Gleich wird es soweit sein. Gleich wird etwas Sensationelles geschehen, etwas Einmaliges, etwas Revolutionäres. Ein Ereignis, das langfristig das Zusammenleben der Menschen verändern würde, wie die Erfindung der Kondome, der Antibabypille oder von Viagra. In ein paar Minuten würde die Frau, die in einiger Entfernung allein an einem Tisch sitzt, aufstehen, zu ihm kommen, ihn verwirrt und aufgeregt anschauen und ihn dann anflehen, etwas ganz Bestimmtes zu tun. Wenn er sich weigern, sie abwimmeln oder gar auslachen würde, wäre das eine Katastrophe für sie und sie würde voller Verzweiflung in Tränen ausbrechen. Natürlich wird er sie weder abweisen noch auslachen, denn er will ja, dass sie genau das tun wird. Er wird ihren seltsamen Wünschen nachkommen, weil er jetzt schon weiß, was sie will und warum sie ausgerechnet zu ihm kommt.
Angespannt, mit leicht zitternden Händen, streicht er über sein Handy und stellt sich dabei genau diese Situation vor. Wenn die Frau kommt, wird sie ihn auffordern, mit ihr in das Hotel auf der anderen Straßenseite zu gehen. Sie wird dies aus einem einzigen Grund tun. Sie will, dass er mit ihr schläft, dass er Sex mit ihr hat, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Seine Gedanken schweifen ganz kurz ab, als er sich vorstellt, was dort ablaufen könnte, in dem Hotel. Viel wichtiger aber ist, ob sie zu ihm kommen wird. Was wäre, wenn sie, wider alle Erwartung, einfach an ihrem Tisch sitzen bleibt oder gar das Café verlässt? Er wird sie auf jeden Fall genau beobachten. Vielleicht reagiert sie auf eine andere Weise, und je nachdem, wie ihre Reaktion ausfällt, hätte er sein Ziel trotzdem erreicht. Aber wenn sie aufstehen und zu ihm kommen würde, wäre das der Durchbruch, der Beweis, den er noch braucht. Noch ist sie ganz gelassen, nippt an ihrem Weinglas, ahnt weder, was auf sie zukommen wird, noch für welch wichtige Rolle sie vorgesehen ist.
Der Mann überlegt nun, ob er sie lieber noch eine Weile in ihrer Ahnungslosigkeit und Unbefangenheit beobachten sollte, um die bald einsetzenden Veränderungen deutlicher zu erkennen, schließlich ist das, was er vorhat, ein wissenschaftliches Experiment. Aber auch diesen Gedanken verwirft er, denn wenn er zu lange wartet, besteht die Gefahr, dass sie aus einem anderen Grund, als dem von ihm gewollten, aufsteht und weggeht oder dass ein Mann sich zu ihr setzt und sie bequatscht. Die Gefahr bestand durchaus, denn in dieses Café kamen oft Frauen und Männer, um sich hier kennenzulernen und miteinander in das Hotel auf der anderen Straßenseite zu gehen. Dann müsste er sein Experiment verschieben und warten, bis sich eine neue Gelegenheit bot, und das könnte dauern, lange dauern, zu lange. Also wäre es doch besser, das Handy jetzt gleich einzuschalten und die Frau ganz genau zu beobachten, ihre Reaktionen registrieren, ihre suchenden Blicke zur Kenntnis nehmen, ihr Erstaunen, ihre Unruhe, ihre Angst. Und wenn sie dann endlich bei ihm wäre, würde er wissen, ob alles, was er sich ausgedacht und seit Jahren erforscht und entwickelt hat, erfolgreich ist. Eigentlich könnte er dann einfach aufstehen, zahlen, der Verzweifelten noch einen guten Tag wünschen und das Café verlassen, mit dem beruhigenden Wissen, dass sein Zauberstab funktionierte, der erste Lustbeamer der Menschheitsgeschichte.
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