Madhuri

7 16-26 Minuten 0 Kommentare
Madhuri

Madhuri

Ralf Thomas

„Thomas, kommen Sie doch bitte mal in mein Büro” forderte ihn die Stimme am Telefon auf. Er absolvierte gerade ein Praktikum in einem schwäbischen Mittelstandsbetrieb und es war nicht ungewöhnlich, dass ihn sein Mentor zu sich rief. Schröder wartete allerdings schon im Gang auf ihn, kaum das er aus dem Büro trat. „Der Boss will sie sprechen”, offenbarte er ihm, „gehen wir hoch.” „Um was geht's denn?” wollte Thomas wissen. „Das wird er ihnen selber sagen”, erwiderte Schröder geheimnissvoll. „Hatte er einen Bock geschossen, irgend einen blöden Fehler gemacht?”fragte er sich, „Warum bloß wollte Herr Gärtner ihn persönlich sprechen?” Er war sich keiner Schuld bewusst und so folgte er unbedarft in die Chefetage. „Gehen Sie gleich rein”, flötete die Chefsektretärin, „sie werden schon erwartet.”

Herr Gärtner saß hinter seinem alten Schreibtisch, kaute auf einer Zigarre herum, die er allerdings nicht angesteckt hatte. „So, sie sind also unser Praktikant!” stellte er ohne weitere Begrüssung fest. „Sie kommen aus Berlin?” wollte er sich vergewissern, blätterte in der noch recht dünnen Personalakte. „Ja, Herr Gärtner”, antwortete Thomas knapp in etwas unterwürfigem Ton. „Können sie Englisch?” schaute Gärtner ihn prüfend an. Thomas legte los: „Yes, Sir. Not perfectly, but I guess it's enough to ...” „Excellent”, unterbrach er ihn postwendend. Er quälte seinen fülligen Leib aus dem dunklen Ledersessel, ging um den breiten Tisch herum und schritt direkt auf ihn zu. „Junger Mann”, begann er ihm zu erklären, während er väterlich seinen Arm um seine Schultern legte, „sie können mir helfen ein kleines Problem zu lösen.” Verdutzt schaute Thomas ihn an. Mit so etwas hatte er nun wirklich nicht gerechnet.

Es ging um einen wichtigen Auftrag aus Indien. Die Verhandlungen standen kurz vor dem Ende und es sah ganz gut für seine Firma aus. Mr. Rancharti wollte nach Deutschland kommen, die Prokutionsanlagen besichtigen und dann den Vertrag unterschreiben. Das Problem dabei war – seine Tochter. Sie wollte unbedingt mit nach Deutschland und hatte ihren Daddy wohl auch überredet einen Abstecher nach Berlin zu machen. Und Thomas sollte sich nun um die junge Dame kümmern. Sie durch die Stadt führen, ihr den Aufenthalt so angenehm wie möglich gestalten. „Aber die Inder sind sehr traditionsbewusst, er wird seine Tochter kaum mit einem jungen, fremden Mann losziehen lassen”, gab er zu bedenken. „Keine Sorge. Ihre Großmutter wird als Anstandswauwau dabei sein”, meinte Gärtner etwas respektlos.

Thomas verbrachte seine Zeit natürlich lieber mit einer jungen Lady als im Konstruktionsbüro. Also willigte er kurzentschlossen ein. „Prima”, war Herr Gärtner sichtlich erleichtert, „Frau Huber gibt ihnen tausend Mark Vorschuss, kaufen sie sich zwei neue Anzüge und passende Krawatten. Wir treffen uns Morgen früh um sechs hier zur Lagebesprechung, dann geht's ab nach Berlin! Doch etwas geschockt über die rasante Wendung verließ Thomas das Chefbüro. Nahm den Spesenvorschuss von der Sektretärin entgegen und machte sich sofort auf den Weg zum Herrenausstatter. Abends besuchte er noch Kari, einen indischen Komolitonen, und belegte bei ihm kurzerhand einen Schnellkurs in korrekten, landestypischen Umgangsformen.

Der nächste Tag war hektisch: früh morgens raus aus dem Bett, in die Firma, mit dem Flug nach Berlin, ins Hotel, und dann wieder zum Flughafen, die Gäste in Empfang nehmen. Die Maschine hatte eine Stunde Verspätung und so konnte er sich noch ein wenig entspannen. Thomas machte es sich in der Lobby bequem, holte sein Notizblock hervor und las: Madhuri Rancharti. 23 Jahre. Studentin der Wirtschaftswissenschaften, bla bla. Wie sie wohl aussehen würde? Ob sie ein normales Mädchen ist oder eine verzogene Göre? Thomas sollte es bald wissen.

