Mauerblümchens Lusttaumel

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Mauerblümchens Lusttaumel

Mauerblümchens Lusttaumel

Anita Isiris

Da war Ninas zu grosser Mund. Die leicht aufgeworfenen Lippen brachten es nicht zustande, die Lücke in Ninas oberer Zahnreihe zu verdecken. Ninas sommersprossenübersäte Stupsnase, die sogar von ihrer besten Freundin belächelt wurde. Ninas Augen in diesem unzuordenbaren blaugrün. Nina schielte leicht. Ninas Brille mit den viel zu dicken Gläsern. Ninas streng geflochtene Zöpfe, um Lichtjahre am Zeitgeist vorbei. Ninas sackartige Kleidung, die jedem Knecht Ruprecht oder jedem Krampus zur Ehre gereicht hätten. Ninas Klamotten waren farblos und pendelten irgendwo zwischen grau und schwarz. Ninas Eltern waren bitterarm und standen auch dazu – eine Seltenheit in einer Zeit, in der jeder seine Armut mit einem geleasten BMW, einer Digitalkamera und einem iPhone, auf Kleinkredit gekauft, verdeckt. Und doch hatte Ninas Vater auf ein kleines Gadget nicht verzichten können - aber dazu später. Nina Truffer hatte keine Geschwister und seit Jahren daran gewöhnt, ausgelacht zu werden. Nicht respektiert zu werden. Ausgegrenzt zu werden. In die Einsamkeit gestossen zu werden.

Und doch war Nina eine glückliche junge Frau. Je mehr sie zur Frau wurde, desto glücklicher wurde sie. Sie entdeckte allmählich sich selbst. Nina entdeckte ihren Luxuskörper, von dem keiner etwas ahnte. Das war ja auch kein Wunder. Unter Sackklamotten vermutet niemand Überraschungen. Nina wurde weder zu Parties eingeladen, noch durfte sie sich etwas aussuchen. Man überliess ihr stets das, was andere mieden und nicht mochten. Wurden etwa Gymnastikkleider verteilt, war es Nina, die die ausgeblichenen grünen 70er-Jahre-Höschen anziehen musste – kombiniert mit einem violetten Batik-Oberteil aus den 80ern, damals kreiert und designt von einem Freak, der wegen exzessiven Drogenkonsums längst das Zeitliche gesegnet hatte. Auch von ihren Eltern wurde Nina nicht gerade geliebt. Ihrer Mutter war sie zu verträumt – sie fand in Nina keine Hilfe für den Haushalt – und ihrem Vater lag sie auf der Tasche, fand dieser.

Und doch war Nina eine glückliche junge Frau. Je mehr sie zur Frau wurde, desto glücklicher wurde sie. Sie entdeckte allmählich sich selbst. Nina entdeckte ihren Luxuskörper, von dem keiner etwas ahnte. Das war ja auch kein Wunder. Unter Sackklamotten vermutet niemand Überraschungen. Dann fand Nina mitten auf dem Gehsteig, der zur Wohnung ihrer Familie führte, dieses nassgespritzte Handy. Genauer handelte es sich dabei um ein iPhone 6.0. Trotz Wasserspritzern – es regnete in Strömen – war das technische Wunderwerk in einwandfreiem Zustand und blinkte fröhlich vor sich hin. Nina, die keine Beziehung zu derartigen Geräten hatte, liess das Teil vor Schreck beinahe fallen. Dann erst realisierte sie, dass jemand anrief. Das Gerät gab aber nicht etwa einen Klingelton von sich, sondern vibrierte heftig in Ninas Händen. Sie umklammerte das Handy etwas fester und nahm das Vibrieren in sich auf. Nach kurzer Zeit endete das Signal, und das kleine Gerät war leblos. Nina untersuchte es genauer und fand auf der Rückseite eine mit weissem, wasserfestem Stift aufgemalte Nummer. Vermutlich die Nummer des winzigen Telefons, schlussfolgerte sie – logisch! Bestimmt gehörte es jemandem mit schlechtem Gedächtnis, jemandem, der sich seine eigene Nummer nicht merken konnte, weil er wohl kaum sich selbst anrief und sich die Zahlenkombination somit nicht einprägen konnte. Erregt steckte Nina das technische Wunderwerk in die Seitentasche ihrer Regenpelerine und ging die letzten Schritte zu ihrer Wohnung. Drinnen war es still, die Eltern waren nicht zuhause.

Nina besuchte eine Fachhochschule, über deren Ausrichtung hier nicht geschrieben werden soll, weil demnächst sowieso alle Menschen einen Fachhochschulabschluss haben, und dann wird es scheissegal sein, woher man kommt, was man tut, und wohin man geht. Wir werden zu desorientierten Dödeln und Dödelinnen, analog amerikanischen College-Absolventen. Nina hatte aber Fallstudien zu erarbeiten, und das tat sie in ihrem vier Quadratmeter grossen Zimmerchen, in dem kaum ihr Bett Platz hatte, ganz zu schweigen vom kleinen Pult, das ihr Vater beim Trödler im Nachbarquartier erstanden, nach Hause gebracht und in ihr Kämmerchen gepfercht hatte. Privates besass Nina kaum. Die Ausnahme bildeten ein paar abgegriffene Fotos von einem der wenigen Schulausflüge, an denen sie teilgenommen hatte. Auf diesen Bildern sah man Nina mit strahlendem Lachen auf einem Baum, kauernd vor einer Pfütze oder im Widerschein des Grillfeuers mit ein paar andern Schülerinnen.

