Teil I
„… selbstverständlich. Ich werde mich nach meiner Rückkehr sofort darum kümmern“, spricht er in den Hörer. „Wo soll es denn überhaupt hingehen?“, echot es zurück.
„Ach, ist ja auch egal. Einfach mal abschalten und einigen Frauen mal wieder auf den Hintern schauen, was? Ha ha ha.“
„So in etwa“, antwortet er. „Und Ihnen auch noch ein schönes Wochenende. Auf Wiederhören.“
„Da wo ich hinfahren werde, schaut man nicht nur den Frauen auf den Hintern, aber das werde ich ihnen, verehrter Kunde, bestimmt nicht erzählen“, denkt er vor sich hin.
Ein Blick auf die Uhr. Halb drei. In knapp drei Stunden fährt sein Zug. Genug Zeit, um eine ausgiebige Dusche zu nehmen und einige Sachen für die Reise zu packen. Ein letzter prüfender Blick auf den Schreibtisch, ob er auch wirklich nichts vergessen hat, ein Griff an die Garderobe, der seinem Sakko gilt, und dann fällt die Bürotür ins Schloss.
Urlaub!
Ein herrlicher Septembertag. Strahlend blauer Himmel und eine sanfte Sonne spornen sein Gemüt an. Nachdem er die stark befahrene Straße überquert hat, biegt er in einen schmalen Weg ein, der geradewegs in den Park führt, den er immer durchschreitet um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen. Er lauscht dem Rascheln der Bäume und nimmt den Geruch von frisch gemähtem Rasen auf, und wagt einen übermütigen Blick auf zwei vorbeiradelnde junge Frauen, die mit sehr knappen Shorts und leichten Shirts bekleidet sind und ausgelassen kichernd an ihm vorbei fahren.
Der Hintern von der Dunkelhaarigen ist immer noch vor seinem inneren Auge, als er seine Wohnungstür aufschließt. „Es ist doch erstaunlich, wie schnell der sexuelle Appetit angeregt werden kann“, sinniert er. Zu mindestens, was den männlichen Appetit anbelangt. Bei Frauen kannte er sich da nicht aus. Auf jeden Fall kann er sich nicht daran erinnern, dass ihn mal eine Frau richtig geil oder lüstern angeschaut hat, so, wie uns Männern das gerne nachgesagt wird. Vielleicht tun sie es ja wirklich nicht oder wenn doch, dann so verhalten, dass wir Männer es nicht mitbekommen sollen, weil sie dann befürchten müssten, dass der eine oder andere bei einem solchen Blick die Frage stellen könnte: „Soll ich‘s dir besorgen?“
„Diesen kurzen, theoretischen Ansatz werde ich nach meinen Urlaub an ein Frauenmagazin schicken und hoffentlich eine heiße Diskussion darüber auslösen“, denkt er und lächelt sich dabei ins Gesicht, als er in den Spiegel schaut.
Während er seine Zähne putzt, denkt er darüber nach, welche Garderobe er mitnehmen soll. Dabei ist nicht entscheidend, was ihm besonders gut steht oder was momentan ‚in‘ ist - davon hat er einiges in seinem Schrank - sondern vielmehr, was er ausrangieren will.
Auf Städtereisen, wie die bevorstehenden, hat er sich angewöhnt, sich gleichzeitig neu einzukleiden und beide Städte, sowohl Düsseldorf als auch Paris, lassen eine große Auswahl erwarten.
Natürlich sind auch diese Großstädte nicht von riesigen, gleichaussehenden Einkaufscentren verschont geblieben, dennoch bieten sie, durch einen immer noch breitgefächerten Einzelhandel sehr viel Individualismus beim Shoppen.
Er wählt einen hellen Leinenanzug, kombiniert mit einem schwarzen Hemd und schwarzen Schuhen. Eine weitere Kombination nebst Unterwäsche und Kulturtasche verstaut er in eine kleine Reisetasche, befindet mit einem kritischen Blick durch seine Wohnung, dieselbe für zehn Tage diesem Zustand überlassen zu können und verlässt daraufhin das Haus.