Als die Gruppe durch den Zoll kam war sie nicht zu übersehen. Das bezauberndste Geschöpf, dass ihm jemals begegnet war. Sie trug einen blaßgelben, traditionellen Sari, dessen Stoffbahn an einer Seite bunt verziert war. Ein eng anliegender Unterrock und die Choli mit den vielen Knöpfen auf der Brust ließen ihre schlanke Gestalt perfekt zur Geltung kommen. Ihr dunkler Teint hob sich deutlich von der Farbe ihres Gewandes ab. Lange, tiefschwarze, seidige Haare umspielten ihr zartes Antlitz.

Herr Gärtner begrüßte seine Gäste sehr herzlich. Sie schienen sich schon von früher zu kennen. Thomas stellte er Herrn Rancharti als seinen persönlichen Assistenten vor. Und dann war sie an der Reihe. Artig gab sie jedem die Hand, verbunden mit einem kleinen Knicks. Englische Erziehung. Thomas hatte als letzter das Vergnügen. Er nahm ihre kleine Hand zwischen Daumen und Zeigefinger, führte seinen Kopf zu ihr herunter und deutete einen Handkuss an. Sie war so überrascht, dass sie fast ihren Knicks vergas. „Welcome in Berlin”, begrüßte er sie höflich. Auch ihre Großmutter hieß er auf diese Weise willkommen. Mr. Rancharti war angenehm überrascht über den jungen Mann mit Stil.

Sie stellten das Gepäck ihrer Gäste auf einen Trolli, begaben sich zum Ausgang und bestiegen zwei Taxis, die sie allesamt ins Hotel fuhren. Die Gäste aus Indien belegten ihre Suite und man verabredete sich zu 19.00 Uhr zum Dinner. Nach einer kurzen Besprechung beim Chef zog sich Thomas auf sein Zimmer zurück. Ließ sich mit dem Rücken auf das Bett fallen. „Waaaaahnsinn”, brüllte er heraus. Was für ein Mädchen! Irgendwie war er vollkommen hin und weg. Wie ein gleißender Komet war sie in seine Welt, in sein Leben gekracht. Er holte den Notizzettel von Kari hervor und ging ihn Wort für Wort durch, wollte sich auf keinen Fall einen faux-pas erlauben!

Die Zeit verging im Schneckentempo, zog sich unendlich hin. Thomas war als erster wieder in der Hotelhalle, lief ungeduldig hin und her. Dann stiegen sie aus dem Aufzug. Ihm verschlug es die Sprache, als er sie sah. Sie hatte einen Festtags-Sari aus dunkelblauer Seide an. Der Stoff war mit goldenen Applikationen verziert. An ihren Ohrläppchen hingen zwei kleine, silberne Elefanten. Sie wirkte auf ihn wie eine Tempelgöttin. Anmutig. Zauberhaft. Er bekam den Mund nicht mehr zu. Sie schien es zu bemerken und lächelte ihn aus den Augenwinkeln an. Wie in Trance schritt er hinter ihr zum Speisesaal und sog ihr zartduftendes Parfum in sich auf. Sie wurden um einen großen, runden Tisch platziert und Thomas zwischen Madhuri und ihrer Großmutter gesetzt.

Während dem Essen gab es den üblichen Small-Talk, unterbrochen von diversen geschäftlichen Gesprächen. Thomas hielt sich vornehm zurück, konzentrierte sich lieber auf ein korrektes Benehmen. Herr Gärtner saß ihm genau gegenüber und hatte da ein paar Probleme. Er wartete immer solange, bis sein persönlicher Assistent zur richtigen Zeit zum richtigen Besteck oder Glas griff... Nach dem Essen erhoben sich die Honorationen und begaben sich zur Bar. Thomas blieb mit den beiden Damen noch ein wenig am Tisch sitzen und sie unterhielten sich über das Leben an der Universität.

Dann verschwand Großmutter auf einmal zum stillen Örtchen. Der junge Mann verlor keine Zeit, wollte diese Chance unbedingt nutzen. Sein Blick fest auf ihre Augen gerichtet zelebrierte er ihren Namen: „Madhuri. Ja, das stimmt!” Leicht verwundert sah sie ihn an, stellte ihren Kopf etwas schräg. Er ergänzte: „Madhuri bedeutet: süßes Mädchen. Und das stimmt definitiv.” Er hatte einen Volltreffer gelandet. Sie wurde fast verlegen. Ihr bezauberndes Lächeln fing ihn ein, erwärmte ihn wie die ersten Sonnenstrahlen den frühen Morgen. „Du bist sehr nett”, gab sie ihm das Kompliment mit leicht gesenktem Blick zurück. Dann Stille. Ihre Blicke fanden sich, ließen nicht von einander ab. Sie bemerkten nicht, das Großmutter wieder zurück war. Mit einem Räuspern holte sie die beiden in die Wirklichkeit zurück. Leider bestand sie darauf den Tag zu beenden und so verabschiedeten sie sich voneinander. Thomas entließ Madhuri mit einem Handkuss, wobei er dieses Mal flüchtig ihren Handrücken mit seinen Lippen berührte. Sie zuckte förmlich zusammen. Ein letztes Mal warf sie ihm noch ihren zauberhaften Blick zu und dann hatte sie den Saal verlassen.

