Sie küssten sich im Cafe, spätnachmittags, mitten im Gewühl der Leute.
Wohin gehen wir? fragte sie. Mein Hotel ist nicht besonders einladend.
Meines auch nicht. Er zögerte. Allerdings ... ich wüsste da einen besonderen Ort. SeineStimme klang düsterer als er beabsichtigt hatte.
Interessiert weiteten sich ihre Augen. Dann lass uns gehen, antwortete sie.
Sie hatte keine Angst.
Nicht sie, nicht vor ihm.
*
Wie in jungen Jahren trug sie ihr brunettes Haar kurz und ein wenig gelockt. Die ersten Falten fanden sich in ihrem Gesicht und die Haut unter den Augen war schon etwas schlaff, man sah, sie hatte gelebt. Und doch sie war diese souveräne, attraktive Frau wie eh und je.
Ihre Figur war immer noch atemberaubend, denn körperliche Anstrengung war ihr nie zuwider gewesen, nicht auf dem elterlichen Bauernhof, nicht im eigenen Garten und nicht beim täglichen Dauerlauf vor dem Frühstück.
Wäre er nicht so erpicht darauf, in den Augen einer jeden Frau lesen, die ihm selbstbewusst entgegenblickte, ein kurzes Geplänkel, in dem hemmungsloses Begehren und vornehme Zurückhaltung eine untrennbare Vereinigung eingingen, er hätte sie im Vorbeigehen in der Fußgängerzone, im Kostümchen mit Business-Rolli und Pumps, gar nicht erkannt.
Lena war ihm nur erinnerlich in Jeans und Lederjacke oder vergleichbar lässiger und ihre Vorzüge wie ihre legere Art bestens hervorhebender Kleidung.
Freudig verwundert hatte sie laut seinen Namen gerufen und schnell entwickelte sich ein Gespräch, das sie schließlich in die Lokalität verlagerten, vor der sie sich so unerwartet getroffen hatten.
*
Ihre erste Begegnung hatten sie im zarten Alter von fünfzehn im Tanzkurs.
Eine schier unüberschaubare Menge an Mädchen und Jungs hatte, aufgestellt in zwei ineinander angeordneten Kreisen, mit dem jeweiligen Gegenüber ein paar kurze Drehungen zu absolvieren, um einen Überblick über taugliche Zusammenschlüsse für die folgenden Schreckenswochen zu gewinnen, Speed-Dating lange vor seiner Begriffwerdung.
Lenas Gesichtsausdruck war angesichts seiner ungelenken dilettantischen Bewegungen von Fassungslosigkeit im Grenzbereich zur Verachtung geprägt. Sie suchte das Weite und sich zielsicher einen anderen.
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