„Der ICE 2041 von Berlin über Magdeburg, Braunschweig, Hannover, Düsseldorf nach Köln wird voraussichtlich 30 Minuten später eintreffen. Wir bitten um ihr Verständnis!“, schallt es durch die Bahnhofshalle, als er diese betritt.
„Ja, nee, ist klar!“ Er hat nichts anderes erwartet. Der wohl am häufigsten gesprochene Satz der Bahn. Wir bitten um ihr Verständnis. Wenn es eine ‚Wir bitten um ihr Verständnis-Kasse‘ geben würde und die Bahn pro Verspätung fünf Euro in dieselbe zahlen würde, dann könnte man binnen kurzer Zeit mit diesem Geld an die Börse gehen.
Er entscheidet sich dafür, einen ‚Wir bitten um ihr Verständnis-Kaffee‘ trinken zu gehen.
Bevor er das Bahnhofscafé betritt, kauft er an dem vorgelagerten Kiosk noch eine Tageszeitung und eine Packung Zigaretten. Er bestellt sich an der Verkaufstheke einen Pott Kaffee und platziert sich auf einen Barhocker, der an der Theke vor dem Fenster steht. Das Café ist gut besucht. Sein Blick schweift durch den Raum und verharrt abrupt an einen Tisch in der Raummitte, an dem eine junge Frau sitzt.
„Das ist doch … nein, das ist sie nicht … oder doch?“ Sein Herz fängt an zu rasen. Hitze durchströmt schlagartig seinen Körper. Wie paralysiert starrt er diese Frau an, kramt in seinem Geiste nach Indizien, die ihm diese Erscheinung, seinen Wunsch, Simone endlich wieder zu sehen, bestätigen sollen. Die Frau erwidert mit strahlend blauen Augen seinen Blick und im selben Moment macht sich Enttäuschung breit. Sie ist es nicht.
Simone hatte wunderschöne, braune Augen. Sie hatte den sinnlichsten Blick, den er je gesehen hatte. Der Spiegel einer lustigen, temperamentvollen und vor allem einer leidenschaftlichen Seele. Kennengelernt hatte er sie auf einer Party, zu der man ihn überreden musste.
Seit der Trennung von seiner Frau lebte er eher zurückgezogen, und es stand ihm nicht der Sinn danach, sich mit Menschen zu umgeben. Erst die Überredungskünste seines besten Freundes: „Mensch Junge, jetzt igelst du dich schon seit 18 Monaten ein, schmollst vor dich hin, arbeitest wie blöd und hast wahrscheinlich eine Sehnenscheidentzündung vom ständigen Wichsen. Du musst mal raus, du musst unter Leute, du musst mal wieder richtig vögeln, du musst…“, machten es möglich, dass er diese Party besuchte.
Simone stand am kalten Büffet und schob sich soeben etwas in den Mund, als er den Raum betrat. Sie trug eine weiße, enganliegende Hose, ein schwarzes Top, das von zwei schmalen Trägern gehalten wurde und weiße, flache Leinenschuhe.
Er begrüßte einige flüchtige Bekannte und hielt nach einem geeigneten Platz für sich Ausschau, als ihre Blicke sich zum ersten Mal trafen. Wie von einem Blitz getroffen durchströmte ein heißer Strahl seinen Körper. Völlig irritiert schaute er schnell weg um seine plötzliche Unsicherheit zu verbergen. Er ging an die Theke, orderte eine Flasche Bier und nahm erst mal einen kräftigen Schluck aus der Pulle. „Wer war diese Frau, die es schaffte, ihn so zu verwirren?“, dachte er, als neben ihm eine Stimme sagte:
“Hallo, ich bin Simone. Ich habe dich noch nie hier gesehen.“ „Hallo, ich heiße Eric, und dass du mich hier noch nicht gesehen hast, liegt daran, dass ich noch nie hier war“. Pause! („Mein Gott, bist du blöd!“, dachte er). „Entschuldigung! Ich…“. „Schon gut, schon gut! Das war ja auch ein dämlicher Einstieg meinerseits“, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen.