Thomas konnte nicht schlafen. Diese Augen gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn. Ihre zierliche Gestalt tanzte in seinen Gedanken mit wehendem Gewand um ihn herum. Als er dann doch endlich eingeschlafen war träumte er von seiner indischen Göttin. Thomas konnte es kaum erwarten sie am Frühstückstisch wieder zu sehen. Diesmal trug sie eine schneeweiße Bluse und Jeans. Schweigend saßen sie sich gegenüber, aber ihre Augen sprachen miteinander. Die hohen Herren machten sich hastig auf den Weg zum Flughafen Tegel, sie wollten ja die Produktionsanlagen besichtigen und erst morgen Abend wiederkommen. Thomas' Aufgabe war es, die Damen an den nächsten beiden Tagen durch die Stadt zu führen.

Also machten sie sich auf den Weg und er zeigte Madhuri seine Geburtsstadt. Sie begannen bei den indischen Elefanten am Eingang zum Zoologischen Garten, schlenderten über den Kurfürstendamm, stiegen in den Bus zur Mauer am Brandenburger Tor. Von dort gings zur Siegessäule. Am liebsten hätte er sie an die Hand genommen – aber das ging leider nicht, denn ihre Großmutter hütete ihre Enkelin wie ihren Augapfel. Jedoch stand Thomas immer ganz nahe bei ihr, wenn er etwas zeigen wollte. So blieb es nicht aus, dass sie sich hin und wieder berührten, ohne das Großmutter Verdacht schöpfte.

Dann kam der Moment, der einiges veränderte. Madhuri und Thomas stiegen zur Plattform der Siegessäule auf, Großmama wollte nicht mit hoch. Seine Göttin lief vor ihm die Treppen hinauf und er hatte ihren wundervollen Körper direkt vor seinen Augen. Ein knackiger Po wölbte sich in die enge Jeans, tanzte ihm frech vor der Nase herum. Oben angekommen stützten sie sich auf den Handlauf des Geländers und ließen den Blick über die Stadt schweifen. Auf einmal lag ihre Hand auf seiner. Stille. Sein Herz wagte kaum zu schlagen. Es knisterte zwischen ihnen. Ungläubig sah er ihr in diese tiefen Augen und sie lächelte scheu zurück.

„Glaubst du an die Liebe auf den ersten Blick?” fragte sie ihn schüchtern aber direkt. Amors Blitz hatte auch bei ihr eingeschlagen! Sie beide mit einem unsichtbaren Band verbunden. Zaghaft nahm er ihre beiden Hände, schaute ihr in die tiefgründigen, dunklen Augen. „Seit ich dich gestern das erste Mal sah – Ja!” Mehr brachte er nicht hervor. Sie lächelte ihn glücklich an, stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm urplötzlich einen zarten Kuss auf die Lippen. Thomas war wie erstarrt. Madhuri nahm ihn an die Hand und sie liefen um die Plattform herum. Vor dem Abgang blieb sie stehen. „Wir müssen wieder runter. Großmutter wartet sicherlich schon.” Sein Herz pochte vor Glück. Sie hatte ganz offensichtlich die gleichen Gefühle wie er!

Mit dem Doppelstockbus fuhren sie nach Wannsee und dann mit dem Havelschiff weiter nach Tegel. Es war eine wunderschöne Fahrt bei herrlichem Wetter. Über die Strandpromenade vom Tegeler See schlenderten die drei dann in die Fußgängerzone und betraten die geschäftige Markthalle. „Hier ging meine Oma mit mir immer einkaufen”, verriet er. Madhuris Großmutter strahlte ihn an. Jetzt hatte er auch bei ihr ein Stein im Brett. Von nun an ging sie meistens ein Stück voraus und die beiden Turteltauben nutzten jede Gelegenheit, als frisch verliebtes Päarchen Händchen haltend durch die Straßen zu laufen.

