Luna hatte breite Lippen. Das war ihr Hauptmerk- mal. Breite Lippen. Lunas Vater war Nigerianer, die Mutter kam aus Eritrea. Die beiden hatten Luna breite Lippen geschenkt. Gelassenheit auch. Luna saß in der Nähe des Bahnhofs in einem Café und nestelte in ihrer Tasche nach der Pomade. Damit hielt sie ihre Lippen feucht. Klar. Die Luft war ja so was von trocken in dieser kleinen süddeutschen Stadt.
Luna trug an jenem Donnerstagmorgen einen senfgelben Pullover, der sie eher schlecht vor der Kälte schützte – und stillte ihre vier Monate alte Tochter. Das war für sie etwas ganz Natürliches, das öffentliche Stillen. Genussvoll nippte sie dazu an ihrem Espresso. Gesättigt und müde war ihre kleine Joenne; der Kopf des Babys kippte zur Seite.
Herr Berger ließ sich den kurzen Moment nicht entgehen, in dem Lunas Brustwarzen zu sehen wa- ren. Große, dunkle und steife Brustwarzen hatte Luna, das gehörte doch zum Stillen, die steifen Nippel. Diskret blickte Herr Berger wieder zur Seite, so, als hätte man ihn ertappt. So, wie das die meisten Männer tun. Nachdem sie hingeschaut haben. Ts ts, so etwas tut man doch nicht! Einer stillenden Mutter auf den Busen... ts, ts.
Da war aber dieser erregende Kontrast von senf- gelbem Pullover und Nippeln einer Eritrea-Nigerianerin... Herr Berger war angenehm erregt.
„Comment s’appelle la petite?“, fragte er mit gespielter Neugier und beugte sich über den kleinen Bistrot-Tisch. „Ich spreche auch Deutsch“, informierte ihn Luna und zog ihren Pullover zurecht. Eine kleine nasse Spur zeichnete sich auf der Baumwolle ab, an der Stelle, wo noch ein wenig Milch aus ihrer Brust tröpfelte. Die kleine Joenne sog gut; Luna begriff nicht, wieso die Europäerinnen oftmals eine Stillberatung benötigen.
Es war doch ein so natürlicher und problemloser Prozess, einem Kleinkind zu Trinken zu geben... die Leute hier waren so was von degeneriert, dachte sie oft bei sich, verdrängte aber solche Gedanken so- fort. Sie musste froh sein, hatte sie trotz ihrer dunklen Haut überhaupt eine Stelle und eine Wohnung gefunden. Freunde hatte sie keine in Deutschland. Herr Berger auch nicht. Er sah bedeutend älter aus, als er war, mit seinen 40 Jahren... Nicht nur sein sich lichtendes Haar wies auf unaufhaltsamen Zer- fall hin, sondern auch seine schweren Augenlider, die er schon lange hätte liften lassen, wenn nur das Geld... das ihm sein Vater als Vorerbe versprochen hatte, endlich daher gekommen wäre.
Herr Berger lebte seit Jahren allein, war zwei Mal geschieden. Da lächelte ihn Luna an! Ihr Lächeln brannte sich mitten in sein Herz. Als sie aufstand, konnte Herr Berger nicht anders, als auf ihre Beine zu starren. Sie steckten in engen Jeans, waren endlos und mündeten im Nirvana.
Hilfsbereit erhob sich Herr Berger und half Luna, die Kleine in den schäbigen Kinderwagen zu packen. Luna dankte es ihm erneut mit einem Lächeln. Sie wohnte gleich um die Ecke, hatte sich bloß diesen kleinen Espresso gönnen wollen. Mehr nicht. Aber da war dieser Mann. Herr Berger. Er erinnerte sie stark an ihren älteren Bruder. Kokett zwinkerte sie ihm zu.
Wie es zu einem Gespräch kam zwischen diesen beiden völlig unterschiedlichen Personen, ist schwer zu sagen. Luna redete mit einem Mal drauflos; Herr Berger warf Fragen dazwischen. Die Nervosität der beiden war greifbar. Senfgelber Pullover, dunkle Haut, Jeans. Reizbegriffe für Herrn Bergers Beuteschema.