“Freut mich, dich kennen zu lernen“. „Ganz meinerseits“, antwortete er und betrachtete sie dabei.
Sie hatte kurzes, rotes Haar, das ihren zarten Teint umschmeichelte. Ihre großen, braunen Augen wirkten neugierig, lebendig, aufgeschlossen und fordernd. „Was für eine schöne, anmutende Frau“, dachte er.
Sie verbrachten den Abend von nun an gemeinsam. Sie redeten unentwegt, scherzten, lachten und flirteten auf Teufel komm raus. Sie hatten fast keinen Tanz ausgelassen und bei ‚Human‘ von den ‚Killers‘ wäre er fast gestürzt vor Glück.
Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er einen so schönen Abend mit einer dazu noch schöneren Frau erlebt hatte. Bei ‚Did Ye get headed‘ von Van Morrison‘ schlang sie zärtlich ihre Arme um seinen Hals und hauchte in sein Ohr: “Ich möchte die Nacht mit dir verbringen“.
Er war froh, dass er in diesem Moment bekleidet war, denn wenn sie gesehen hätte, was ihr heißer Atem auf seinem Hals mit ihm angestellt hatte - seine Gänsehaut war so intensiv, dass sie ihn mit einen Alligator verwechselt hätte - dann hätte sie es sich vielleicht doch anders überlegt.
Schon im Taxi konnten sie nicht mehr voneinander lassen. Er konnte dem Fahrer noch soeben mitteilen, wohin die Reise gehen soll, als sich ihre Zunge fordernd in seine Mundhöhle schob.
Einige Frauen aus seiner Vergangenheit hatten einen schnellen, ja nahe zu unkontrollierten Zungenschlag, eher hektisch, in etwa so, als hätten sie gleich noch einen Termin.
Bei Simone war es anders. Ihre Zunge war nicht spitz und hart geformt, sondern weich und geschmeidig. Ihr Zungenschlag war sinnlich. Langsame, kreisende und zärtlich aufsaugende Bewegungen. Der Gedanke daran, was sie sonst noch mit ihr anstellen könnte, versetzte ihn in freudige Erwartung.
Sie zog ihm das Hemd aus der Hose, um mit ihrer rechten Hand darunter zu schlüpfen um seinen Oberkörper zu erkunden. Sie umkreiste mit ihren zarten Fingern seine linke Brustwarze und …
„Wir sind da, macht 16,50“, sagte der Fahrer.
Eric kramte einen Zwanziger aus seiner Hosentasche heraus und reichte ihn mit den Worten „stimmt so“ weiter und stieg auf der linken Seite aus. Simone folgte ihm von der rechten Seite aussteigend. Die Trennung des Aussteigens erschien beiden viel zu lang, so dass sie sich wieder heftig umarmten, als sie den Gehweg erreichten. Im Laufen tauschten sie Zärtlichkeiten aus, küssten sich leicht stolpernd bis sie die Haustüre erreichten.
Mit zittrigen Händen schaffte er es den Schlüssel ins Schloss zu balancieren.
Währenddessen umarmte sie ihn von hinten, glitt mit ihren schlanken Fingern an seinen Reißverschluss, öffnete ihn und schob ihre Hand hinein. Schwer zu sagen, ob nun sein mittlerweile steifer Ständer oder die zusätzliche Hand in seiner Hose dafür verantwortlich war.
Der Knopf am Hosenbund riss ab und im Nu stand er mit herabgelassener Hose da. Sie mussten beide lachen. „Hoffentlich sieht uns niemand zu“, dachte er.
Mit der linken Hand zog er seine Hose halbwegs hoch und mit der anderen Hand schloss er die Haustür. Schwankend, weil immer noch miteinander verschlungen, erklommen sie die drei Stufen zur Wohnungstür. Gleiches Prozedere. Schlüssel, Schloss, Küssen, Streicheln, Schlüssel drehen und dann waren sie drin.