Sie aßen in einem guten Restaurant zu Abend und schlenderten anschließend noch einmal über den hell erleuchteten Kurfürstendamm. Großmutter wurde langsam müde. Schweren Herzens machten sie sich auf den Heimweg zum Hotel. Beim Abschied vor dem Lift zwinkerte sie Thomas zu, drückte ihm unbemerkt einen Zettel in die Hand. Als sich die Tür hinter den beiden schloss, öffnete er hastig das zusammen gefaltete Papier. „Um Mitternacht in der Lounge” stand darauf. Vor Freude hätte er aus dem Stand bis an den Kronleuchter springen können. Sein Herz tanzte in seiner Brust. Thomas stürmte unter die Dusche, ließ das Wasser erst heiß, dann eiskalt über den Kopf laufen. Konnte es kaum erwarten sie unten – verbotenerweise – noch einmal zu treffen. Suchend blickte er sich in der Hotelhalle um. Und dann stand sie auf einmal vor ihm! Madhuri hatte nun einen zartrosa Sari angelegt. „Du bist so wunderschön”, raunte er ihr zu. Verlegen gab sie das Kompliment zurück: „Du hast so tiefe, schöne, blaue Augen.” Thomas bot ihr seinen Arm und sie verließen eingehakt das Hotel. Eine laue, sternenklare Sommernacht empfing das Päarchen...

Auf der anderen Straßenseite befand sich ein kleiner Park, wie es deren viele in Berlin gibt. Hand in Hand schlenderten sie schweigend über die steinigen Wege. „Der Abend, so wunderschön wie der heutige Tag”, unterbrach er die Stille. „Ja, es war wunderschön heute”, erwiderte sie mit lieblicher Stimme. Unter einem großen Kastanienbaum hielt sie auf einmal an, drehte sich zu ihm. Sanft legte sie erst ihre Handflächen auf seine Brust, dann schmiegte sich ihr Kopf dazwischen. Sein Herz klopfte vehement, und sie konnte es deutlich vernehmen. Thomas legte seine Arme um ihre Schulter. Sie hob ihren Kopf, eine Hand glitt verstohlen um seinen Hals. Sanft zog sie seinen Kopf herunter und sie bot ihm ihre Lippen. Er hielt sie in seinen Armen, verschmolz mit ihrem Mund zu einem Ganzen. Sie drückte sich mit ihrem warmen Körper fest an ihn, deutlich konnte er ihre Brüste durch den dünnen Stoff des Saris spüren.

Sie suchten sich eine freie Parkbank, setzten sich, wie einige andere Päarchen an diesem Abend auch, engumschlungen unter einen starken Ast, der schützend sein Blätterkleid über die beiden ausbreitete. Sie schmusten, machten sich gegenseitig Komplimente und vergaßen die Zeit. Eine Kirchturmuhr schlug zweimal. „Ich muss wieder hoch, nicht das Großmutter etwas bemerkt” flüsterte sie ihm zu. Thomas hatte Verständnis dafür und geleitete sie Arm in Arm zurück zum Hotel. Der Concierge schaute freundlich und diskret, als sie die Hotelhalle passierten. Vor Madhuris Zimmer hielten sie sich noch einmal fest umschlungen für einen letzten, innigen Kuss. Thomas schwebte zu seinem Zimmer, hätte in diesem Moment die ganze Welt umarmen können. Seine Liebste war zwar nicht mehr bei ihm, aber er konnte sie immer noch fühlen.

Am nächsten Morgen klopfte es früh an die Tür. Ein Page überbrachte Thomas ein Telegramm von seinem Chef.
„alles gut gelaufen stop kommen heute mit der ersten maschine stop bitte tagesprogramm ausarbeiten stop abends ins theater stop gärtner”
„Schei....benkleister”, fluchte er in sich hinein. Dabei wollte er doch mit Madhuri erst in den botanischen Garten und danach ins KeDeWe zum Bummeln. Also dann eben noch mal durch die Stadt. Gärtner bestand darauf, die Tour mit dem Bus zurück zu legen. Er hätte den Tag sonst nicht heil überstanden. Am Nachmittag lud Thomas den Tross in einem Café ab und lief über die Straße zum Varieté, um Karten für den Abend zu besorgen.

Er stellte sich an jene Kasse, die von einem Mann besetzt war. Als er an der Reihe war bückte er sich weit herunter und sprach mit leisem Ton: „Ich habe da ein kleines Problem. Ich bräuchte für heute Abend 8 Karten für ein Geschäftsevent, aber so platziert, dass eine Dame am richtigen Platz zu Sitzen kommt. Sie verstehen...?” Dabei schob er einen Fünfzig-D-Mark-Schein unauffällig über den Tresen. Der Mann begriff sofort, nickte, ließ den Fuffi in seiner Hemdtasche verschwinden und händigte die passenden Karten aus. Er schien Erfahrung mit den Wünschen diverser Kunden zu haben.

