Matratzen

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Matratzen

Anita Isiris

Es regnete Bindfäden, und über mir wölbte sich ein Himmel in mesmerisierendem graublau. Keine Faser an mir war mehr trocken – da half auch die GoreTex-Werbung nicht weiter. Ich war mehr als nur froh, als ich am Ende des gewundenen Tals ein paar Lichter entdeckte. Ein Dorf. Genau das also, was ich für die Nacht benötigte. Ich freute mich auf ein leckeres Essen, Kaninchen mit Polenta oder so, und dazu einen schweren Wein aus dieser Gegend, die ich so liebte. Ich beschleunigte den Schritt, obwohl ich eigentlich genug Zeit hatte und jetzt schon pitschnass war – aber ich beschleunigte den Schritt. Aus Vorfreude auf den Abend. Wandern ist für mich im Grunde ein gesellschaftlicher Anlass, und in meiner Heimat Zakynthos hätte ich nicht im Traum daran gedacht, die Pinienhaine und die endlosen Strände allein zu erkunden. Hier aber, im Südtirol, nutzte ich die Einsamkeit zum Meditieren. Ich konnte mir das leisten; Zeit und Geld hatte ich in Hülle und Fülle. Ich fühlte mich schon ganz als die Schriftstellerin, die ich immer sein wollte. Hier eine Lesung, dort eine Kolumne... und schon konnte ich einen weiteren Monat von den Einnahmen leben – wenn auch nicht immer fürstlich. Es sei aber gesagt, dass der Gegend auch etwas Unheimliches anhaftete, etwas Atavistisches gar. Ob es hier Trolle gab? Faune? Feen? Satyrn? Ich ahnte es und sah vor mir eine gigantische Herberge mit schweren Eichentischen, flackernden Fackeln und knarrenden Holzböden.

Wenig später stand ich dann vor genau so einer Herberge. Die Fenster waren beschlagen, und der Ort war weit entfernt von dem, was man als gastlich bezeichnen konnte. “Herberge” ist ja eine noch eher dezente Bezeichnung. “Spelunke” hätte besser gepasst. Aber ich durfte nicht wählerisch sein, fasste mir ein Herz und drückte die schwere Messingklinke. Irgendetwas gefiel mir nicht hier – ganz und gar nicht, und mein Instinkt betrügt mich so gut wie nie. Im Korridor, der mit dunklen Steinfliesen ausgelegt war, duftete es aber ganz angenehm nach Räucherfleisch. Wie mein Magen knurrte, kann ich Euch kaum beschreiben. Als ich die Tür zur Gaststube aufstiess, schlug mich die rauchgeschwängerte Luft – falls man hier noch von Luft reden konnte – beinahe zurück. Frauen waren keine anwesend, das sah ich auf den ersten Blick. Alle verstummten und starrten mich an, aus tiefliegenden Augen. Trolle? Faune? Satyrn? Ach nein, es waren doch alles rechtschaffene Familienväter, die sich hier noch rasch ein Bierchen genehmigten zum Feierabend, bevor sie sich dann auf den Heimweg machten – zu ihren kinderreichen Familien und ihren Frauen mit den vom vielen Stillen ausgemergelten Brüsten. Ich nickte allen zu, im Sinne eines kollektiven Grusses, und setzte mich an den einzigen freien Platz an einem runden Tischchen. Ich entledigte mich meiner durchnässten GoreTex-Jacke und liess die lüsternen Blicke über mich ergehen.