Er drückte sie sanft gegen die Korridorwand und streifte ihr Top ab. Er hatte es geahnt. Sie trug keinen BH. Ihre Brüste waren eher als klein zu bezeichnen aber im Arrangement mit ihrem schmalen Oberkörper, das Beste, was ihr Schöpfer ihr antun konnte. Er nahm sie auf den Arm, trug sie ins Schlafzimmer und positionierte sie rücklings aufs Bett. Er entblößte ihre Füße, ohne die Schnürsenkel zu öffnen und zog ihr die Hose und den Slip aus. Er vergrub sein Gesicht in ihren Schoß und erkundete ihre glatte Scham.
Alle Sinne bis aufs äußerste geschärft, wollte er es jetzt selbst erfahren. Er hatte schon oft davon gehört, dass man(n) den Rothaarigen einen besonderen Duft und Geschmack nachsagte. Er hatte bisher noch nicht das Vergnügen. Zuerst teilte er mit der Zunge ihre zartrosa anmutenden Schamlippen, um dann mit der Nase in Ihre Grotte zu tauchen.
Wahrhaftig. Ein leichter, lieblicher und süßlicher Geruch breitete sich aus. Ein Geruch nach Pfirsich oder Aprikose. Er konnte es nicht ausmachen, aber der Geruch war betörend. Der Geschmack ihres Honigs war mit nichts zu vergleichen, was er schon kannte. Göttlich. Mal zärtlich, mal heftig spielte er sein Zungensolo.
Mit der Zungenspitze reizte er ihre Perle, um dieselbe danach mit den Lippen zu umschließen und mit leicht saugenden Bewegungen zuckende Blitze an Simones Gehirn zu senden. Ihr Körper vibrierte.
Heiße Schübe durchfuhren ihren Körper und ihre Zehen spielten Piano – woher sonst sollten diese wunderschönen Töne herkommen -, ihre Hände konnten es nicht sein, darin vergrub sie soeben ihr Gesicht, um ihre Freudentränen, ob hin so viel Zärtlichkeit, verbergen zu können. Sie zuckte und zitterte und wurde plötzlich mit gewaltiger Wucht von der Lava der Leidenschaft ins Nirwana katapultiert.
Ihr Körper entspannte sich langsam wieder und als sie die Augen aufschlug, kniete er, mittlerweile entkleidet, neben ihr und betrachtete sie. Ihre Schminke war durch die Tränen etwas verlaufen.
Mit einem Papiertuch aus der Kommode trocknete er wortlos ihre Wangen. Sie setzte sich aufrecht, umarmte ihn und gab ihn einen tiefen Kuss. Ihre Hände glitten über seinen Körper, hin zu seinem stark erigierten Penis. Sie tastete ihn in allen Einzelheiten ab und flüsterte in sein Ohr:
„Ich möchte dich in mir spüren, ich will fühlen, wie du dich in mir ergießt.“
„Das wird nicht lange auf sich warten lassen, befürchte ich. Meine Erregung ist unendlich groß“, sagte er. Sie lächelte ihn an, legte sich wieder auf den Rücken und spreizte ihre Beine.
Er dirigierte seine Eichel durch ihre Spalte und genoss das angenehme, schmatzende Geräusch was dadurch verursacht wurde. Langsam drang er in sie ein.
Seine Bewegung war von äußerster Sanftmut. Selbst kurz vor seinem Höhepunkt hielt er diesen Rhythmus bei, damit sie jede bevorstehende Zuckung von ihm intensiv spüren konnte.
Dann floss es aus ihm heraus. Die vielen, enthaltsamen Monate, dieser wunderschöne Abend und diese fantastische Frau in seinem Bett bescherten ihm einen Megaorgasmus.
Mit unzähligen Schüben entlud er sich in ihr und bei jedem Schub hauchte sie in sein Ohr: “Ich spüre dich. Mein Gott, ist das schön. Ich spüre dich“. Sie liebten sich noch bis zum Morgengrauen. Mal heftig, mal zärtlich, mal animalisch, bis sie beide irgendwann völlig entkräftet aber überglücklich in den längst überfälligen Schlaf entglitten.
Nach einigen Stunden erwachte er und musste feststellen, dass die linke Betthälfte leer war.