Zum Abend warf sich Thomas in Schale: den dunklen Anzug, ein weißes Hemd dazu, ein Tuch ins Revers. Madhuri nickte anerkennend und strahlte über das ganze Gesicht, als sie ihn sah. Thomas bot ihr seinen Arm und sie legte, ganz nach Etikette, ihre zarte Hand auf seinen Unterarm. Sie trug einen Traum von einem Abendkleid. Rote Seide hüllte ihren schlanken Körper ein. Europäischer Schnitt. Hochgeschlossen bis zum Hals. Herabfallend bis zu den Schuhen. Eng um ihre Taille anliegend. Ihren Busen betonend. Am Rücken frei. Er war begeistert.

Thomas und Madhuri saßen hinten im Taxi, Großmutter ausnahmsweise vorne. Jeweils eine ihrer Hände suchten und fanden sich. Spielten miteinander, tauschten kleine Zärtlichkeiten aus. Hörten erst damit auf, als das Taxi vor dem Theater hielt. Er stürmte um das Auto, half erst Großmutter aus dem Wagen und dann seiner Königin. Abermals legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm und sie betraten das Haus. Schritten zusammen durch die hell erleuchtete Eingangshalle hinüber zum Saal. Sein Plan ging auf. Er kam am hintersten Tisch neben ihr zu Sitzen. „Es gab nur noch diesen zusammenhängenden Bereich”, versuchte er Gärtner zu erklären. Der nickte nur und setzte sich. Aber kurz vor Vorstellungsbeginn platzierte sich doch dieser Riese direkt vor Madhuris Großmutter. Thomas hätte den Kerl erwürgen können. Gärtner schaute zu ihm herüber – natürlich räumte er seinen Stuhl. Wut und Enttäuschung stiegen in ihm hoch.

Madhuri stand gelassen auf und verteilte die Plätze neu. So, dass jeder gut sehen konnte. Nur Thomas nicht. Sie bugsierte ihn kurzerhand hinter sich in die Ecke. Er saß jetzt versetzt rechts hinter ihr im Dunkeln! Sie strich ihm unauffällig über das verdutzte Gesicht, zwinkerte kokett und setzte sich. Das Licht dämmerte und die Vorstellung begann. Thomas konnte fast nichts sehen – außer ihren hinreißenden Rücken. Aber mehr interessierte ihn eigentlich ohnehin nicht! Fasziniert von ihrer makellosen Haut konnte er nicht umhin, ihr einen sanften Kuss auf das rechte Schulterblatt zu hauchen. Sie hielt still. Hatte sie es überhaupt gespürt? Noch ein zärtlicher Kuss, diesmal auf die andere Seite.

Plötzlich fühlte er ihre Hand an seinem linken Hosenbein. Streichelte ihm zärtlich über das Knie. Seine Lippen berührten seitlich ihren schlanken Hals, drückten sanft ein paar Küsschen auf ihre Haut. Sie drechte ihren Kopf etwas in seine Richtung und er konnte erkennen, wie sie dabei die Augen schloss. Seine Lippen wanderten hinter ihr Ohr, spielten mit dem Clip in ihrem Läppchen. Ihr Mund öffnete sich leicht, ihre Hand hielt sich krampfhaft in seinem Kniegelenk fest. Thomas parkte seine Rechte auf ihrer Hüfte. Fuhr mit den Lippen zum Halsansatz. Kaum dort angekommen legte Madhuri ihren Kopf zur Seite und klemmte ihn regelrecht fest.

Applaus. Lauter Beifall unterbrach sein unseriöses Tun. Artig klatschten sie mit, obwohl sie nicht so recht wussten, was auf der Bühne eigentlich geschehen war. Thomas nutzte die Gelegenheit und rutschte mit dem Stuhl ein Stück nach vorne. Ohne auf die Worte des Conférenciers zu hören positionierte er seine Lippen genau an der Stelle, wo er gerade unterbrochen wurde. Er streifte über ihre Schulter, stupste den Träger ihres Kleides mit der Nase ein Stück zur Seite. Ganz nebenbei berührte seine andere Hand ihre linke Schulter. Streichelte quer über ihren Rücken. Ihre Gänsehaut übertrug sich auf ihn. Der Conférencier sagte die nächste Nummer an. Thomas löste sich kurz von ihr und schaute auf. Madhuri drehte blitzschnell ihren Kopf zu ihm und drückte ihren Mund auf seinen. Die Erde drehte sich nicht mehr. Für einen Moment. Diese zarten, warmen Lippen. Er glaubte zu träumen.

