Mademoiselle Miau wohnte in einer uralten, von Holzwürmern zerfressenen Villa am Stadtrand. Der Weg dorthin führte durch eine dunkle Allee, gesäumt von schlecht gelaunten Linden, die Tag und Nacht vor sich hin grummelten und fluchten.
„Hallo, ihr dummen Bäume!“, rief Mimi gut gelaunt, als sie unter dem raschelnden Blätterdach ihres Weges schritt. Sie war mit dem Mademoisellchen zu Kaffee und Kuchen verabredet und freute sich sehr darauf. Die Bäume links und rechts von ihr murmelten Unflätiges, aber das störte Mimi nicht.
Vor dem Haus, einem riesengroßen, grauen Kasten, blieb Mimi kurz stehen. Sie schob ihr Kleid ein wenig hoch, richtete die Strümpfe, kniff sich in die Wangen, damit sie zart rot leuchteten und atmete tief durch. Dann klopfte sie an.
Als Mademoiselle Miau die Tür öffnete, konnte sich Mimi ein leises Quieken nicht verkneifen. Herrje, war die schön! Viel schöner noch als das verschwommene Bild, das Mimi seit ihrer Kennenlernnacht im Kopf hatte. Sie waren beide an diesem Abend schrecklich betrunken gewesen und hatten sich mit schweren Zungen ihr Liebesleid geklagt. Als der Morgen graute, hatten sie sich mit tränennassen Mädchenaugen voneinander verabschiedet und geschworen, sich ganz bald wiederzusehen.
Nun stand da diese Schönheit vor ihr, mit schwarz glänzendem Haar, kunstvoll gelockt, gekringelt und gekräuselt, mit hellen, wachen Raubtieraugen und einer Haut , so weiß wie die milchigste Milch, so weiß wie Milch mit Milch und Zucker. Sie trug ein rotes Kleid und Schühchen aus Lack. Die Damen sahen sich an, begrüßten sich höflich und mit Wangenkuss, und Mimi dachte, dass das Mademoisellchen bestimmt genauso verlegen war wie sie selbst. Es biss sich so verdächtig häufig auf die Lippen.
„Darf ich eintreten?“, fragte Mimi vorsichtig.
„Verzeih, natürlich, komm herein!“ Mademoiselle Miau kicherte verlegen. Dabei bedeckte sie den Kirschmund mit einer Hand, ganz züchtig. Sie erinnerte Mimi an eine Geisha, so wohlerzogen und verhuscht sah sie aus. Mimis behandschuhte Finger strichen sanft über ihren Hals, sie wünschte sich, es wäre der Hals der Mademoiselle. „Ich will sie haben“, dachte sie, während sie der Gastgeberin in einen Salon folgte, der ganz in lilafarbenen Samt gekleidet war. So etwas Elegantes hatte sie noch nie gesehen. Die Wände waren gepolstert, vor den Fenstern hingen schwere samtene Vorhänge, der Boden war mit Teppichen bedeckt. In der Mitte des Raumes, unter dem diamantenen Lüster, war ein Festmahl vorbereitet: Umringt von Kissen in Beerenfarben lag da eine Decke, auf der in Schälchen, Pokalen und auf Étagèren die süßesten Köstlichkeiten darauf warteten, in gierige Münder gestopft zu werden. Schokoladen, Pralinés, gefüllt mit Likör und Erdbeerschnaps, gezuckerte Äpfel, kleine Kuchen, überzogen mit Zuckerguss in allen Regenbogenfarben, verziert mit Perlen und kandierten Früchten. Auf einer Bank daneben dampften Kaffee, Tee und heißer Kakao in nachthimmelblauen Kannen.
mademoiselle miau und das kleine häufchen stolz
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