„Das Herz hat seine Gründe,
die die Vernunft nicht kennt.“
Blaise Pascal
Der schmale Spalt Licht wird schmäler und schmäler, ein letztes Aufblenden gleißender Neonbeleuchtung auf der Netzhaut, irritierende Nachbilder flackern auf, schmerzende Punkte, dann verschwindet die Helligkeit und macht einem allumfassenden Dunkel Platz.
Ihr Herz hämmert bis zum Hals, sie hört unwillkürlich auf ihr Pochen, an den Schläfen, in den Pulsen, überall. Sie ist allein, das Schließen der Tür hat sie vom letzten Rest der Zivilisation abgeschlossen, einer Zivilisation der Schlachthöfe, unmenschlich, fremd, Gleichschaltung im Schmerz: alle Unterschiede nivellierend, das Ich durchleuchtend und zum Nichts degradierend.
Die Bettdecke ist kalt und klamm, sie fühlt sich wie feucht an, die Nacht draußen, kaum sichtbar im Fenster durch den Hof, undurchdringlich dunkel. In der Ferne ahnt man, dass ein ungnädiger Wind die schwarzen Wolkenballen über den nächtlichen Himmel jagt, mondlos, eine Nacht ohne Trost. Spannung, unbehagliche, den Hals austrocknende Spannung liegt in der Luft.
Das Morphium beginnt zu wirken.
Langsam dreht sich das schwarze Zimmer um seine eigene Achse, das penetrante Klappern der Absätze auf dem Flur verrinnt, hallt schwach nach, macht einer Leere Platz, einer Leere, die danach drängt, mit Bildern ausgefüllt zu werden. Horror vacui, so hat sie es in der Schule gelernt. Das Nichts ist nicht beständig, es ruft Schemen ins Dasein, schwankende Gestalten. Sein Gesicht?
Sie fühlt seine Präsenz, wie sie die kraftvollen dunklen Wolkenballen spürt, die sich hinter dem schwarzen Fenster wie ein kosmisches Herz zusammenziehen und ausbreiten, zusammenziehen und ausbreiten. Nicht greifbar, aber wirksam, ist er hier, in diesem Raum. Seine Stimme hallt in ihrem Schädel, vertraut, aber fern. Ihr langes Haar, eine duftende Flut auf dem klammen Kissen, riecht nach Nacht, atmet ein wenig Wärme. Er streift ihre Wange. Seine langen Hände sind vom der Sonne gebräunt, sind männlich, ohne schön genannt zu werden: maskulin, kräftig. Ein nervöser Schauer durchzuckt sie, als seine Hände ihr Gesicht berühren, spielerisch, doch wie alles von ihm eine versteckte Forderung. Sie versucht schwach, ihn festzuhalten, greift nach seiner Rechten…
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