Als ich Marionnah kennenlernte, war sie eine hübsche, aufgeschlossene, intelligente, warmherzige und vor allem lebenslustige Frau. Als wir uns verabschiedeten, Jahre später, war alles Leben aus ihr gewichen. Zudem war Marionnah übergewichtig, litt unter einem Burnout-Syndrom und hatte jeden Sinn für geschmackvolle Kleidung verloren. Sie trug den ganzen Tag Pijama, und wenn sie sich bückte,sah man ihre Pospalte. Sie war TV-süchtig, hatte schon am Morgen Ringe unter den Augen, aber wenn man ganz genau hinsah, erkannte man es noch immer: Das geheimnisvolle Leuchten in diesen umringten Augen, ein Leuchten wie das eines Fixsterns, ein Leuchten, das sagen wollte: Es ist noch nicht vorbei, Baby. Es ist nie vorbei.
Es hatte alles an dieser Sommerparty unten am Fluss seinen Anfang genommen. Wir leben in einer sehr grünen Stadt; der Fluss lädt zum Schwimmen ein, und die Magie des Mittelalters hat sich nie ganz aus den eng aneinander liegenden Gebäuden zurückgezogen. Rahel hatte schwerreiche Eltern, und die weilten gerade in Finnland. Sie hatten ihrer Tochter drei übervolle Kühlschränke zurückgelassen, Tiefkühltruhen, die aus allen Nähten platzten, einen üppigen Garten, der nach Lavendel und Thymian duftete. Der obligate Swimming Pool war gross genug, dass man problemlos Kilometerlängen zurücklegen konnte. Wir hatten unser Grillgut, das Bier und die Nachspeisen vergeblich angeschleppt: Rahel erwartete uns mit dem appetitlichsten Buffet, das ich seit langem gesehen hatte. Sogar Meerfrüchte gab es da zu naschen, Shrimps in Gelatine, Senffrüchte und sündhaft teure Morcheln.
Neidvolle Blicke von uns Frauen, geile Blicke der Männer streiften Marionnah. Ihre fraulichen Formen kamen in einem körperbetonten weissen Rock in fast überirdischer Weise zur Geltung; das Kleid trug nicht auf und niemand hätte zu sagen vermocht, was sie für Unterwäsche trug – wenn überhaupt. Ihr Po war wundervoll proportioniert und ergab zusammen mit ihrem üppigen Busen diese klassische S-Form, die wir eigentlich alle gerne gehabt hätten. Marions schwarzes Haar mit dem eleganten Stufenschnitt kontrastierte mit dem Kleid; eine feine Perlenkette war das Tüpfelchen auf dem i.
Musik drang aus einem der offenen Fenster; die gotischen Fensterbögen und Türrahmen verliehen der Villa etwas Neureiches, aber alles passte irgendwie zusammen. Ich mochte Zigeunermusik damals sehr; wir wurden von melancholischen Geigen umschmeichelt. Diese Geigen wirkten auch aphrodisisch, klar, und wir öffneten unsere Herzen und schenkten uns dem Abend. Einige von uns sprangen in den Pool, in Slip und BH, Unterhose oder gar splitternackt. „Das ist in dieser Gegend eigentlich nicht erlaubt“, sagte Rahel mit gespielt strengem Unterton und zog sich ebenfalls aus. Ihr Körper war von Sommersprossen übersät; Rahel, der Rotschopf, unsere Zora, wirkte im milchigweissen Mondlicht wie eine Statue, von denen es übrigens hier nur so wimmelte. Aphrodite, Zeus, Hera, Ein Satyr. Poseidon himself. Alles Nachbildungen von nicht allzu hohem künstlerischen Wert, wie ich meinte beurteilen zu können, aber ich fühlte mich nach Griechenland versetzt und mir wurde warm ums Herz.
Je länger der Abend dauerte, desto mehr Alkohol wurde ausgeschenkt. Bowle, Bier, Smirnoff. Die Fruchtbowle schien es Marionnah angetan zu haben. Sie sass auf dem Schoss von Sri, während dieser „trink, Schätzchen, trink“ gurrte. Es war klar, was die Jungs vorhatten, aber ich selber war zu besoffen, um da noch einzugreifen. „Let it flow“, dachte ich einfach.