Das Kissen von ihr war glattgestrichen und die Bettdecke zur Hälfte aufgeschlagen.
Mit einem Ruck brachte er sich in die sitzende Position und suchte das Zimmer nach ihren Sachen ab. Nichts war mehr vorhanden. Er durchschritt jedes Zimmer in seiner Wohnung. Nichts. Sie war weg, ohne ihm irgendeine Nachricht zu hinterlassen.
So plötzlich wie sie in sein Leben getreten war, hatte sie ihn auch verlassen. Tagelang versuchte er etwas über diese Frau in Erfahrung zu bringen. Selbst sein bester Freund, der Simone an diesem Abend ebenfalls gesehen hatte, wusste nichts über sie.
„Das kann doch alles nicht wahr sein, sagte er. Allein die Behauptung, dass sie mich dort noch nie gesehen hatte, setzt doch voraus, dass sie schon mal dagewesen sein muss. Irgendjemand muss sie doch kennen.“
Nichts.
„Auf Gleis 9 fährt ein, der verspätete ICE 2041 von…. Wir bitten um ihr Verständnis.“
Er erhebt sich von der Bank, die im Raucherbereich steht, zieht noch mal kräftig an der Zigarette, um sie dann im Aschenbecher zu ersticken. Langsam schlendert er in den Bereich C, wo das Bordrestaurant zu stehen kommen soll.
Und so ist es auch. Die Tür springt springt auf und zahlreiche Fahrgäste verlassen den Zug.
Da er sich gut platziert hat, ist er nach dem letzten aussteigenden der erste einsteigende Fahrgast und kann sich somit einen Platz in Fahrtrichtung an einem Zweiertisch im Restaurant sichern. Er verstaut sein kleines Gepäck, entledigt sich seines Sakkos, das er direkt neben sich an einen Haken hängt, fingert noch die Tageszeitung aus der Seitentasche und macht es sich bequem. Bevor er sich der Zeitung widmet, ergreift er die Speisenkarte, von der ihn ein Sternekoch angrinst und ihm mitteilt, dass er für alle Bahnkunden ein neues Essen kreiert hat, das jetzt noch besser, noch feiner und schmackhafter ist als zuvor.
„Die Karte liest sich gut“, befindet er. Sechs Gerichte sind im Angebot, wovon ihn zwei, mit unterschiedlicher Geschmacksrichtung, ansprechen. Zum einen ist es der Germknödel, gefüllt mit Pflaumenmus und zum Anderen der Käseteller mit einer Auswahl von mittelaltem Gouda, Schnittkäse mit Kümmel, Schweizer Bergkäse, Camembert und Roquefort. Für den Käseteller spricht, dass er dazu, den auf der folgenden Seite der Speisenkarte offerierten und nicht immer im Angebot enthaltenden Blauburgunder, als guten Begleiter mit bestellen kann. Ein Wein, in der Farbe Rubin – granatrot, intensiv und anhaltend im Geschmack und ein Bukett von Kirschen oder Waldbeeren.
Das Bordrestaurant ist gut gefüllt, und zwei Kellner haben alle Hände voll zu tun. Der eine nimmt die Neubestellungen auf, während der andere das zuvor Bestellte an die Tische bringt.
Als er den Blick von seiner Zeitung wendet, sieht er den Kellner mit einem Gericht an sich vorbeilaufen um dieses, zwei Tische von ihm entfernt, einer jungen Frau zu servieren.
„ Das muss wohl der Germknödel sein“, sinniert er. „Komisch, den habe ich ganz anders in Erinnerung. Eher halbrund und etwas grösser. Dieser hier ist rund und gleicht einem Tennisball. Ja, wie ein Tennisball, der dazu noch versehentlich in eine 90 Grad Wäsche geraten ist und mit 1100 Umdrehungen durch die Trommel geschleudert wurde“, denkt er mit einem gewissen Übermut ob hin seiner guten Urlaubslaune.
„ Was darf es denn sein, mein Herr“, fragt ihn der andere Kellner. „ Ich habe mich für die Käseplatte entschieden. Dazu hätte ich gerne ein Mineralwasser und eine Flasche von dem Blauburgunder“, antwortet er.