Schon möglich, dass meine Nippel sich unter dem grauen Kamelhaarpulli abzeichneten – aber das war mir vollkommen egal. Sollten sie doch ihre Fantasien in mich hineinprojizieren; ich wollte im Moment nichts anderes als einen Kaffee. Der stand wenig später vor mir – ich verschluckte mich aber beinahe. Es war hier wohl an der Tagesordnung, dass Kaffee mit einem hochprozentigen Etwas angereichert wurde. Mein Bauch war sofort warm, und ich trank fast gierig. Der korpulente Kaschemmenwirt liess mich keine Minute aus den Augen, und ich musste kaum die Hand heben, um ihn zu mir zu bitten “Ja klar können Sie hier nächtigen”, beantwortete er meine Frage etwas verdächtig schnell, “wir haben im oberen Stock jede Menge Betten, meine Süsse, jede Menge”. War ich in ein Bordell geraten? Es sah zwar nicht danach aus; die Hirschgeweihe an den Wänden und die Schiessabzeichen hinter den Glasvitrinen waren alles andere als animierend. Eine Stimme in mir verlangte nach einem weiteren Kaffee und einer Kürbissuppe. Es handelte sich gemäss der Kreidetafel über mir um die Spezialität des Hauses. Die Suppe schmeckte vorzüglich, war aber ebenfalls angereichert mit Absinth oder was auch immer. Ihr müsst wissen, dass ich mich mit Alkoholika nicht wirklich auskenne. Psilocybin ist mir da schon deutlich vertrauter, aber zu Alkohol habe ich seit jeher ein eher angespanntes Verhältnis. Die Männer waren wieder am Grölen, die Zigarren qualmten, und mich hatte man anscheinend vergessen. “Meine Frau zeigt Ihnen jetzt Ihr Gästezimmer.”

Der Korpulente hatte also eine Frau. Wenige Minuten später stand eine junge Balinesin vor mir. Sie sah jedenfalls so aus, wie ich mir eine Balinesin vorstelle. Mit tieftraurigen Augen nickte sie mir zu und anerbot sich halblaut, mich zu meinem Zimmer zu begleiten. Ich ging hinter ihr die Treppe hoch und bestaunte heimlich ihre grazile Figur. Ich mochte mir gar nicht erst ausmalen, was der Kaschemmer des Nachts mit ihr trieb, womöglich in Anwesenheit seiner Saufkumpanen. Wir betraten einen hellen, freundlichen Raum, der in warmes Licht getaucht wurde. Kornblumen standen auf dem Nachttisch, und eine Flasche Mineralwasser aus der Gegend. Ein Bett dieser Art hatte ich noch nie gesehen. Es wirkte bequem, hatte aber auffällig kräftige Bettpfosten. Bedeckt wurde es von einem schweren Baldachin aus matt schimmerndem Brokat. Eine Seitentür führte ins Bad; schmuckes Waschgeschirr stand bereit, ein barockes Waschbecken und ein Plumpsklo. Die Balinesin drückte meine Hand und sah mich lange und durchdringend an, so, als wollte sie mich vor etwas warnen. Ich wollte aber nur noch eines: Ein warmes Bett. Mir war schwindlig, und mein Bauch rumpelte. Wie es meine Gewohnheit ist an fremden Orten, öffnete ich noch rasch alle Schränke, die beiden Kommoden und die winzige Truhe neben meinem Bett. Darin hätte sich ja ein Troll verstecken können, oder so. Ich beklopfte auch die Wände. Sie waren sehr dünn; besonders die, an der mein Bett stand. Gucklöcher gab es aber keine, also zog ich mich in aller Ruhe aus und war froh, dass mein Nachthemd noch trocken war.

Es befand sich zuunterst im Rucksack. Ich knipste das Licht aus und lag wohl noch so an die zwanzig Minuten wach, als ich es hörte: ein leises Stöhnen aus dem angrenzenden Zimmer. Die Balinesin? Es klang aber wohlig, und ich musste für mich lächeln. Dann vernahm ich ein Murmeln. Eine Männerstimme war das, und die Stimme wurde vom Stöhnen der Frau begleitet. Dann war es eine Zeitlang still; nur der Regen prasselte ans Fenster. Da war es wieder. Diesmal etwas inniger. Es war ein Stöhnen aus den Tiefen der weiblichen Seele. Ich war sofort hellwach; die Geräuschkulisse erregte mich ungemein. Ich schob mein Nachthemd hoch und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Das Stöhnen ging in ein Gurren über, in ein Seufzen, und wieder in ein Stöhnen. Was tat er mit ihr? Kitzelte er sie lediglich? Küsste er sie? War er bereits in ihr? Ich schloss die Augen und machte mir bewusst, dass ich schon lange, viel zu lange, keinen Sex mehr gehabt hatte. Das Stöhnen der Frau wurde rhythmischer, und jetzt vernahm ich auch das verräterische Knarren einer Matratze. Bestimmt lag sie unter ihm, in dieser gottverlassenen Gegend kannten die doch eh nichts anderes als die Missionarsstellung im Dunkeln.

