02:35 Uhr
Er schließt leise die Tür auf und schlüpft in die Wohnung hinein. Ob sie irgend etwas gehört hat? Schnell zieht er sich aus und wirft die Sachen in die Wäschekammer. Er geht ins Bad und beginnt sich die Zähne zu putzen. Verdammte Gewohnheiten. Im Spiegel sieht er seine blauen Augen. Er schüttelt den Kopf. „Wie lange willst du es noch ertragen?“ Er grinst kalt und spuckt aus. Dann zieht er sich ein braunes T-Shirt an und öffnet die Schlafzimmertür. Natürlich – sie schläft. Das Laken glüht vor Hitze, sie hat wieder eine Weile auf seiner Seite geschlafen. Vorsichtig kriecht er unter seine Decke.
Eigentlich fing alles ganz harmlos an. Er lernte Diana auf einer Semesterabschlußparty kennen. Sie hatten sich schon vom Sehen her gekannt, und nach dem zweiten Bier hatte er den Mut gehabt sie anzusprechen. Keine Ahnung warum er das getan hatte, er war damals schon drei Jahre mit Marion zusammen gewesen und alles lief eigentlich bestens. Eigentlich. Vielleicht war es auch nur der Nervenkitzel, der ihm so oft ein schlechtes Gewissen bereitete. Es war auch nichts weiter passiert, sie sprachen miteinander, und er mußte nach einer Weile nach Hause. Aber der erste Schritt war getan.
Sie sahen sich regelmäßig in der Universität. Sprachen in den Pausen miteinander. Manchmal saßen sie zusammen in den Vorlesungen. Er mochte ihre langen blonden - immer zu einem Zopf gebundenen - Haare, ihre blauen Augen, ihre großen weißen Zähne und ihre vollen Lippen. Damals hatte er ihr immer noch nichts von Marion erzählt. Nach ein paar Monaten fragte sie ihn, ob er ihr bei den Klausurvorbereitungen helfen wolle.
Er sagte nicht nein.
02:52 Uhr
Er liegt wach und dreht sich auf die andere Seite. Wie unschuldig sie im Schlaf aussieht. Diana kann er nie beim Schlafen beobachten. Er muß vorher immer weg. Er bedauert immer, daß er sie allein zurücklassen muß. Mit ihrem Geruch auf seiner Haut schnell unter die Dusche zu springen und ihn abwischen zu müssen. Dann der Abschiedskuß und das Versprechen, daß man sich morgen wieder sieht. Immer und immer wieder...
Er dämmert vor sich hin. Manchmal hatte er das Gefühl als entgleite ihm alles. Es war nicht greifbar, aber es zerrann ihm in seinen Händen wie Sand. Dieses Gefühl der Ohnmacht war das Schlimmste von allen...
03:02 Uhr
Er wälzt sich wieder auf die andere Seite und findet keinen Schlaf. Wenn er daran dachte, wie damals in der Schule alles mit Marion anfing...
...die Entdeckung des gemeinsamen Lieblingsschriftstellers...dann das Austauschen von Büchern...es wurden Zettel im Unterricht und in der Pause ausgetauscht...kurze lustige Briefe voller falscher Anzüglichkeiten und Teenie-Humor, kombiniert mit dem neuesten Klatsch aus der Bravo...man beginnt den anderen ganz langsam anders zu sehen, ihn richtig zu sehen...seine haare seine augen seinen mund seine hände seinen geruch...man spricht mit seinen freunden über sie man versucht ihre adresse herauszufinden...man freut sich auf das gemeinsame gespräch in der pause und schließlich verabredet man sich miteinander aber nicht zwanghaft in einem kino oder cafe sondern man fragt ob sie bei einem vorbeikommen will...dann sitzt man da und redet... und du hast vorher ein neues t-shirt angezogen das zimmer hastig aufgeräumt der himmel ist blau und die zeit vergeht so schnell und es ist schon dunkel und sie muß nach hause du gehst den langen weg zum bahnhof mit ihr mit du wartest auf den zug und wünschst dir auf einmal die bahn würde ausfallen und du könntest mit ihr noch ein bißchen länger am bahnhof stehen doch die fährt gerade in diesem augenblick ein und du spürst einen leichten stich im herz du willst dich gerade zu ihr drehen und ihr „auf wiedersehen“ sagen und eine witzige bemerkung machen doch dann spürst auf einmal etwas feuchtes auf deiner wange und da ist sie schon eingestiegen weg und du drehst dich um und gehst nach hause und erst dann merkst du das sie dich geküßt hat auf die wange geküßt hat der himmel hängt voller geigen du denkst die ganze zeit nur an den kuß und du kannst nichts anderes tun als lächeln ein lächeln das du dir einfach nicht vom gesicht wischen kannst genauso wie das grinsen nach dem ersten orgasmus und dem ersten sex es ist einfach da und deine schwester macht dir zu hause die tür auf und fragt dich was los ist doch du kannst einfach nichts sagen sondern nur lächeln lächeln lächeln dein herz ist von jetzt an verloren und du siehst noch nicht die dunklen wolken am horizont denn sie hat immer noch einen anderen doch das ist dir in diesen stunden egal denn du liegst auf deinem bett und hast ihr gesicht vor augen egal ob sie offen oder geschlossen sind das nächste treffen ist bei ihr zu hause und dank deines schlechten orientierungssinns verläufst du dich hoffnungslos zwischen den plattenneubauten und kommst eine halbe stunde zu spät wieder sitzt man zusammen diesmal auf ihrem bett undsieisteinfacheintraummitihrenlangenbraunenhaarenihrengrauenaugenundihremlächelnfürd
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ckvergessenwiesiemitihremschwarzenmantelanderhaltestellestehtundihmzuwinktalserfortfährt
nienienienienienie...