Na ja, eine Flasche ist wohl zu viel gesagt. Eher eine halbe Flasche oder anders gesagt, die Hälfte einer normalen Flasche Wein, also statt 750 Milliliter nur 375 Milliliter, aber dafür zum doppelten Preis.
Sein Blick schweift wieder zu der Frau mit dem Hefekloß. Soeben versucht sie denselben mit der Gabel zu zerteilen, doch die Gabel federt zurück. Ein zweiter Versuch, dieses mal etwas energischer, scheitert erneut.
„ Hefe kann sehr widerstandsfähig sein. Das ist ja fast wie bei Loriot“, denkt er und zieht sich seine Zeitung vors Gesicht, um sein Lachen zu verbergen. Doch sein Lachen wurde schon von ihr entdeckt und auch sie kann sich der Situationskomik nicht entziehen und lächelt ebenfalls.
„ Humor hat sie ja!“
Nun kommt das Messer zum Einsatz. Säbel, säbel, säbel und die Kugel liegt nun in zwei Hälften vor ihr auf dem Teller. „Unglaublich“, scheint sie zu denken. Das versprochene Pflaumenmus ist äußerst übersichtlich. Ihre Gesichtsfarbe wechselt auf rot. „ Sie sieht schön aus, wenn sie so wütend ist“, denkt er. Sie winkt den Kellner herbei, erklärt ihm gestikulierend, dass das, was auf ihrem Teller liegt, inhaltslos ist. Holt etwas Kleingeld aus der Börse, um ihr Getränk zu bezahlen, pfeffert es auf den Tisch, steht auf und verlässt das Restaurant. Völlig irritiert schaut der Kellner ihr nach, ergreift den Teller und trägt ihn eilig zurück in die Küche.
Mittlerweile hat er sein iPhone aus der Innentasche seines Sakkos gefischt und sich ins Navigationssystem eingeloggt. Er imaginiert dem System den Ausgangspunkt HbF Düsseldorf und als Ziel den Standort seines Hotels. Die Entfernungsscala zeigt 6,3 km an.
„Also doch ein Taxi!“
„Die bevorstehende Ausstellung dagegen lässt sich sehr gut zu Fuß erreichen“, stellt er fest, nachdem er nun das Hotel als Ausgangspunkt und den Ausstellungsort als Ziel eingetippt hat. Das Hotel liegt direkt in der Altstadt, in der Nähe vom Grabbeplatz.
Von dort aus prognostiziert das Navigationssystem einen Fußweg von 16 Minuten. Zunächst biegt er auf dem Display in die Hunsrückenstrasse, passiert die Bolker-und Flingerstrasse, biegt dann zunächst rechts ab in die Wallstrasse und dann die erste links in die Mittelstrasse, die dann direkt zur Bastionstrasse, dem Ausstellungsort, führt.
Der Kellner serviert ihm das Essen, füllt die Gläser mit Getränken auf und wünscht ihm einen guten Appetit.
„Die Käseplatte sieht sehr gut aus“. Er schneidet ein Stück vom Roquefort ab, schiebt es genüsslich in den Mund, spült es mit einem Schluck Wein hinunter und legt sich ein wenig zurück, um dieses Arrangement auf der Zunge zergehen zu lassen und geht dabei gedanklich an die Anfänge seiner Urlaubsplanung zurück.
Eigentlich war seine Reise auf Paris beschränkt. Na gut, es hätte auch Frankfurt, München, Berlin oder sonst irgendeine Stadt sein können, wenn eine von diesen Städten in diesem Zeitraum ein solches Highlight zu bieten gehabt hätte. Zu seiner großen Freude war es Paris, das Kunstfreunde aus aller Welt anlocken würde.
Gemeint ist die Ausstellung: Meisterwerke der erotischen Kunst. Mehr als 1000 Exponate von Beginn des 16.Jahrhundert bis zur Gegenwart sollen auf mehr als 2000 Quadratmetern ausgestellt werden. Künstler wie Egon Schiele, Picasso, Gustav Klimt oder Henri Matisse, um nur einige zu nennen, werden mit ihren Werken vertreten sein. Ein Spektakel. Ein Hochgenuss für Freunde der erotischen Kunst.
