Irgendwann, er hatte die Schule schon längst beendet und lebte weit weg von seinem Dorf, hatte er doch noch einmal etwas über Maria Trost gehört. Das Nonnenheim sei geschlossen worden, hatte ihm ein alter Schulfreund erzählt, zu dem er losen Kontakt pflegte. Es sei zu Unregelmäßigkeiten gekommen, ein Verwalter habe Gelder veruntreut. Aber das sei nicht das Problem gewesen, weil ja die reiche Kirche damals dahinter stand, nein, es sei zu einem seltsamen Todesfall gekommen. Es seien, wie er ja selbst noch wisse, nicht nur Exerzitien durchgeführt worden sondern auch Exorzismen, also nicht nur geistliche Übungen sondern auch Aktionen gegen den Teufel und bei solch einer Aktion, also unter sehr mysteriösen Umständen, sei eine junge Frau ums Leben gekommen. Der Staatsanwalt habe ermittelt und die Folge sei gewesen, dass der Betrieb, der ohnehin immer ein Zuschussgeschäft gewesen sei, eingestellt worden war. Das war der Stand seines Wissens, als er die Anzeige sah, aber anscheinend war das Haus wieder in Betrieb genommen worden und wurde als Stätte der Einkehr und der Heilung angepriesen. Es sei ein ganz besonderer Ort mit einer großen Wirkung auf Leib und Seele. Es sei ein power place, durchaus vergleichbar mit heiligen Orten im Fernen Osten. Es sei bewiesen, dass unter der kundigen Leitung des Pächters, eines ausgewiesenen Heilpraktikers, Leute genesen seien, die bereits alle Hoffnung aufgegeben hatten. Schon ein Aufenthalt von einer Woche könne Wunder bewirken, hinzu käme die wunderschöne Landschaft, die absolute Ruhe und eine biologisch ausgewogene Ernährung. Eine Kur in dem Haus sei ideal, um die Gesundheit wiederherzustellen, den Körper erfolgreich zu entschlacken und der Seele eine einzigartige, nachhaltige Tiefenentspannung zu spendieren, so der Werbetext. Eine solche Anzeige hätte ihn normalerweise eher abgestoßen, als angezogen, alles, was dort angeboten wurde, war ihm suspekt. Aber, wie unter einem unerklärlichen Zwang ging ihm die angepriesene Kur nicht mehr aus dem Sinn. Eine Woche in der Nähe seiner alten Heimat und dazu noch eine mysteriöse Erfahrung, mehr würde es wohl nicht seine, oder vielleicht doch? Vielleicht war ein solcher Ort tatsächlich hilfreich für seine dubiosen, unerklärlichen Leiden, denn dass er krank war, davon war er überzeugt, das hatte ihm sein Arzt nicht ausreden können und seien sie auch nur psychisch bedingt, aber sie waren da und vielleicht war Maria Trost tatsächlich ein Ort, wo ihm geholfen wurde. Nach einer schlaflosen Nacht, nach allerlei Abwägungen der für und wider, rief er die angegebene Telefonnummer an. Internet schien dort noch unbekannt zu sein, jedenfalls waren weder eine Homepage noch eine E-Mail-Adresse vermerkt. Er geriet an eine Frau mit einer dünnen Stimme, die ihm erklärte, wann die Termine für die Wochenkuren seien und dass es nur noch wenige freie Plätze gäbe, was die Vollpension kosten würde, man müsse immer Vollpension buchen, und dass er erst bei Abreise bezahlen müsse, man würde den Gästen in dieser Hinsicht trauen. Er sagte, dass er möglichst rasch kommen möchte, er fühle sich gar nicht wohl und setze große Erwartungen in den Aufenthalt. Die Frau erwiderte, dann sei er ja bei ihnen richtig aufgehoben und bat um einen Moment Geduld, sie müsse nachschauen, wann etwas frei sei. Ja, sage sie dann, sie habe einen Termin schon in zwei Wochen, eigentlich sei es Zufall, dass man so kurzfristig etwas bekommen könne, aber jemand habe abgesagt und er solle am besten gleich zusagen, denn sie habe eigentlich eine Warteliste, aber weil er nun mal am Telefon sei, würde sie ihn vorziehen. Als müsse sie seinen letzten Widerstand noch überwinden, fügte sie noch hinzu, dass die Kuren sehr gefragt seien und dass die Gäste ihr Kommen nicht bereuen würden, es sei wirklich so. Durch diese Worte doch ein wenig unter Druck gesetzt, überlegte er nicht länger und sagte zu.
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