4:02 Uhr
Er fährt mit einem Ruck hoch.
Nur ein Traum.
Und er verblaßt schon wieder, rutscht ihm aus den Händen wie ein gerade gefangener glitschiger Fisch. Als er nach links schaut, sieht er sich selbst im Spiegelbild der Kleiderschranks.
Durst.
Er schlüpft aus der Decke und kriecht zum Tisch, trinkt ein paar Schlucke und setzt sich mit der Flasche auf den Bettrand. Durch das Fenster sieht er die Morgendämmerung.
„Ist irgendwas?“
Sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht.
„Du hast einen leichten Schlaf“, stellt er fest. „Nein, ich habe nur Durst. Willst du auch etwas?“
„Nein.“
„Ok.“
Er stellt die Flasche ab und legt sich wieder hin. Sie greift im Halbdunkel nach ihm, legt ihre Hand auf seine Schulter. Der Arm gleitet tiefer. „Du hast ja wieder keine Unterhose an.“ Er lächelt. Sie merkt, daß er auf sie reagiert und rollt sich auf ihn. Ihre sanften rhythmischen Bewegungen werden nach kurzer Zeit immer heftiger, ihr leises atemloses Keuchen ist das einzige Geräusch im Zimmer. Fast verzweifelt klammert sie sich an ihn, als es über sie kommt. Die stoßartigen Wellenbewegungen klingen langsam ab, und er schließt die Augen.
‚Rakete abgeschossen‘, denkt er. Und: ‚Eines Tages wird sie mich dabei erdrücken.‘ Sie rollt von ihm herunter und dreht sich auf die Seite. Er schaut auf ihren Rücken:
„Das ging aber schnell.“
Sie dreht sich zu ihm um und greift wieder nach ihm.
„Jetzt du.“
Er schiebt ihren Arm zurück.
„Laß uns lieber schlafen. Ich bin müde.“
09:12 Uhr
Sie sitzen zusammen auf der Couch im Wohnzimmer, er sieht die dunklen Schweißflecken unter ihren Achseln, riecht ihren unverwechselbaren Geruch von T-Shirt, Schweiß und Frau.
„Wo warst du denn gestern?“, fragt sie. Er lügt sie so überzeugend an, daß er fast selber an das glaubt, was aus seinem Mund kommt.
„Bei Markus, wir haben noch für die Klausur gelernt.“
Sie nickt desinteressiert. Sogar diese Geschichte kauft sie ihm ab. Mein Gott.
„Komm her“, sagt er zu ihr. Als er sie umarmt flüstert er ihr ins Ohr „Ich liebe dich.“
„Laß uns morgen irgendwo hingehen. Wir waren lange nicht mehr zusammen in der Stadt.“
„In Ordnung.“ Er knöpft seine Hose auf. “Ich habe noch etwas gut bei dir.“
„Jetzt?“
„Ja.“
Sie schaut ihm in die Augen, während sie ihren Rock hochschiebt.
„Sie sind grau statt blau“, denkt er bei sich und sieht, wie sie ihren weißen Schlüpfer einfach zur Seite schiebt. „Die Farbe ist allerdings überall gleich.“ Er grinst leicht.
„Worüber lachst du?“
„Ach nichts.“
„Komm.“ Sie streicht mit ihren Händen langsam über die Innenseiten ihrer Schenkel und er sieht nur ihre grauen Augen und ihr rosa Fleisch.
Morgengrauen
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