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Ganz so einfach war es nicht in den Tagen darauf, aber Carola rief nicht an und er beschränkte sich auf ein ausgiebiges Durchleben seiner Erinnerungen in seinen Phantasien. Diese waren schon vor der Begegnung mit ihr ein wichtiger Teil seines sinnlichen Lebens gewesen. Was er einst als armseligen Ersatz empfunden hatte, war längst zu einer Bereicherung von unschätzbarem Wert geworden. Die Gedanken sind frei, und hier war er ganz bei sich. Nur jetzt hatte der freie Flug der Gedanken und Gefühle ein Gesicht, eine reale Geschichte. Und er war nach unendlich langer Zeit wieder aus vollem Herzen begehrt worden. Er schaffte es nicht, unglücklich zu sein und auch das schlechte Gewissen hatte nur eine sehr leise Stimme.
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Der Widerstreit kam erst richtig über ihn, als er wieder im Zug saß. Sollte er Carola anrufen? Er war nicht scharf auf eine Affäre, die am Ende alle unglücklich werden ließ. Und hatte sie ihn nicht längst vergessen, sie eine junge, attraktive Frau, ihn, sicherlich ein angenehmer Zeitgenosse, dessen angegraute Schläfen jedoch deutlich signalisierten, dass er seine besten Jahre unzweifelhaft hinter sich hatte? Ihre Abschiedsworte waren Balsam auf seiner Seele gewesen, aber er könnte ihr Vater sein und trotz dieses zeitlosen Schwebens im siebten Himmel konnte er sich nicht vorstellen, mit einer so jungen Frau zu leben. Ganz abgesehen von seinen nach wie vor starken Gefühlen für seine Frau.
Nur seine Träume am Tag und in der Nacht belebte Carola und er wusste nicht, wonach er sich mehr sehnte, es mit ihr zu treiben oder mit ihr zu reden in irgendeinem Cafe oder Restaurant. Diese Bilder wechselten in wahlloser, schneller Folge vor seinem inneren Auge. Anrufen?
Natürlich, aber auch: natürlich nicht! Kein Öl ins Feuer gießen! Ach was, mal sehen, wie der Geschäftstermin verläuft, dann könnte er sich immer noch entscheiden. Und wenn sie dann keine
Zeit hatte? Er fand keine Lösung.
So in endlos kreisenden Gedanken verloren, stieg er aus dem Zug und trottete mit gesenktem Blick zur Treppe in die Unterführung unter den Gleisen.
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The Man is back in Town!
Den knurrigen Tonfall von Phil Mogg bekam die zarte Stimme neben ihm ziemlich gut hin. Verwirrt suchte er ihre Quelle.
Na, schöner Fremder, überrascht? Hast Du eine Minute oder bist du sehr in Eile?
Da stand sie, im langen dunkelgrauen, stark taillierten Wildledertrenchcoat, lässig geöffnet, darunter eine schwarze Bluse, ein sündig kurzer hellgrauer Minirock und schwarze Strümpfe, Ankleboots – ein Model eben.
Du hast nicht angerufen, dass Du kommst – hast Du keine Lust, mich zu sehen?
Sie fragte nicht als Bittstellerin, die trotz Angst, abgewiesen zu werden nicht anders konnte, als verzweifelt ihre Chancen auszuloten. Schon ihre Frage begleitete ein Lächeln, das verriet, wie sicher sie sich war über die wahre Antwort, wenn er auch noch so fahrig stammelte, Sachen wie: ich wusste nicht, ob Du mich tatsächlich wiedersehen willst, was tun wir da, ist es gut, eben all dieses Hadern der zaudernden, ängstlichen Ehemänner, die mit unverhofften wilden Gefühlen abseits gängiger Regeln dann doch nicht zu Recht kommen. Schließlich zuckte er mit den Schultern und gab sich im Kampf gegen seine mahnende innere Stimme geschlagen: natürlich habe ich ständig an Dich gedacht, verdammt nochmal: ja!
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