Älterer, wohl erzogener, vermutlich gut situierter Herr. Nicht gerade Lunas Traum, aber wieso sollte nicht auch sie mal ihren Spaß haben? Sie war allein erziehend und wusste nicht genau, von wem ihr Kind war. Das hatte fatale Auswirkungen auf die Gerichtsverhandlungen gehabt. Anzeige gegen Unbekannt? Was hätte sie tun sollen? Herr Berger folgte ihr zur kleinen Wohnung um die Ecke.
„Ich wohne im Erdgeschoss“, sagte Luna bestimmt und suchte den Haustürschlüssel. Herr Berger, seit Monaten arbeitslos, hatte nur noch Augen für den senfgelben Pullover. Modefotograf war er gewesen, ehrlicher gesagt, Assistent. Er durfte das Layout entwerfen, das wiederum von anderen definiert wurde. Mit Kontakten zu den Models war da gar nichts. Der Mann von der Straße stellt sich das kreuzfalsch vor.
Im Treppenhaus roch es nach Kohl. Da war dieser typische 40er-Jahre-Geruch, wie ihn schon Heinrich Böll in seinem frühen Werk beschrieben hat. Lunas Wohnung war stickig und keineswegs kinder- gerecht. Für die arme Joenne hatte sie aber einen wunderschönen kleinen Platz hergerichtet; der Wickeltisch war mit einem fröhlichen Giraffenmuster überzogen. Joenne schlief tief und fest.
Liebevoll legte Luna die Kleine ins Korbbettchen, deckte sie zu und küsste sie leise auf die Stirn. Herr Berger war ergriffen. Dann wandte sich Luna ihm zu. „Kaffee?“, fragte sie in bestem Deutsch. „J... ja gerne!“
Die Küche war eng – viel zu eng für zwei Personen, die sich kaum kannten. Herr Berger hatte eine feine Nase und konnte Luna jetzt riechen. Sie duftete anders als die weißen Frauen, die er bisher kennen gelernt hatte – irgendwie kräftiger.
Lunas Herz klopfte bis zum Hals. Irgendwie stieß dieser Mann sie ab – und zog sie zugleich an. Sie wusste genau, wohin er jetzt starrte. Sie war stolz auf ihren Hintern am Horizont ihrer nicht enden wollenden Beine. Die Jeans saß faltenfrei. Ob sie einen String trug?
Gedankenverloren starrte Herr Berger auf ihre cremefarbenen Pasito-Schuhe. Wieso trugen so viele farbige Frauen cremefarbene Schuhe?
Die Weißen bevorzugten schwarzes Schuhwerk, das war eindeutig, galt als elegant... aber Frauen wie Luna?
In der Küche war wegen der Dunkelheit nicht viel zu erkennen; lediglich eine endlose Batterie von Gewürzen. Ob sie sich überhaupt zurecht fand im großen, kalten Deutschland? Der Beschützerinstinkt in Herrn Bergers Innerem begann sich zu regen.
Luna war eine selbstbewusste Frau – das spürte er. Die Vorstellung, sie sei hilflos und auf Männer wie ihn angewiesen, versetzte ihm einen intensiven Kick. Dann richtete Luna zwei völlig verschiedene Kaffeetassen, klaubte drei Stück Würfelzucker aus einer Dose und legte sie aufs Servierbrett.
„Wir gehen nach drüben“, lud sie Herrn Berger ein. „Drüben“ war nun wirklich ein Loch. Eine riesige Matratze bedeckte den Boden; drei Voodoo- Puppen standen in einem ansonsten leeren Regal. Dem tiefreligiösen Herr Berger stockte der Atem.
„Teufelsfrau?“, dachte er bei sich. „Darf ich überhaupt...“, aber das Blut in seinem Kopf rauschte und hinderte ihn am Denken. Luna setzte das Serviertablett auf der Matratze ab. Erst jetzt entdeckte Herr Berger, dessen Augen sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt hatten, die riesigen Bilder, die die Wände bedeckten. Es waren Ritualbilder; mit unzähligen Menschen darauf. Diese Menschen waren nackt, irgendwo glomm Feuer; Knochen waren zu sehen, Naturgewächs und bizarre Tiere.
Würde Luna mit ihm schlafen? Mit einem Mal war ihm mulmig zumute. Dann starrte er auf Luna. Diese zog ein langes Messer unter der Matratze hervor und begann, ihren Pullover damit aufzuschneiden. Es gab ein unangenehmes ratschendes Geräusch – aber bevor Herr Berger darüber nachdenken konnte, stand Luna mit blitzendem Gebiss und nacktem Oberkörper vor ihm.
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