Es mag eine Stunde später gewesen sein, als mich Cornelia aufgeregt zu sich winkte. „Schau mal, was da oben abgeht!“ Wir näherten uns der Villa bis auf ein paar Schritte, und tatsächlich: Im ersten Stock, am offenen Fenster, stand Marionnah. Sie war obenrum nackt, und ein Mann, den wir noch nie gesehen hatten, küsste sie. War dies das Schlafzimmer von Rahels Eltern? Rahel war nirgends zu sehen, bestimmt zog sie ihre Längen im Pool – bestimmt in Begleitung. Der Mann, der Marionnah um Kopfeslänge überragte, machte an ihren Brüsten rum, und erst jetzt sahen wir, dass die beiden nicht allein waren. Da befanden sich noch andere Männer im Raum; mindestens vier. Ich erkannte Georg, Nathan und Roberto.
Auf Diskretion schienen die Jungs keinen Wert zu legen. Der Lover, der an Marionnah rummachte, massierte ihre Titten ostentativ und legte offenbar Wert darauf, dass wir zuschauten. Wir und der fahle Julimond.
George, Nathan und Roberto. Ich kannte die Jungs nur flüchtig und war wider Willen fasziniert von dem, was sich da im fahlen Mondenschein abspielte. War Marionnah betrunken? Aus dieser Distanz konnten wir ihr nichts Spezielles anmerken. Auch wenn meine Kolleginnen und ich uns innerlich sträubten: Die Männerhände an Marionnahs schweren Birnenbrüsten brachten unser Blut in Wallung. Welch ein Luder sie doch war! Oder war sie bloss Opfer berechnender Männerspiele? Eine güldene Kugel gar, umher geworfen von ein paar bösen Prinzen? Dann geschah etwas, das uns endgültig den Atem raubte. Ein fünfter Mann tauchte am Fenster auf. Das Blitzen seiner Brillenränder entging uns nicht einmal aus der gegebenen Entfernung. Respektvoll zogen sich die Jungs zurück; am Fenster war nur noch Marionnah zu sehen, Marionnah und der elegante ältere Herr. Es handelte sich dabei um Rahels Vater! Intuitiv sahen wir uns nach seiner Tochter um, sie war aber nicht zu entdecken. Es war still, so still, dass uns klar wurde, dass sich auch im Pool niemand befinden konnte. Marionnah legte den Kopf vertrauensvoll an die Schulter des Alten; die beiden schienen sich zu kennen. Sie wirkten wie ein Liebespaar. Wo war denn bloss Rahels Mutter? Wir waren davon ausgegangen, dass das Ehepaar nach Nizza verreist und der Tochter die „sturmfreie Bude“ überlassen hatte – die „Bude“, die wir nun zu stürmen gedachten?
Auch Professor Brenner spielte zuerst an Marionnahs Brüsten rum; offenbar konnten Männer da nicht widerstehen – nicht einmal ein emeritierter Anatomieprofessor. Sie hatte aber auch fruchtiggeile Dinger, die Marionnah – einmal mehr war ich enttäuscht ob meiner kleinen Möpse. Grosse Titten bereiten einfach mehr Spass – da lässt sich nichts machen. Sie regen zu mehr Spielereien an, zu mehr Träumen, zu mehr Schweinereien, cochonneries!
Nun standen sie also da, der Professor und das Luder, Wange an Wange, der Altersunterschied mochte an die 45 Jahre betragen. Da warf Marionnah ihren Kopf zurück. Uns wurde schlagartig klar, was abging. Herr Professor Brenner war soeben in unsere Marionnah eingedrungen und bumste sie genussvoll von hinten.
„Marionnaaah“, stöhnte Jakob neben mir. Mit leuchtenden Augen sass er da, im Schneidersitz, und starrte. „Ferkel!“, wies ich ihn zurecht. Der Liebesrhythmus der beiden Vögelnden wurde intensiver; Brenners Hände umfassten Marionnahs Bauch. Ihre Brüste wabbelten, dass es eine Freude war. Eine Freude, bestimmt, für Jakob, Georg, Nathan, Roberto und die andern. Marionnah glühte, das konnten wir sogar vom Park aus erkennen. Der Alte machte seine Sache nicht schlecht; die Coolness, die ihn stets umgeben hatte, verliess ihn selbst in jener Nacht nicht. Er vögelte Marionnah so richtig durch, und diese verlangte mehr, mehr, mehr… bis der Alte nicht mehr konnte und sich ihr entzog.
Kurz darauf erlosch im Schlafzimmer das Licht. „Oooh…“, sagte Jakob neben mir. Er griff nach seiner Bierflasche und leerte sie in einem Zug. Dann stand er auf und zog sich hinter die Tujahecke zurück, wohl um zu pinkeln. Bier, Fussball, Sex, Pinkeln. Männer.
