Lenia

Lustvolle Begegnungen

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Lenia

Lenia

Alina Soleil

Langsam werde ich ungeduldig. Wir hatten uns für acht Uhr an der Hotelbar verabredet, gleicher Ort, gleiche Zeit, wie immer, wenn ich in Berlin auf Geschäftsreise bin. Etwa einmal im Quartal muss ich in mein Büro am Potsdamer Platz, ansonsten bin ich meist in Paris oder London zugange. Wir treffen uns dann im Grand Hyatt, genauer gesagt im Jamboree, einer Bar, die zwar im Hyatt untergebracht ist, aber nicht offiziell zum Hotel gehört. Selbstverständlich habe ich für die Nacht auch ein Zimmer in dem Fünfsternehotel gebucht. Das ist zwar nicht billig, aber das Hyatt hat alles, was das Herz begehrt: ein perfektes Restaurant, hervorragenden Service, exzellente Betten, einen schönen Wellnessbereich mit Pool und Saunas, und ein sehr gut ausgestattetes Fitnessstudio. Das brauche ich immer am Morgen danach.

Die Nacht im Hyatt ist nämlich oft eher kurz. Und wenn ich wenig geschlafen habe, dann hilft mir moderates Ausdauertraining auf dem Laufband und ein wenig Krafttraining am besten, um wieder in die Gänge zu kommen.

Inzwischen ist es zwanzig vor Neun. Ist ihr vielleicht etwas zugestoßen? Ich habe mein iPhone permanent im Blick und auch schon versucht, Lenia per WhatsApp zu erreichen, aber die Häkchen sind grau geblieben. Eigentlich heißt sie gar nicht Lenia, sondern Lara. Wir tun nur so, es ist ein Rollenspiel. Lara, meine Frau, gibt sich als eine Escort aus, die ich auf meiner Dienstreise (die gar keine ist, wir haben uns nur zwei Tage freigenommen) buche. Den Namen Lenia hat übrigens meine Frau vorgeschlagen. Ich fand den auf Anhieb gut. Klingt ein wenig wie Lena. Und die sieht meiner Frau ziemlich ähnlich. Oder andersrum. Meine Frau wurde schon öfter für Lena gehalten, es kamen sogar schon Leute und wollten Autogramme von ihr.

Ich heiße Frank, also im wahren Leben. Und bin Lehrer für Deutsch und Geschichte. In unserem Rollenspiel schlüpfe ich in die Gestalt von Marcello, einem stinkreichen und vielbeschäftigten Makler von Luxusimmobilien, der zwischen den Metropolen dieser Welt hin und her jettet.
Mein Leben spielt sich dagegen überwiegend in Eschborn ab, einer Kleinstadt in der Nähe von Frankfurt.

Als Marcello werde ich langsam ärgerlich, als Frank beginne ich, mir Sorgen zu machen. Ich rufe sie jetzt an.

Das Telefon klingelt, und klingelt. Und klingelt. Nichts. Kein AB, keine Lenia. Wir haben uns in der Schule kennengelernt. Also Lara und ich (Lenia kam erst viel später in unser Leben). Wir waren beide in der gleichen Klasse und sind uns auf einer Studienfahrt nach München nähergekommen. Lara hat noch eine Zwillingsschwester, die ihre Eltern witzigerweise Klara genannt haben, um die Leute zu ärgern, wie sie uns mal erzählten. Lara, Klara, das kann ja kein Mensch auseinanderhalten. Die Mädchen sahen sich damals ähnlich, und die Eltern haben sie immer gleich angezogen, solange sie noch klein waren. In der Schule hat man die beiden aber sehr schnell in verschieden Klassen gesteckt, um den Lehrern das Leben einfacher zu machen. Ich habe oft überlegt, ob ich mich vielleicht in Klara verliebt hätte (und sie sich in mich?), wenn sie statt Lara in meiner Klasse gewesen wäre. Später haben die beiden sich charakterlich deutlich voneinander entfernt, auch wenn sie sich immer noch zum Verwechseln ähnlich sind. Ich bin mir aber sicher, ich würde sie jederzeit unterscheiden können. Lara und ich haben schnell geheiratet und sind seitdem ein Paar, Klara hat es nie lange in ihren Beziehungen ausgehalten.