Ein sanfter Stoß ihres Kopfes gegen sein Kinn forderte ihn auf mit der Show weiterzumachen. Das konnte sie haben. Er legte seine Rechte wieder auf ihre Hüfte. Erst zaghaft, dann fester. Sie rutschte auf ihrem Stuhl näher an ihn heran. Ein warmer, leicht zitternder Frauenkörper unter diesem seidigen Stoff. Einfach betörend. Seine Hand ging auf Wanderschaft. Fuhr über ihren Bauch, kreiste dort ein wenig. Kam zurück, bog auf ihren Oberschenkel ab. Soweit seine Armlänge reichte streifte sie hinunter. Auf der Außenseite zurück. Über ihren Arm seitlich zur Schulter und dann frech über ihren Busen wieder hinab. Sie zuckte zusammen, als sie seine Berührung an der Spitze ihrer Brust vernahm. „Nochmal”, hauchte sie zu ihm herüber. Er wiederholte die Tour, brauchte diesmal aber länger um über die Wölbung in ihrem Kleid hinwegzukommen. Nochmal und nochmal musste er diese erregende Entdeckungsreise wiederholen.

Wieder anerkennender Beifall. Alle schauten anschließend nach oben ans Trapez. Nur einer nicht. Dessen Hände lagen beidseitig an der Hüfte der vor ihm sitzenden jungen Dame... Wanderten unzüchtig über ihr Kleid, ließen auch heiligste Stellen nicht aus. Stupften vorsichtig gegen hervortretende Punkte an ihrer Brust. Ihr Körper vibrierte unter seinen ertastenden, streichelnden Händen. Ihr Kopf lag weit in ihrem Nacken, die Augen verträumt ins Leere gerichtet.

Ovationen für den Künstler. Eine meisterhafte Vorführung. Es ging weiter. Krampfhaft hielt sie sich an seinem Knie fest, sonst wäre sie wohl vom Stuhl gerutscht. Die Stimmung im Saal stieg, das Programm war dramaturgisch aufgebaut. Bei der nächsten Mummer wurde Madhuri aktiv. Ihre Finger lösten sich von seinem Knie, kraulten jetzt die Innenseite seines Schenkels hinauf, waren fast an der Leiste angekommen. Etwas breitbeinig saß er da, ihr Unterarm legte sich an sein Becken. Sie musste es spüren, was da in seiner Hose los war. Bedächtig rieb sie ihre Elle gegen seine Männlichkeit. Seine Linke auf ihrer Schulter drückte sanft zu. Ihre Hand wanderte weiter, legte sich in forschend in seinen Schritt. Kraulte durch den Stoff. Ihm blieb die Spucke weg. Seine Fingerspitzen glitten über ihr Schlüsselbein. Der Druck ihres Unterarmes wurde größer. Bewegte sich jetzt leicht auf und ab. Thomas japste nach Luft und wagte doch kaum zu atmen.

Donnernder Beifall, was für ein Akt! Das Publikum war begeistert. „Eine tolle Vorstellung”, flüsterte er ihr ins Ohr. Sie schaute kurz zu ihm herüber, lächelte ihn an, blinzelte abermals. Dann griff sie sich entschlossen unter den rechten Arm, nutzte die Unruhe im Saal und zog mit einem Ruck den seitlichen Reißverschluß bis zu ihrer Hüfte herunter. Thomas fiel die Kinnlade bis zum Anschlag. Er schaute sich zaghaft um. Hatte vielleicht irgend jemand etwas gesehen? Nein. Ein Magier betrat die Bühne. Etwas griff nach seiner Hand, legte sie auf ihr Becken. Er war wie gelähmt. Mit ihrem Ellenbogen dirigierte sie seine zögernden Finger in den geöffneten Verschluß.

Madhuri biss sich auf die Unterlippe als seine Hand ihre nackte Haut berührte. Sanft begann er sie zu streicheln. Ihre Haut war so fein wie die Seide, die sich für ihn geteilt hatte. Seine Fingerspitzen krochen unter den Stoff, sodass seine ganze Handfläche sie berührte. Glitt etwas weiter zu ihrem Bauch, dann zurück und an ihrer Flanke aufwärts. Als er unter ihrer Achsel ankam hob sie demonstrativ ihren Oberarm leicht an. Sie gebiet ihm weiterzumachen! Vorsichtig pirschte er sich weiter. Kein BH bot ihm Widerstand. Weiches Fleisch begab sich unter seine Fingerkuppen. Sie fuhren die Trennlinie zwischen Bauch und Busen entlang. Dann vorsichtig tastend nach oben – und die ganze Handfläche umfasste ihre zarte Brust. Seine Göttin wäre beinahe vom Stuhl gerutscht. Eisern hielt sie sich an seiner Hose fest, als die zarte Knospe zwischen seinen Fingern ihre Blüte öffnete.