Wieso auch nicht? Ob sie ihm die Beine um die Schultern legte, damit er besser in sie eindringen konnte? Wie er wohl aussah? Korpulent wie der Kaschemmer? Oder schlank, mit knackigem Hintern? Ob er sich schon in ihr bewegte? Ich ertastete meine Cliti und rieb mich ein wenig. Das tat gut, muss ich Euch verraten. Sehr gut tat das. Dann hörte ich das Schmatzen zweier Münder, Lippen, Zungen. Aha. Ob er sie wohl weichküsste, um leichter in sie eindringen zu können? Bestimmt war sie noch Jungfrau, eine unschuldige Schönheit aus der Gegend, und er – ein Gemsjäger, der in der folgenden Nacht mit seiner Eroberung prahlen würde. Ich war kurz vor dem Orgasmus, als ich nochmals auf den Baldachin über mir blickte. Mir schien, er sei ein wenig tiefer gesunken; ich hörte das Knirschen von Zahnrädchen. Sofort verdrängte ich aber jegliches Misstrauen und jede Angst; ich schrieb jede Wahrnehmung dem hochprozentigen Kaffee zu, den ich soeben genossen hatte. Im Nebenzimmer näherten sie sich einem kollektiven Orgasmus, und ich streichelte mich so, dass ich der sich steigernden Erregung folgen konnte. Wir sollten zu dritt kommen, sagte ich mir, ein solidarischer Höhepunkt in weltferner Gegend war angesagt. Irgendetwas verband mich jetzt mit dem Paar, das ich bestimmt beim Frühstück kennen lernen würde. Ich war überzeugt, dass er sie jetzt vögelte, mit kräftigen Stössen. War sie die Tochter des Pastors? Ein Engel aus der Gegend? Eine Fee gar? Ich liess mich gehen, zog die Beine an, wie ich das beim Masturbieren sehr gerne tue, und schob zwei Finger in mich. Ich spielte mit inniger Lust an mir herum, bis, endlich, die Wellen eines heftigen Orgasmus über mir zusammenschlugen.

Im Nebenzimmer wurde es allmählich ruhig. Sehr ruhig sogar. Sie waren im selben Moment gekommen wie ich; danach war Totenstille. Unheimliche Totenstille.
Als ich am Morgen aufwachte, spürte ich gleich, dass etwas nicht stimmte. Eiligst wusch ich mich, so gut das eben geht mit eiskaltem Wasser, putzte die Zähne und zog mich an. Mich schauderte.

Im Frühstücksraum war ich allein; mir wurde von der Balinesin ein währschaftes Essen aufgetragen mit Speck, Ei, Wurst und Zopf. Aus irgendeinem Grund vermied ich es, nach dem Paar im Nebenzimmer zu fragen. Ich schlang das Essen hinunter, eilte in mein Zimmer und schnürte meinen Rucksack. Der Baldachin hatte sich nochmals ein wenig gesenkt, schien mir. Ich musste die Herberge schleunigst verlassen, wenn mir mein Leben lieb war. Ich schloss die Zimmertür hinter mir und hielt inne. Mit klopfendem Herzen drückte ich die Türklinke zum Nebenraum. Ich erstarrte. Zwei Paar Füsse waren zu sehen, nur zwei Paar Füsse. Der Baldachin, der selbe Baldachin, der mir in meinem Zimmer schon Angst gemacht hatte, war gänzlich heruntergeschraubt. Es handelte sich aber nicht um einen Baldachin, sondern um eine schwere, mit einem Brokattuch getarnte Matratze, die das liebende Paar erdrückt hatte. In die schweren Bettpfosten war ein Schraubgewinde eingelassen; im oberen Stock konnte man vermutlich durch einen raffinierten Mechanismus die Matratze senken, die Gäste töten und danach bequem ihr Gepäck plündern. In der Tat: Slips, Bhs, eine leere Brieftasche, ein Päcklein mit Kondomen und fünf Zigaretten lagen verstreut am Boden. War ich das nächste Opfer? Panische Angst befiel mich. Ich hastete in mein Zimmer zurück; in diesem Moment krachte auch mein Matratzenbaldachin auf die Liegestatt, auf der ich unlängst genächtigt hatte. Ich riss das Fenster auf und sprang in die Tiefe.

Es regnete Bindfäden, und über mir wölbte sich ein Himmel in mesmerisierendem graublau. Ich machte mich auf den Weg.

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