Gerade, als ich ihr Lara aka Lenia eine weitere Message texten möchte, sehe ich sie endlich am Eingang! Sie redet kurz mit dem Concierge, der zeigt auf meinen Tisch, sie nimmt Blickkontakt mit mir auf, redet dann aber wieder mit dem Mann am Empfang. Der schaut in das Buch, das vor ihm auf dem kleinen Stehpult liegt, sucht etwas, telefoniert kurz mit jemanden, notiert etwas, redet wieder mit Lenia. Worüber quatschen die bloß? Lenia nickt kurz, der Typ deutet nochmal zu mir rüber, dann endlich kommt sie her. Ich bin immer wieder fasziniert, wie perfekt Lara die Rolle des Escort-Mädchens spielt. Als Lenia bewegt sie sich anders, ihre Schritte sind selbstbewusster, dominanter und gleichzeitig weiblicher, jeder Move ein Ausdruck von Stolz. Und Sex.

„Tut mir leid, Marcello, mein Porsche hatte eine kleine Auseinandersetzung mit einem Smart. Der hat mir an der Ampel die Vorfahrt genommen. Es ist zum Glück nicht viel passiert, nur ein winziger Kratzer in seiner Stoßstange. Bei mir ist nichts zu sehen. Wir haben trotzdem Telefonnummern ausgetauscht, Versicherungsdaten, den Kram halt. Das hat leider eine Weile gedauert.“
Natürlich hat Lara keinen Porsche. Ich meine Lenia.
Ach Mann, so langsam muss ich im Kopf mal umschalten: Hey, It’s Role-Play-Time!
„Kein Problem, meine Liebe“ sage ich „Wenigstens ist Ihnen nichts passiert. Champagner?“ Wir reden uns mit Vornamen und Sie an.
Lenia nickt, setzt sich anmutig auf den Stuhl, schlägt die Beine übereinander, dabei blitzt der Saum ihrer halterlosen Strümpfe unter dem kurzen Kleid auf. Ich winke dem Kellner.
„Zwei Gläser Champagner bitte.“
„Ich würde gerne auch einen Happen essen“, sagt Lenia, „Champagner auf nüchternen Magen ist vielleicht keine so gute Idee.“
„Und die Karte bitte!“, rufe ich dem Kellner hinterher.
Ich wende mich wieder meiner Escort-Dame zu. Sie sieht bezaubernd aus. Die langen schwarzen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, eine vorwitzige Strähne fällt ihr in das nur dezent geschminkte Gesicht. Große, dunkle Augen, sinnlicher Mund, schmales Kinn. Sie ist eher zierlich, hat kleine, feste Brüste, eine sportliche, schlanke Taille. Ihr süßer Po kommt in dem schwarzen Minikleid gut zur Geltung. Ich könnte mich jedes Mal neu in sie verlieben, wenn wir uns sehen. Es macht mich heiß, wenn Lenia solche Sachen trägt. Meine Lara zuhause ist eher praktisch unterwegs, Jeans, Pulli, Baumwollschlüpper. Aber Lara ist jetzt Lenia. Meine Escort. Und in unserem Rollenspiel geht es um Sex. Gegen Geld. Also nix mit Verlieben, keine weitergehenden Emotionen, bitte.
„Was gibt’s Neues bei Ihnen, seit dem letzten Mal?“, will ich wissen.
Lenia erzählt von ihrem Trip nach Rom, von ihrem Besuch im Vatikan („wenn diese Leute wüssten, womit ich mein Geld verdiene“), von der geführten Tour durchs Colosseum. Ich bin fasziniert, wie Lara bloß so schnell und detailreich als Lenia all diese Geschichten erzählen kann, fast so, als wäre sie wirklich dort gewesen. Dabei steht Rom noch auf unserer ToDo-Liste als Klara und Frank.
Der Kellner bringt die Karte und die beiden Champagner.
„Auf eine unvergessliche Nacht.“
„Auf uns.“
Die Gläser klingen edel, als wir anstoßen. Der Schaumwein dagegen ist für meinen Geschmack eine Spur zu sauer.
Lenia bestellt sich eine Portion Austern und Süßkartoffelpommes. Seltsame Kombi, denke ich und ordere eine extra Portion Pommes für mich.
Dann fährt Lenia mit der Rom-Geschichte fort, berichtet von einem Spaziergang durch die Gärten der Villa Borghese, ein Ort, den vor allem verliebte Pärchen sehr gerne aufsuchen und schildert sehr detailliert eine private Ausstellung mit erotischen Objekten, die im antiken Pompeij gefunden wurden.
„Eine Story muss ich Ihnen aber unbedingt noch erzählen“, sagt sie und lächelt verführerisch, „sozusagen als Warmup für nachher.“
Der Kellner bringt die Pommes und die Austern. Lenia nimmt sich eine, öffnet sie gekonnt, träufelt etwas Zitrone drauf und schlürft sie dann genussvoll aus.
„Können Sie sich vorstellen, dass ich einem Kunden einen Blowjob gegeben habe, mitten in einem vollbesetzten Restaurant, unter dem Tisch. Und niemand hat etwas gemerkt?“
„Nein, echt jetzt?“ Ich falle aus der Rolle, Marcello würde anders antworten.
„Erzählen Sie mir mehr. Ich will Details hören.“
„Also, wir waren in so einem edlen Schuppen an der Via del Vantaggio, unweit vom Piazza del Popolo. Der Laden hat sogar einen Michelinstern, wenn ich mich recht erinnere. Innen eher ein kühles Ambiente, sehr technisch. Weiße, kahle Wände, schwarze Decke, blauer Teppichboden. Eigentlich nicht so mein Ding. Aber die Tische stehen weit auseinander und haben lange, weiße Tischdecken, bis runter auf den Boden. Und darauf kommt’s an.“