Es war ein Kraftakt eine Dauerkarte für diesen Event zu erwerben. Und es war der Verdienst seiner anhaltenden Hartnäckigkeit, eine Karte in seinen Händen halten zu dürfen.
Ursprünglich wollte er fliegen, doch genau an dem Tag, als er den Flug buchen wollte, erhielt er per Post diese Einladung nach Düsseldorf.
Ein Geschäftspartner, für den er über Monate beratend tätig war, lud ihn zu einer Vernissage ein.
Bei den vielen gemeinsamen Treffen, die bei einer beratenden Funktion unerlässlich sind, haben sie im Laufe der Zeit Freundschaft geschlossen. Sie plauderten oft über private Dinge und stellten irgendwann fest, dass sie beide ein Faible für erotische Kunst hatten. Schon damals hatten sie sich über diese Vernissage unterhalten, die aber zu dieser Zeit noch in den Kinderschuhen steckte. Er hatte nicht mehr bis zum Erhalt dieser Einladung daran gedacht. Nun war es soweit.
Ebenfalls eine erotische Ausstellung. Nicht so imposant wie die in Paris, aber mindestens so interessant. Gezeigt werden Original Radierungen, Lithographien und Zeichnungen der erotischen Kunst vom 18. bis zum 21.Jahrhundert. Hervorragende Künstler zeigen hier außerordentliche delikate Werke. Viele dieser Kunstwerke befinden sich in Privatbesitz und zahlreiche Werke sind auch käuflich zu erwerben, wurde ihm versichert. Das machte den Besuch dieser Vernissage besonders attraktiv.
Als der Zug Hannover erreicht, ordert er noch eine weitere Flasche vom dem ausgezeichneten Wein.
Der Bahnhof ist rappelvoll und ein hektisches Aus- und Einsteigen beginnt. Alle anwesenden Restaurantbesucher bleiben auf ihren Plätzen.
Unter den Neuzugängen macht er als erstes eine Frau aus, die zielgerichtet seinen Tisch ansteuert und leicht ächzend eine Reisetasche hinter sich herzieht.
„Entschuldigung, ist hier noch frei?“ „Ja, bitte.“ antwortet er und erhebt sich, um ihr beim Verstauen des Gepäcks behilflich zu sein.“ Darf ich?“ fragt er und greift zur Tasche, um dieselbe auf die Gepäckbank zu hieven.
“Oh, sammeln sie Steine?“ „Das ist mir jetzt etwas peinlich“, antwortet sie. „Natürlich sammle ich keine Steine und wenn, dann schleppe ich sie bestimmt nicht durch die Gegend. Es ist vielmehr meine Unentschlossenheit, die sich bei jeder Reise einstellt, wenn es um die Wahl meiner Kleidung geht. Ich kann mich einfach nicht entscheiden und ich weiß jetzt schon, dass ich die Hälfte dieser Sachen nicht brauchen werde“, sagt sie mit einem bezaubernden Lächeln.
„Danke! Sie sind wirklich sehr freundlich. Darf ich mich vorstellen? Monica von Lucke.“
„Es freut mich sehr, sie kennen zu lernen. Eric Bodrin“, antwortet er. “Bitte, nehmen sie doch Platz.“
Er beobachtet ihre grazilen Bewegungen, während sie sich ihrer leichten Jacke entledigt. Ihr mittellanges, schwarzes Haar hat sie zu einem Zopf gebunden.
Die dunkelgrüne Leinenbluse trägt sie leger über einen knielangen schwarzen Rock. Ihr Teint ist von der Sonne verwöhnt und betont ihre strahlend grünen Augen. Eine unglaublich elegante Erscheinung. Eine Dame aus gutem Hause. Wahrhaftig. Eine sehr beeindruckende Frau.
„Frau von Lucke, ehm, bevor ich womöglich aufdringlich erscheine, würde ich Ihnen gerne eine Frage stellen.“ Monica, bitte nennen Sie mich Monica“, unterbricht sie ihn.
