweiß, den unsere Tänze aus dir herausgekitzelt haben. Anziehend männlich, sexy, ein Duft, der mich zwingt, tief einzuatmen, ihn in meinen Körper dringen zu lassen, einen kurzen, wohligen Schwindel auslöst.
Plötzlich hat sich meine Stimmung gedreht. Meine Tränen sind vergessen, unser Abschied ist nicht mehr real. Dein Duft hüllt mich ein, die Süße deiner Haut, und macht mir Lust, tiefer einzutauchen. Dir scheint es ähnlich zu gehen… tief saugst du die Luft ein, mein Parfum, das schwer auf meinem Haar liegt, drückst deinen Kopf in meine Locken, während deine Hände meinen Rücken hinunterwandern, an meiner Taille liegen bleiben, sich zögernd weitertasten, bis sie die Rundungen meines Pos erreicht haben. Ich drücke mich dir entgegen, recke mich auf die Zehenspitzen, um meinen Körper in deine Hände zu legen, gebe dir schweigend meine Zustimmung zu dem, was kommt. Du ziehst mich an dich. Meine Hüften und deine verschmelzen, zum ersten Mal spüre ich die Härte deines Geschlechts durch den dünnen Stoff meines Rockes. Wie oft wusste ich, dass du so empfandest, und durfte es doch nicht fühlen… Ob auch du die feuchte Wärme zwischen meinen Beinen fühlst, die Gier, die meinen Unterbauch beben lässt? Du atmest aus, tief, ruhig, löst dich von mir. Fragend hebst du die Augen, nickst leicht in Richtung des Autos – cabeceo, ich nehme lächelnd an. Wie plump doch Worte wären für uns, die der Tango gelehrt hat, schweigend zu kommunizieren.
Ruhig fahren wir durch die Nacht, jeder hängt seinen Gedanken nach. Wir beide wissen, dass passieren wird, was wir zu verhindern suchten – und wir wissen, dass es gut ist. Dass ein letzter Tango, getanzt an der Schwelle zum Abschied, das fragile Gleichgewicht unser beider Leben nicht stören wird, sondern uns verbinden wird. Nicht mehr nur im Tanz, sondern in unserer Lust, und der Verzweiflung, dass sie kurz nach ihrem Aufflackern enden wird.
Dein Studio, in dem wir viele Stunden geübt haben. Eine Decke auf dem Eichenparkett, das Fenster verdunkelt. Improvisierte Leere, wir dazwischen. Dein Körper, der mir wieder näher kommt, seine Wärme. Ein Kuss auf meinem Hals, deine Hände, die zärtlich über mein Schlüsselbein streicheln. Mein Körper, der sich nach mehr sehnt, zu nehmen und zu geben. Dunkelheit, durchbrochen von den Scheinwerfern, die durch die Jalousien wandern, samtig-weiche Musik. Deine Hände, die mich in Orgasmen schaukeln, dein Körper, der mich dazwischen ruhen lässt, sicher und geborgen. Der sich aufbäumt unter meinen Händen, unter meinen gierigen Küssen. Wortlose, zeitlose, endlose Stunden.
Im Morgengrauen wache ich auf, finde mich an deine Brust geschmiegt, in deinen Armen geborgen. Du schläfst, ruhig und erschöpft, aber mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich weiß, es ist besser, wenn ich gehe, und uns beiden den Abschiedsschmerz erspare. Ein letztes Mal streichle ich über deine Haut, drücke dir einen sanften Kuss auf die Lippen, lege meine Hand auf dein Herz, spüre den Gleichklang mit meinem. Ich lasse meine Liebe zu dir durch meine Hände fließen, senke sie tief in dein Herz. Meine Dankbarkeit, meine Zärtlichkeit, mein Begehren. Alles gebe ich dir, und bin glücklich. Glücklich, dass es dich gibt, dass du mein sein durftest. Glücklich, obwohl während des Fluge meine Tränen deine Zärtlichkeit von meinen Wangen waschen. Du, mein Tänzer. Mein ferner geliebter Tänzer. Esta noche que te fuiste, se muere mi corazón.
Mein Herz ist nicht gestorben in dieser Nacht, und nicht in den endlosen Nächten darauf, als mich die Sehnsucht nach dir wach hielt. Heute noch, auf irgendeiner Milonga, versuche ich dich mit meinen Blicken zu suchen, bis mir bewusst wird, dass es dich nicht mehr gibt, und mein Herz brennt. Sehnsucht nach dir, die meinem Tanz eine schwermütige Tiefe gibt, und meinen Gedanken Flügel. Esta noche que te fuiste, se muere mi corazón. Mein Herz kann nicht sterben, weil du einen Teil davon bei dir trägst.
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