Neugier

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Neugier

Neugier

Anita Isiris

Mit wie vielen Männern Piera schon geschlafen hatte, wusste sie nicht mehr so genau. Es spielte eigentlich auch keine Rolle. Sie war unglaublich kess, unglaublich relaxed, was Männerbekanntschaften anging. Piera konnte sich das leisten – bei ihrem Aussehen! Sie liebte es, sich zu schminken, insbesondere die Augenpartie. Immer standen Cajal-Stifte und Wimperntusche auf ihrem Spiegelschrank rum, einem Schrank, der schräg in der Halterung hing – wie viel anderes in ihrer Altbau-Wohnung in Bern-Breitenrain.

Die Wohnung hätte dringend saniert werden müssen. Die Fassade bröckelte, diverse Abläufe waren verstopft und Piera hatte sich längst dran gewöhnt, dass auch der Thermostat der Gasheizung den Geist aufgegeben hatte. Der Durchlauferhitzer liess die Temperatur in der Wohnung so lange einsteigen, bis Piera einschritt und das kleine Pilotflämmchen löschte, das die alte Maschine in Betrieb hielt.

Piera war Verkäuferin im Migros-Laden gleich um die Ecke und es mag erstaunen, dass ihr wohl geformtes Hinterteil seine knackige Konsistenz über all die Jahre beibehalten hatte – trotz stundenlangem Sitzen an der Registrierkasse. Im Gegensatz zum Schicksal, mit dem andere Kolleginnen haderten, war ihr Arsch nie aus der Form geraten.

Piera war Realistin, was ihre beruflichen Aussichten anging, Träumerin, was Männer anging, Visionärin, was Sex mit ihnen betraf. Piera mochte auch Frauen, oh ja! Sie zeigte sich gerne am offenen Fenster, im Unterhemd, untenrum nackt, mal frisiert und mal nicht. Beobachter gab es zuhauf; die alten Häuser waren sehr eng ineinander gebaut – und man wurde als Bewohner zum unfreiwilligen Voyeur. Man brauchte bloss ans eigene Fenster zu stehen – etwa um sich an den Vorhängen zu schaffen zu machen – und schon konnte man einen Blick in gegenüber liegende Schlafräume, Toiletten und Küchen erhaschen.

Der Männerpopo war Pieras absolute Leidenschaft. Nein, nicht nur der Po – sondern der männliche Unterleib in seinem gesamten Kontext, will heissen, dass Piera hervorstehende Beckenknochen liebte, auf rasierte Geschlechtsteile stand und ihre Finger, die tagsüber nicht viel mehr taten als die Tastatur der Registrierkasse zu streicheln, fürs Leben gern männlichen Arschbacken entlang gleiten liess.

Ihre Begierde, ihre Leidenschaft hatte ihr aber auch schon Leid gebracht. Viele ihrer bisherigen Lover konnten mit Pieras Neugier nur schlecht umgehen. Sie, die Männer, waren es doch, die neu-gierig zu sein hatten! Bluse aufknöpfen. Bügel-BH wegfetzen. Höschen zur Seite schieben. Möse mit Zunge erkunden und so was. Dass eine Frau in Sachen Neu-Gier den Anfang machte, schien Vielen ungewöhnlich, und sie reagierten irritiert. Entzogen sich Piera. Verhielten sich abwartend. Oder versuchten, ihr zuvor zu kommen, indem sie ihre Jeans aufknöpften, ihre Brüste kneteten und so rasch als möglich ihren Schwengel in sie zwängten.

Das war nicht die Art von Liebemachen, von der Piera träumte. Schneller Sex mochte eine Kolumne sein in Cosmopolitan, mochte Kicherthema sein in den kurzen Arbeitspausen, mochte dargestellt werden in Schmuddelpornos, die Piera von besonders einfallsreichen Männern vorgeführt wurden – um sie anzuheizen, sie geil zu machen.

Piera aber war von sich aus neu-gierig! Da musste niemand etwas dazu beitragen.

So kam es, dass sie Philippe kennenlernte. Er gehörte zur Reinigungsequipe und schob dieselbe Schicht wie Piera. Er war Franzose, Student und hatte sich mit viel Glück einen Ferienjob beim Grossverteiler geangelt. Was Piera als erstes auffiel, war seine viel zu grosse Hose, die un seine Beine herum schledderte. An jedem andern Mann hätte dies lächerlich gewirkt – bei Philippe weckte das zu gross geratene Bein-Kleid Interesse. Er radebrechte auf deutsch, was sehr rührend anmutete: Von seinen zwei Arbeitskollegen konnte keiner französisch.

Piera war des Französischen mächtig – wenn auch nur rudimentär. „Salut – comment t’appelles-tu“ konnte sie aber ziemlich akzentfrei sagen, und Philippe antwortete. „Philippe“, hatte er knapp zu ihr gesagt – aber das Eis war bereits gebrochen. An jenem Tag war es sehr schwülheiss gewesen, die Klimaanlage hatte ihren Dienst versagt. Wenn Piera etwas hasste, dann waren es ihre halbsynthetischen Arbeitsklamotten. Der Schweiss rann unter ihren Armen und die Tropfen kitzelten sie unangenehm. Die Hose, die sie tragen musste, war viel zu eng geschnitten, das Oberteil hingegen schlabberte so an ihrem Körper herum wie Philippes Hose an dessen Beinen.

Aber Pieras Arbeits-Oberteil weckte Philippes Neu-Gier. Er machte keinen Hehl daraus, zwinkerte ihr im kleinen Kaffeeraum zu und betrachtete versonnen ihre feine goldene Halskette. Das Gespräch war etwa so zähflüssig wie die Zeit, die kaum zerrann, oder wie die Melasse, die sich am Boden ausbreitete, weil eine ungeschickte ältere Dame das Glastöpfchen zu Boden geschmissen hatte, damit sie besser an die Bitterorangenkonfitüre rankam.

Als die Pause zu Ende war und Philippe die Melassenschweinerei aufwischte und sich dabei bückte, sah es Piera. Sie sah Philippes kugelrundes, freches Popöchen, das sich unter seiner Schlabberhose abzeichnete. Ihre Schläfen pochten. Sie war ohnehin gerade mal wieder Single, und das Wissen, dass Philippe nach seinen Semesterferien abreisen und sie wohl zu nichts verpflichten würde, war befreiend.

Dann lud sie ihn mit mühsam zusammengeklaubten französischen Wörtern zum Mittagessen in ihre Wohnung ein. „On peut manger ensemble“, schlug sie ihm vor, „pour s’amuser un peu.“ Philippe hob belustigt die Augenbrauen. Er schien initiative Frauen gewohnt zu sein. In Frankreich gab’s bestimmt auch welche.

„Si tu veux, je peux cuire.“ Das überraschte Piera. Philippe würde sie bekochen!

Und tatsächlich: Am folgenden Mittwoch beeilte sie sich, zuhause zu sein, bevor Philippe klingelte. Sie duschte, machte sich frisch und wollte sich dem Jungen als gepflegte Frau hingeben – nicht als verschwitzte Verkäuferin mit roten Striemen unter dem Bügel-BH.

Sie riss das Küchenfenster auf, wischte in aller Eile Brosamen vom Frühstück weg, und da klingelte es auch schon. Philippe strahlte. „Oh – quel bonheur“, sagte er und meinte damit wohl Pieras Bleibe. Charme hatte die Wohnung – den Charme des Altbaus mit Kaminsims, Stukkatur an der Wohnzimmerdecke und zwei alten Kochherden, weil es ja vorkommen könnte, dass man mehrgängig kocht und vier Herdplatten so nicht hinkommen.

Philippe musste sich mit Kochen beeilen; die Mittagspause dauerte gerade mal vierzig Minuten. Aber er hatte vorgesorgt und Eier mit dabei, Eier, Speck und Maissalat für einen Schnellimbiss. „Quelle chaleur“, seufzte er. Ob er mit „chaleur“ die innere oder die äussere Hitze meinte, liess er jedoch offen.

„Oh oui – tu as raison“, sagte Piera leise und zog sich zurück, um sich Philippe kurz darauf in ihrem Lieblings-Outfit – Unterhemd und untenrum nackt – zu zeigen. Mit versonnenem Lächeln starrte Philippe auf Pieras gepflegte Muschi. Einen kleinen „Landing Strip“ hatte sie belassen, aus purer Eitelkeit, und weil sie der Meinung war, dass eine Totalrasur bei Männern nur kranke Kleinmädchenfantasien weckten. Philippe wurde still. „Que tu es belle…“, sagte er und warf einen Blick aus dem Fenster. Es war ein sehnsüchtiger Blick, und Piera ahnte, dass er zuhause eine Freundin hatte, die bestimmt gerade an der Seine sass und an ihn dachte.

„Tu acceptes que je me déshabille également?“, fragte er und senkte verlegen den Blick. Was war der Junge höflich! Gerade erst neulich hatte Piera gelesen, dass französische Kinder ausgesprochen gut erzogen sind – und dieses gepflegte Verhalten setzte sich wohl bis ins Jungmänneralter fort. „Déshabille-toi“, sagte Piera und lächelte ihn an.

Mit nur einer schwarzen Unterhose bekleidet, stellte Philippe sich an den Herd und zauberte in Kürze ein Rührei mit Speck, dessen Duft sofort die Küche erfüllte und Piera zu Bewusstsein brachte, wie hungrig sie eigentlich war.

Sie überlegte ob sie sollte – nicht sollte – sollte – nicht sollte… und bestaunte diesen geilen, geilen Philippe-Hintern, der sich unter dem dünnen Stoff abzeichnete. Oh, und diese zarten Hüftknochen… sein jungenhafter Körper… sein konzentrierter Blick… bestimmt wollte er sie glücklich machen mit einem leckeren Imbiss, um sie hinterher zu vernaschen, am offenen Fenster oder so. Franzosen sind in dieser Hinsicht nicht so kompliziert, hatte sie mal in der Cosmopolitan gelesen. Dann gab eine Handlung die andere. Piera lehnte sich über den Tisch. Streckte die Hand aus. War mal wieder ganz die kesse, relaxte junge Frau. Machte ein spitzbübisches Gesicht. Zog am Elast und warf einen frechen Blick auf Philippes Knackpo.

„Le menu peut-attendre“, sagte er im selben Moment, schob den Inhalt der Bratpfanne auf einen Teller, drehte sich um, ging auf Piera zu und herzte sie. Pieras Wonnehintern war allen Nachbarn vertraut, alten Männern, die ihre Zeit am Fenster verbrachten. Mehrere von ihnen hatten gesehen, wie sie sich über den Tisch lehnte. „Geiler JLo-Po“, flüsterte einer. Vor ihm hing ein Jennifer-Lopez-Pin-Up an der Wand.

Piera war das alles egal. Sie hatten noch genau zehn Minuten Zeit – und gingen ohne Vorspiel aufeinander los. Philippe machte seine Sache gut; Piera bekam kaum genug davon, an seinem rasierten Schwengel herumzulutschen – nicht ohne ihm dazu liebevoll den Hoden zu massieren. Dann spürte sie ihn in sich, den Franzosen mit den Schlabberhosen.

Im Orgasmus klammerte er sich an sie, stöhnte so laut, dass wohl auch gleich die Nachbarn aufmerksam wurden. Und er spritzte in Piera ab.

„Verhütung? Wegen einem Mal? Scheissegal!“, waren ihre Gedanken und sie wartete gespannt auf ihren Zyklus.

Ein paar Tage später kehrte Philippe nach Paris zurück.

Mit wie vielen Männern Piera schon geschlafen hatte, wusste sie nicht mehr so genau. Es spielte eigentlich auch keine Rolle. Sie war unglaublich kess, unglaublich relaxed, was Männerbekanntschaften anging. Piera konnte sich das leisten – bei ihrem Aussehen! Sie liebte es, sich zu schminken, insbesondere die Augenpartie. Immer standen Cajal-Stifte und Wimperntusche auf ihrem Spiegelschrank rum, einem Schrank, der schräg in der Halterung hing – wie viel anderes in ihrer Altbau-Wohnung in Bern-Breitenrain.

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