Ich ahne, worauf sie hinauswill. Die Pommes sind lecker.

„Ich sitze also mit meinem Kunden an einem der Tische auf der kleinen Empore, das ist ein etwas abgetrennter Bereich, zwei Stufen höher, mit so einem Geländer zum Hauptraum, wohl damit niemand runterfällt. Wir haben den letzten Tisch hinten in der Ecke, ich sitze ihm gegenüber, er mit der Wand im Rücken.“

Lenia nimmt die nächste Auster.

„Der Kunde sagt zu mir: Wie weit wären Sie bereit zu gehen? Ich so: was meinen Sie? Er: verbotene Dinge zu tun.“

Sie nippt am Champagner und fährt fort: „Was meinen Sie mit verbotenen Dingen, frage ich ihn. Er dann: zum Beispiel jemandem einen zu blasen. In einem vollbesetzten Restaurant.“

„Und, was haben Sie gesagt“, will ich wissen und nehme mir betont lässig eine weitere Pommes.

„Kein Problem, habe ich gesagt. Gleich hier?
Gleich hier hat er geantwortet.“

Die nächste Auster verschwindet in Lenias Mund.
„Ok, habe ich gesagt, das kostet aber extra.“
„Wie viel extra?“ will ich als Marcello wissen. „Wie viel haben Sie verlangt?“
„Fünfhundert.“
„Und, hat er’s gemacht? Ich meine, haben Sie’s gemacht?“
„Klar.“
„Glaub ich nicht.“ Ich beiß mir auf die Zunge. Bleib in der Rolle, du bist Marcello!
„Ich fürchte, Sie tischen mir hier eine erotische Flinte auf. Wie soll das gehen? Das Restaurant war doch bestimmt voller Menschen!“
„Ja und nein. Der Laden war schon voll, aber der Tisch neben uns war noch frei.“
„Aber wenn Sie mir nicht glauben, dann brauche ich auch nicht weiter zu erzählen.“
Sie nimmt drei Pommes auf einmal und steckt sie sich in den Mund.
„Doch, doch, bitte, fahren Sie fort.“
Lenia nimmt einen großen Schluck Champagner und erzählt weiter.
„Das Problem war: wie komme ich unter den Tisch? Einmal dort würde mich niemand sehen können. Dann käme es nur noch darauf an, wie gut mein Kunde sich beherrschen kann. Alles in allem also schon eine prickelnde Aufgabe. Aber machbar.“
„Und, wie haben Sie’s angestellt? Etwas runterfallen lassen, so getan, als wollten sie es aufheben und dann unter den Tisch geschlüpft?“
„Nein, das geht nur im Film so.“ Sie nimmt eine weitere Pommes „Mein Kunde hatte Vorkehrungen getroffen.“
Jetzt findet auch die letzte Auster den Weg in Lenias Mund.
„Er sagte zu mir: ich rufe gleich jemanden an. Einen guten Freund. Schauspieler. Er wird zur Tür reinkommen und laut ‚allemal herhören‘ rufen. Das ist der Moment, den müssen Sie nutzen. Niemand wird auf Sie achten, alle werden nur den Typen an der Tür anschauen. Als nächstes wird er fragen ‚kennt hier jemand einen Mister Panini?‘ Natürlich gibt es keinen Herrn Panini, ich hoffe es zumindest. Ich werde dann aufstehen und zu ihm rübergehen. Sie sollten dann längst unter dem Tisch verschwunden sein. Ich werde so tun, als würde ich mich mit ihm unterhalten. Danach komme ich an den Tisch zurück. Den Rest erledigen Sie.“
Über den Rest möchte ich auch gerne noch viel mehr erfahren, aber ich frage zunächst: „Und, hat das so funktioniert?“
„Ja. Genauso. Der Typ kommt rein, macht seinen Spruch, alle drehen sich zu ihm um, ich verschwinde unter dem Tisch, mein Kunde kommt zurück. Der Rest war dann einfach.“

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