Wenig später entdeckten wir Rahels Vater, perfekt gekleidet im hellgrauen Smoking, am Buffet. Er angelte sich ein paar Garnelen, Grapefruit, Senffrüchte, Safranreis und liess sich von meiner Freundin Rita ein Glas Rosé einschenken. Professor Brenner tat, als sei da nie etwas gewesen. „Gefällt es Euch?“, fragte er mich und setzte sein distinguiertestes Lächeln auf. Niemand von uns hätte gewagt, ihn auf sein Treiben am Schlafzimmerfenster anzusprechen. Er war Mr. Hyde gewesen da oben, aber jetzt war er da unten Dr. Jekyll, der nette, schwerreiche Gastgeber, der uns mit seinem Charme umgarnte.
Im Grunde mag ich Professor Brenners Generation. Das Versaute spielt sich im Hintergrund ab. Vordergründig handelt es sich bei den 1930er Jahrgängen um Gentlemen, Patrons, Ehrenmänner. Oft wussten aber nicht einmal ihre Ehefrauen, ob jede Geschäftsreise wirklich eine solche war – die Gattinnen litten still vor sich hin und drückten beide Augen zu. Es war die Zeit der intakten Ehen gewesen. Wie Graugänse waren sie sich treu, die 1930er, und begingen Seitensprünge nur in der für sie typischen Diskretion – wenn überhaupt.
„Allez, on joue aux pétanques“, forderte Professor Brenner uns auf. « Pétanques ». Ich hatte das Wort noch nie gehört. Aber mindestens sechs von uns folgten dem vitalen Mann in einen durch Olivenbäume abgegrenzten Bereich des Parks, dorthin, wo sich eine Boules-Bahn, besser bekannt als Boccia-Bahn, erstreckte. Knapp erklärte Brenner die Regeln, und wie aus heiterem Himmel lagen da auf einmal zwölf silberne Kugeln, die verführerisch im Mondlicht glitzerten. Die Sandbahn war sehr gepflegt und möglicherweise erst am Nachmittag eingeebnet worden – auf dass die Kugeln perfekt rollen würden. „Voilà le cochonnet“, sagte Professor Brenner und hob mit bedeutungsvoller Geste eine kleine Metallkugel in die Höhe.
Bereits 460 v. Christus ist eine Empfehlung griechischer Ärzte (u. a. von Hippokrates) für das Spiel mit Steinkugeln nachweisbar. Im 2. Jahrhundert nach Christus beschrieb Iulius Pollux ein Spiel, bei dem Kugeln auf einen Ziegelstein geworfen wurden; der Verlierer des Spiels musste den Sieger auf den Schultern ins Ziel tragen. Boccia und Boule Lyonnaise haben ihre gemeinsamen Wurzeln in diesem im Römischen Reich verbreiteten Spiel. Die Wurzeln von Bowls lassen sich bis ins London des 12./13. Jahrhunderts zurückverfolgen.
Rund um das Boule-Spiel ranken sich, wie ich das in Südfrankreich erlebt habe, die Sagen und Mythen um das so genannte „Fanny küssen“.
Dabei geht es nicht etwa um eine Belohnung. „Fanny küssen“ bedeutet, dass man ein Spiel 0:13 verloren hat!
Der Brauch stammt angeblich aus Savoyen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg gab es im Café von Grand-Lemps eine Kellnerin namens Fanny. Der Legende nach durften Kunden, die beim Boulespiel verloren hatten, ohne auch nur einen Punkt erzielt zu haben, ihr zum Trost einen Kuss geben - einen auf jede Wange, wie es sich gehört.
Eines Tages verlor auch den Bürgermeister von Grand-Lemps ein Spiel, und er wollte sich ebenfalls von Fanny trösten lassen. Ob Fanny nun etwas gegen ihn hatte oder ihn nur öffentlich bloßstellen wollte, ist nicht bekannt. Jedenfalls stellte sie sich auf einen Stuhl, hob ihren Rock hoch und streckte dem Bürgermeister ihren Hintern entgegen! Der Bürgermeister gab Fanny zwei herzhafte Küsse - auf den Po!
Da nicht immer eine Fanny zur Stelle ist, die bereitwillig ihren Arsch zur Verfügung stellt, ist es Sitte, überall dort, wo Boule gespielt wird, eine Fanny parat zu haben. Die unglücklichen Verlierer müssen dann in aller Öffentlichkeit einen Fannyhintern in Form eines Gemäldes oder einer Skulptur küssen.
So wurde aus dem einstigen Trost die "schlimmste" Strafe für jeden Boulisten!
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