Zudem besass Nina ein kleines Radio, das sie wie ein Juwel hütete und in der untersten Pultschublade versteckte, obwohl kaum je die Gefahr bestand, dass es ihr jemand entwenden könnte. Für Nina und ihren Besitz interessierte sich eh keiner.

In der australischen Stadt Mount Isa leben fünfmal mehr Männer als Frauen. Jetzt sucht der Bürgermeister mit ungewöhnlichen Methoden neue Bräute für die Minenarbeiter.

vernahm Nina aus dem klirrenden Radiolautsprecher.

Deshalb forderte er «optisch benachteiligte Frauen» auf, nach Mount Isa zu ziehen. Denn hier würden auch «hässliche Frauen» glücklich werden: «Oftmals geht man die Strasse entlang und sieht weniger attraktive Frauen mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Ob es eine schöne Erinnerung oder die Vorfreude auf den nächsten Abend ist – da ist eine gewisse Fröhlichkeit», sagte der Bürgermeister.

Nina glaubte sich verhört zu haben. War das denn die Möglichkeit? Da gab es auf dieser grossen weiten Welt eine testosterongeladene Stadt, in der hässliche Frauen “glücklichgebumst” wurden? Frauen wie sie selbst etwa... Nina war mittlerweile 18 Jahre alt und machte sich durchaus Gedanken zum andern Geschlecht. Sie war neugierig und sehnte sich vor dem Einschlafen oft nach einer liebenden Hand. Zu häufig war sie aber gedemütigt worden, als dass sie sich reale Hoffnungen auf eine Liebesbeziehung gemacht hätte. Ob mit ihr etwas nicht stimmte? Nina schloss die Fensterläden, zog sich aus und schlüpfte in ihr langes weisses Nachthemd, das sie von ihrer Grossmutter geerbt hatte. Sie löste ihre Zöpfe und sah mit offenem Haar und ohne Brille zum Anbeissen aus. Ihre Brüste füllten das mystische Kleidungsstück mit den aufgenähten Lilien aus, und von der Seite zeichnete sich ihr Prachtshintern ab, ein Zauberarsch, von dem keiner etwas ahnte.

Lisa machte es sich auf ihrem Bett bequem und gehörte nur noch sich selbst. Sie streichelte ihren Bauch durchs Nachthemd hindurch und stellte sich vor, sie würde durch die Strassen von Mount Isa wandeln. Schon nach kurzer Zeit würde sie ein Minenarbeiter ansprechen. “Hey young lady”, würde er sagen, “wanna have some fun?” “Oh yeah”, würde sie keck sagen, “oh yeah.” Er würde sie ohne weitere Worte in einen dunklen Seiteneingang zerren und sie verführen, mit einem von ihr erwiderten animalischen Trieb. Er würde über sie herfallen, sich an ihrem Hals festsaugen, sie würde seinen kleinen, festen Hintern an sich pressen und keuchend darauf warten, dass er sie endlich auszog. Er würde lediglich ihren Rock hochheben und bewundernde Worte über ihren Hintern verlieren. “Oh... look at these buttocks” oder so ähnlich. “Oh... your ass is like the full moon over Ayers Rock.” Sie würde gierig an seinem Reissverschluss nesteln und einem kräftigen, sehr steifen Minenarbeiterschwanz zur Freiheit verhelfen. Er würde in sie eintauchen, der Schwanz, und die liebe Nina ins australische Nirvana vögeln... bis eine orangefarbene Morgensonne das Paar aus seiner Trance wecken würde. Bei diesen heissen Gedanken wurde Nina sehr feucht und schob ihr leinenes Nachthemd hoch. Ihre dicht bewaldete Muschi, und mit ihr Ninas ganzer Körper, verlangten nach Erlösung. Da verfiel Nina auf eine Idee. Mit Herzklopfen stand sie auf und schlich in den Korridor, so, als täte sie etwas Verbotenes. Ihr Unterleib fühlte sich warm an, und sie musste sich beeilen, so lange die Gedanken und Gefühle in ihr noch nachwirkten.

Tatsächlich! Auf dem Küchentisch lag das iPhone von Ninas Vater. Sie stahl sich mit dem Gerät zurück in ihr Kabäuschen, machte es sich erneut auf dem Bett bequem, nahm ihr gefundenes Handy aus der Pelerinentasche, prägte sich die weiss aufgemalte Telefonnummer ein und presste das kleine Gerät gegen ihre Scham. Mit der Rechten wählte sie auf dem iPhone ihres Vaters die Nummer. Sofort begann das Handy zwischen ihren Beinen zu vibrieren. Das iPhone 6.0 wird in den einschlägigen Medien wegen seiner Stabilität, seiner unerreichten Kamera und seiner Displaygrösse gerühmt. Niemand hat aber bisher geschrieben, dass der “vibrating alert” dieses unscheinbaren Geräts angenehm kräftig ist. Berauschend kräftig. Wonniglich kräftig. Lusttaumelkräftig.

Nina schloss die Augen, träumte sich den testosterongeladenen Minenarbeiter herbei, der soeben ihre Gedanken besetzt hatte, öffnete sich ihm und stellte sich vor, er würde ihren ganzen Oberkörper mit kleinen Küssen bedecken, lüstern ihren BH zur Seite schieben und seine Hüften an die ihren drängen. Nina fühlte den Minenarbeiter in sich, seine atavistischen Stösse, sein animalisches Keuchen, und der vibrating alert des iPhones 6.0 gab ihr den Rest. Sie schmiegte sich an das kleine Gerät, drückte es an ihren Venushügel und versank im Lusttaumel des innigsten Orgasmus, den sie je hatte.

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