Das nasse Kätzchen

Geschichten vom Anfang der Träume

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Das nasse Kätzchen

Das nasse Kätzchen

Stayhungry

Elvira rüttelte die beiden Schnarchzapfen wach, die sich benommen die Störung ihrer Ruhe verbieten wollten. Doch sie war gnadenlos. Ich ruf euch jetzt ein Taxi, euren Rausch könnt ihr zu Hause ausschlafen. Nein, euer Chef kann euch nicht nach Hause fahren, der ist schon lange weg, und für euch wird‘s jetzt auch Zeit.
Von einigen energischen Aufforderungen der Hausherrin begleitet, rappelten sich die alkoholisierten Liebhaber hoch, sammelten ihre Kleidungsstücke, wollten noch ein bisschen zudringlich werden, zumindest ein wenig weiter bechern, und verließen schließlich die Wohnung, als der Taxifahrer klingelte.

***

Elvira, die neue Kollegin, jung, fröhlich, lange schwarze Haare, dunkle, fast schwarze Augen und Beine bis zum Hals.
Sie duzte ihn bei der ersten Begegnung, obwohl er ihr Chef sein hätte können und auch ihr Vater. Beides war er nicht und ihr Verhalten war weder distanzlos noch laszive Anmache, sondern einfach Ausdruck ihres unkomplizierten, offenen Wesens. Gefördert wurde dies durch den ohnehin etwas hemdsärmeligeren Umgangston auf dem Dorf, woher sie kam.
Dieses Dorf war ihre zweite Heimat, denn sie entstammte einem vergleichbaren Ort in einem Land gar nicht so weit von hier, in dem Menschen ihre Nachbarn ans Scheunentor nagelten, nur weil sie ein anderes Gotteshaus besuchten. Als der Wahnsinn auch über jene Gegend hereinbrach, konnte Elviras Mutter sich und die beiden kleinen Mädchen noch in Sicherheit bringen. Mit dem letzten, hoffnungslos überfüllten Bus verließen sie im Morgengrauen das Dorf. Ihr Vater, noch keine dreißig, blieb zurück mit den anderen Männern, um die Häuser zu beschützen, ein kleiner, schlecht bewaffneter Haufen ohne die geringste Chance. An diesem Tag sah sie ihn zu letzten Mal, den Abend dieses Tages erlebte er nicht mehr. Weil es barbarischen Menschen nicht genügt, ihre Opfer qualvolle Tode erleiden zu lassen, sorgen sie voller Stolz dafür, dass durch bewusst verschonte Zeugen die Kunde ihrer Grausamkeit zu den Davongekommenen dringt, um ihnen im Überleben die Seele unheilbar zu verletzen.
Anders als viele der Fliehenden in diesem Bruderkrieg wurde ihre Gruppe nicht behelligt, bis sie in Sicherheit waren, den Frauen und Kindern blieben die so häufigen Vergewaltigungen und Misshandlungen erspart.
Die Flucht führte sie am Ende nicht in eines der unseligen Lager und Massenunterkünfte, denn eine Familie auf dem Land hatte eine leer stehende Wohnung für eine Flüchtlingsfamilie zur Verfügung gestellt. Die Nachbarn, die am Stammtisch und beim Gespräch über den Zaun gern der üblichen Fremdenfeindlichkeit huldigten, hielten angesichts des anrührenden Schicksals dieser Menschen ihre schützenden Hände über sie, denn die waren jetzt ihre Anvertrauten, und damit gehörten sie dazu im Dorf. Kinder überleben unglaublich vieles, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt. Elvira und ihre Schwester schafften es, glücklich zu werden und irgendwann konnte die Mama dieses Gefühl auch wieder zulassen, ein wenig zumindest.
Das mochte vielleicht der Grund sein, warum Elvira trotz der Erinnerung an den schmerzlichen Abschied und trotz des spürbaren Leids der Mutter selbst keinen Schaden nahm an ihrer Seele, warum sie statt eines Traumas eine überbordende Lebenslust entwickelt hatte.

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