*
Kevin schrak auf. Nicht, weil die Musik aufgehört hatte, sondern weil ihm jemand die Kopfhörer abstreifte. Im gedämpften Licht der Notbeleuchtung erkannte er das Gesicht einer jungen Frau. Sie war offensichtlich eine Asiatin, und sie war ausgesprochen hübsch. Bastian hatte entweder tiefgestapelt oder absolut keine Ahnung. Das Gesicht schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln.
„Oh, ich habe sie wohl geweckt. Das tut mir leid.“
„Das muss ihnen nicht leidtun. Sind sie die neue Nachtschwester?“
„Ja, das bin ich. Haben sie irgendeinen Wunsch? Soll ich ihnen etwas zu trinken bringen?“
„Einen Schluck Wasser vielleicht, bitte.“
Kevin musterte die Nachtschwester, die zum Waschbecken ging, um ein Wasserglas zu füllen. Sie war von zierlicher Gestalt, ohne dabei klein zu wirken. Ihr blütenweiser Kasack und die hautenge Stretchhose saßen wie maßgeschneidert und standen ihr ausgezeichnet. Die pechschwarzen Haare trug sie vorschriftsmäßig hochgesteckt. Sie setzte das Glas an seine Lippen. Kevin trank in kleinen Schlucken, wobei er die Japanerin nicht aus den Augen ließ. Ihr ovales Gesicht, ihre dunklen, mandelförmigen Augen und ihre zierliche Nase erfüllten mit Sicherheit die strengen Anforderungen an eine klassische Geisha. Ihr voller, ungeschminkter Mund war eine einzige Verheißung. Kevins Blick wanderte über ihre schmalen Schultern hinunter zu dem auf der Brust angebrachten Namensschild (ihr Name war Chisato). Verstohlen bewunderte er ihren hohen Busen, der sich ihm unter dem Kasack keck entgegenwölbte.
Artig bedankte er sich, als sie das geleerte Glas absetzte. Lächelnd lüftete sie die dünne Bettdecke, um sie aufzuschütteln. Dabei musste ihr Blick auf den feuchten Fleck auf seinen Shorts gefallen sein, denn ihr hübsches Gesicht wirkte plötzlich seltsam betrübt.
„Wie lange sind sie schon hier?“
Ihre dunkle, weiche Stimme mit dem leicht exotischen Akzent klang sorgenvoll.
„Acht Tage genau.“, antwortete Kevin und bemühte sich, seine Verlegenheit wegen des Flecks zu verbergen.
„Kommt ihre Frau sie besuchen? Oder eine Freundin?“
Kevin wunderte sich über die eigenartigen Fragen, beantwortete sie jedoch wahrheitsgemäß.
„Mein Kompagnon schaut ab und zu herein. Meine Eltern waren auch schon hier.“
Die Nachtschwester schüttelte bekümmert den Kopf.
„Das ist nicht gut für einen jungen Mann wie sie.“, murmelte sie, während sie die Decke glattstrich. „Schlafen sie gut. Ich werde später nochmal nach ihnen schauen.“
Sie schenkte ihm wieder ihr geheimnisvolles Lächeln und verließ den Raum so geräuschlos, wie sie ihn betreten hatte.
*
„Na, ist die nicht nett, die neue Nachtschwester?“ fragte Bastian, als er die Frühstücksbrötchen schmierte. Obwohl sich Kevin mit Bastian oft aus purer Opposition stritt, fiel ihm kein Gegenargument ein.
„Kein Vergleich zur alten, diesem Feldwebel. Ein wenig exotisch vielleicht…“
„Daran gewöhnen sie sich schnell.“ meinte der Zivi leichthin. „Nix gegen unser einheimisches Personal, aber die Asiatinnen haben ein ausgesprochen gutes Händchen für Patienten. Liegt wohl an dem Yin und Yang. Akupunktur und die fernöstliche Schule eben. Ich kenne mich da auch nicht so aus. Machen sie einfach, was sie sagt. Es wird ihnen guttun.“
Nachtschwester
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