Das Finale auf der Bühne begann. Nur mühsam konnten sie sich noch zusammennehmen. Vorsichtig, um ja nicht bemerkt zu werden, ordneten die beiden ihre Kleidung, zog er ihr wehmütig den Reißverschluss wieder zu. Thomas rückte von ihr ab und schob seinen Stuhl auf den ursprünglichen Platz. Mr. Rancharti klopfte ihm später anerkennend auf die Schulter: „Eine gute Wahl, dieses Theater.” „Ja, es war wundervoll”, schloss sich seine Tochter mit schelmischem Lächeln an. Alle setzten sich noch ein wenig an die Bar und Madhuri verschwand mit ihrer Großmutter auf der Toilette. Als sie wieder zurück kamen schüttete sie ihm versehentlich etwas von ihrem Getränk über den Ärmel. Schnell holte sie aus ihrer Handtasche ein Taschentuch, wischte die Flüssigkeit kurz ab und drückte ihm das Tuch fest in die Hand. Er entschuldigte sich förmlich und begab sich ebenfalls um die Ecke. Mit zitternden Händen entfaltete er das flauschige Papier. Las in deutschen Worten: „Ich will gehören dir heute nacht! welche zimmer?” Besiegelt waren diese Worte mit ihrem Kussmund von rotem Lippenstift.

Mit schlotternden Knien kam er zurück. Entgeistert schaute er direkt zu ihr. Sehnsuchtsvolle Augen erwiderten seinen Blick. Wenn das hier im Theater nur die Ouvertüre war, was würde ihn dann heute Nacht erwarten? „Gibt es dieses Theater schon lange?” unterbrach Mr. Rancharti seine wilden, ungeheuerlichen Gedanken. Blitzschnell kam ihm eine Idee. „Ja, das ist eine Institution hier in Berlin. Schon vor 135 Jahren gab es etwas weiter weg von hier ein königliches Artisten-Theater.” Als Thomas die Zahl nannte zwinkerte er Madhuri zu. „Schon vor 135 Jahren?” fragte sie ganz erstaunt und zwinkerte zurück. Sie hatte verstanden...

Zurück im Hotel verabschiedeten sich sich voneinander und gingen auf die Zimmer. Thomas begab sich aber nochmal in die Bar und organisierte für teures Geld vom Keeper ein paar Teelichter und ein Feuerzeug. Mit schwerem Atem betrat er wieder sein Zimmer. Der Housekeeping-Service hatte schon alles für die Nacht vorbereitet und so platzierte er die Kerzen auf den beiden Nachttischen und dem Schreibtisch am Fußende des Bettes. Dann marschierte er unter die Brause und zog sich frische Sachen an. Noch ein paar Tropfen von seinem After-Shave auf die Kopfkissen und dann begann das lange Warten. Zuerst lief er im Zimmer auf und ab, setzte sich dann in den Sessel. Würde sie wirklich kommen? Würde es ganz anders sein, als mit den deutschen Mädchen, mit denen er schon ein paar Erfahrungen gesammelt hatte? Oh, er wünschte sich ihren grazilen, anschmiegsamen Körper direkt in seine Arme. Augenblicklich. Sehnsuchtsvoll.

Aber Minute um Minute verran. Eine Stunde verging. Zwei. Kein Klopfen an der Tür. Kein Körper, der durch den Türspalt in den Raum huschte. Keine zarten Hände, die sich den Weg um seinen Hals bahnten. Kein süßer Mund, der... Thomas schaute zum Fenster hinaus, in die hell erleuchtete Nacht dieser großen, so eindrucksvollen Stadt. Er wartete, bis der Morgen den schwarzen Schleier verbannte, die Lichter da draußen überflüssig machte.

Ihm war zum Heulen. Thomas war fürchterlich enttäuscht. Warum war sie nicht gekommen? Was hat sie aufgehalten? Die Gedanken marterten sein Hirn. Er machte sich frisch und hundemüde schlich er in den Frühstücksraum. Rancharti und Gärtner begrüßten ihn fröhlich. „Stimmt irgendwas nicht?” erkannten beide augenblicklich seine Konstitution. „Die Austern, gestern Abend”, log er. Mittleidsvoll bekam Thomas einen Stuhl von Gärtner persönlich angeboten.