„Ja, also Monica. Wünschen Sie eine Konversation oder ist es Ihnen lieber, wenn ich mich in Schweigen hülle?“
„Ich finde unsere Begegnung jetzt schon bereichernd“, sagt sie mit einem leichten Zucken oder eher mit einem Muskeltick in der linken Augenbraue. „Und ich würde es gerne auf eine Konversation ankommen lassen, Herr Bodrin.“
„Eric, bitte nennen sie mich Eric.“ Und beide fangen an zu lachen.
Sie schwatzen über Gott und die Welt und eine weitere Flasche Wein ist schon bestellt, als plötzlich sein iPhone klingelt.
„Bodrin.“ „Eric mein Lieber, wo erreiche ich Sie gerade? Sind Sie schon in Düsseldorf? Gefällt Ihnen das Hotel, was ich für Sie ausgesucht habe?“
„Guten Abend, mein lieber Baldur. Ich sitze noch im Zug und werde in Kürze in Düsseldorf eintreffen. Ich bin davon überzeugt, dass Sie das richtige Hotel für mich gebucht haben und meine Freude über ein Wiedersehen mit Ihnen und über den Besuch Ihrer Vernissage ist riesig.“
„Ganz meinerseits, mein Freund. Meine Frau kann es auch kaum erwarten, Sie endlich kennen zu lernen. Ich wünsche noch eine gute Reise und dann sehen wir uns morgen um 16.00 Uhr. Auf Wiederhören.“ „ Ja, dann bis morgen. Auf Wiederhören“, antwortet er und drückt sogleich die Taste mit dem roten Hörer.
Als er wieder den Blickkontakt zu ihr sucht, sieht er es wieder. Tick. Tick. Ihr Gesichtsausdruck wirkt überrascht. „Das ist es vielleicht. Wenn sie überrascht, erregt oder entzückt ist, dann hat sie diesen Muskeltick“, denkt er.
„ Monica, stimmt irgendwas nicht? Sie wirken irritiert.“
„ Zugegeben, das bin ich auch. Bitte halten Sie mich nicht für indiskret aber ich konnte Ihr Gespräch ja gar nicht überhören. Der Name Baldur und die anstehende Vernissage lassen bei mir den Schluss zu, dass wir einen gemeinsamen Bekannten haben. Sie wohnen nicht auch zufällig im …“, fragt sie, als es erneut klingelt. Dieses Mal ist es ihr Handy. Sie schaut aufs Display, sieht den Namen Baldur und nimmt das Gespräch an.
„Nein, ich bin noch nicht in Düsseldorf. Stattdessen sitze ich noch im Zug und genieße mit Herrn Bodrin einen wirklich schönen Wein.“ Stille am anderen Ende.
„Du meinst, du sitzt mit Eric zufällig im gleichen Zug. Das glaube ich jetzt nicht. Das ist ja fantastisch. Das ist kein Zufall mehr, das nenne ich Fügung, meine Liebe. Wenn ich Veronika davon erzähle, dann wird sie vor Neid platzen. Ihr ist es nämlich noch nicht gelungen, diesen reizvollen Menschen kennen zu lernen.“
„ Letzteres kann ich durchaus bestätigen. Aber lass uns morgen weiter sprechen. Die Verbindung ist sehr schlecht. Ich freue mich auf euch. Bis morgen.“
„ Bis morgen Monica.“
„… in wenigen Minuten erreichen wir Düsseldorf Hauptbahnhof. Folgende Anschlusszüge stehen …“
„ Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gerne den Rest dieser Reise mit ihnen zusammen fortsetzen. Das hätte auch den Vorteil für Sie, dass wir das Gepäck tauschen könnten“, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln.
„ Es ist mir nicht nur recht, ich bestehe sogar darauf!“, lächelt sie zurück.
“ Und ich kann es kaum erwarten, mit Ihnen zusammen erotische Kunst zu genießen…“
Fortsetzung folgt??? Was meinst Du, geneigter Leser oder geneigte Leserin?
schreibt Kakadu62