Schräg gegenüber saß Madhuri. Bekleidet mit dem rosa Sari. Atemberaubend schön. Mit gesenktem Haupt. Als sie ihren Kopf hob – sah er in feuchte Augen. Ihr Gesicht verriet unverblümt: sie hatte geweint. Und nicht nur kurz. Irgend etwas drückte ihm sein Herz zusammen. Gärtner war froh gelaunt, fast übermütig. Er konnte glücklich sein, hatte ja seinen Großauftrag. Aber Thomas? Der war am Boden zerstört.

Das Frühstück verlief wie in Trance. Immer wieder trafen sich ihre Blicke, wühlten den Schmerz der vergangenen Nacht wieder und wieder auf. Doch auf einmal sah er ihn, diesen Punkt. Nur einen Millimeter groß, dass ihn niemand sonst sehen konnte, ihn zur Not für überflüssiges Make-Up halten würde. Aber Thomas sah es. Sie hatte sich ein Bindi auf ihre Stirn getupft! Genau zwischen ihre Augenbrauen. Das traditionelle Zeichen einer verheirateten Frau. Sie hatte sich ihm versprochen! Seine Gefühle gingen mit ihm durch. Als sie seine Träne sah, die am Nasenflügel entlang herunterlief, schlug sie ihre Hände vors Gesicht, drehte sich zur Seite und kramte in ihrer Tasche nach einem Tuch. Ihre Großmutter nahm sie an die Seite und geleitete sie hinaus.

Madhuri und Thomas sahen sich erst am Flughafen wieder. Bei der Gepäckaufgabe stellte er sich neben sie. Abschiedsschmerz vereinte sie mit unsichtbarem Band. Auf einmal fasste sie sich ans rechte Ohr und rief erschreckt: „Mein Ohrring, ich habe ihn wohl im Waschraum liegen lassen. Sogleich stürmte sie in Richtung der Toilette, auf der sie gerade gewesen war. Geistesgegenwärtig folgte er ihr. „Ich begleite sie kurz”, stellte er unerschrocken fest und verschwand ebenso schnell um die Ecke. Großmutter kam dieses Mal nicht hinterher, jetzt würde ja nichts mehr passieren können.

Madhuri empfing ihn hinter dem nächsten Pfeiler, er lief ihr direkt in die offenen Arme. Schluchzend fiel sie ihm um den Hals. Thomas nahm ihr zierliches Gesicht in seine Hände und küsste vorsichtig ihre Tränen von der Haut, immer auf der Hut, ob nicht doch noch ihre Großmutter um die Ecke kam. Schließlich tippte er ihr zärtlich an die Stirn. „Ich habe es gesehen”, flüsterte er ihr zu. „Ja, ich weiß”, kam es umgehend zurück, „ich wäre so gerne deine Frau geworden, letzte Nacht! Aber Großmutter...” Er zog sie ganz dicht an sich heran, drückte ihren hübschen Kopf fest an seine Brust. Nur kurz, dann legte sie ihm einen kleinen Elefanten in die Hand, an dem ein eingerollter Zettel befestigt war. „Aber das ist doch dein Ohrring!” Erstaunt starrte er sie an. „Es soll dich an mich erinnern. Vergiss mit nicht!” Dann schloss sie seine Hand zu einer Faust. „Niemals! Ich schreibe dir”, versprach er, nein, schwor er ihr.

Hand in Hand gingen sie zurück, aber nur bis zur letzten Ecke. „Er war nicht mehr da”, entschuldigte sie sich mit tränenerstickter Stimme bei ihrem Vater. Der nickte nur, legte seiner Tochter tröstend den Arm um die Schulter und begab sich mit ihr zur Sicherheitskontrolle. „Einen Moment noch!” rief Thomas hinter ihr. Unmittelbar am Gate zog er aus einer hellen Plastiktüte einen großen Berliner Bären aus weichem Plüsch und drückte ihn Madhuri in ihre Arme. „Memories from Berlin” stand auf dem Halsband, auf dessen Rückseite er seine Adresse notiert hatte. Wortlos standen sie sich noch kurz gegenüber. Tränen kullerten über ihre Wangen, als sie ihn endgültig verlassen musste. Dann war sie weg. So urplötzlich, wie sie vor drei Tagen in sein Leben gekommen war.

Während Gärtner und Co auf ihren Rückflug nach Stuttgart warteten, las Thomas ihre Nachricht. Auch sie hatte ihm ihre Adresse hinterlassen. Und ein glühendes Liebesbekenntnis dazu. Noch im Flugzeug schrieb er ihr den ersten Brief. Gab ihn am selben Tag beim Postamt auf. Tags darauf folgte der zweite, eine Woche später der nächste. Sie blieben unbeantwortet. Alle. Er hat leider nie wieder von ihr gehört.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 4348

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben