Ogon

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Ich bin Tatjana, neunundzwanzig Jahre alt. Meine Heimat ist Weißrussland. Flachwellige Ebenen, Sumpflandgebiet und Endmoränenlandschaft eiszeitlichen Ursprungs prägen dieses Stück Erde. Unser Volk wurde unter dem kommunistischen Regime jahrzehntelang geknechtet und ausgenützt. Heute haben wir eine Republik. Sie heißt Respublika Belarus. Es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und schweren Zusammenstößen zwischen Opposition und Regierung. Intrigen und Korruption kennen keine Grenzen.
Die Menschen meines Landes sind stolz und distanziert. Aber wenn sie lieben, dann ist es wie lauer Frühlingswind, der in lichten Birkenwäldern um helle Baumstämme tanzt und im zartgrünen Blattwerk das Nahen des Sommers besingt. Wenn wir lieben, dann tun wir es mit Leib und Seele und nichts wird uns jemals trennen, von demjenigen, der sein glühendes Herz uns ganz und gar verschreibt.
Meine Geburtsstadt heißt Minsk. Dort spielte ich in einem Orchester Geige, bevor ich nach Österreich zog. Musik…
Seit sieben Monaten lebe ich in Salzburg. Meine Eltern sind vor drei Jahren bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen. Meinem einzigen Bruder, Aljoscha, hat das Leben ebenfalls übel mitgespielt. Seine Frau ist mit ihren zwei gemeinsamen Kindern und einem anderen Mann durchgebrannt. Joschis gebrochenes Herz griff zur Flasche. Gepanschter Wodka ist billig. Er zähmt die Bevölkerung. Ein paar Wochen später schnitt er sich mit Scherben die Pulsadern auf und nun lebt er in einer psychiatrischen Anstalt. Ich schreibe ihm täglich. Aber er antwortet nicht.
Da ich von etwas leben muss, gebe ich Geigenunterricht. Aber davon kann ich gerade die Miete für meine Einzimmerwohnung bezahlen. Deshalb habe ich mich dem ältesten Gewerbe der Menschheit zugewandt und verkaufe meinen Liebesdienst. Um eine Straßendirne zu werden bin ich zu gebildet und kultiviert. Meine Großeltern waren Deutsche. Deshalb spreche und schreibe ich diese Sprache. Da ich mich nicht unter das Protektorat eines Zuhälters begebe, suchte ich eine andere Nische für meine Dienstleistung. Ich habe sie gefunden. Ich liebe den Menschen. Deshalb führe ich starke Männer, die das Verlangen und den Mut haben, sich fallen zu lassen, in den Schoß ihrer sexuellen Fantasien und Perversionen zurück. Wer sonst, wenn nicht ein starker Mann, könnte es ertragen, sein Innerstes nach außen zu stülpen, seine Urängste im Rausch der Lust und Qual hinauszuschreien, sich vor mir nackt und bloß und so verletzbar zu zeigen, wie es sonst nur die kleinen, flatternden Seelen neugeborner Kinder tun? Wer sonst könnte es aushalten, mir sein blankes Hinterteil entgegenzurecken und schluchzend, wimmernd darum zu flehen, genommen und geritten zu werden?
Vorurteile kenne ich nicht, denn ich kenne die Seele des Menschen. Ich weiß, dass alles Erdenkliche in ihr möglich ist. Ich bin Russin. Die Männer, die meine Kunden sind, sehnen sich zurück in den Mutterschoß, dem sie einst entsprangen. Sie sehnen sich nach und fürchten sich vor der starken, festen, führenden Hand der strengen Mutter, die sich um ihr Herz schließt, ihre Männlichkeit fasst und tief in ihren weit gedehnten Enddarm dringt. Sie vermissen die Frau, die mit Bestimmtheit ihren Ungehorsam zu bestrafen weiß. Herrin über Leben und Tod, Rachegöttin und Friedensengel. Auch wenn sie versuchen, sie zu bekämpfen, die Frau, die so viel Macht über sie besitzt; immer wieder sehnen sie sich nach der Güte, der Weichheit des nährenden Busens, an dem sie einst gehangen und sich fiebrig erschöpft und weinend dagegen drückten, um, begleitet vom Klang der beruhigenden Stimme, einzutauchen in die Geborgenheit der ursprünglichsten Gefühle und des sanftesten Friedens einfachen Seins: der bedingungslosen Liebe.

Einer meiner Stammkunden heißt Gregor. Bei unserer ersten Begegnung hat er mir seine Geschichte erzählt. Es ist eine schöne und traurige Geschichte. Sie ist wie das Leben. Gregor arbeitet in einem Beruf, in dem er zum Richter der Gesellschaft und Sprachrohr der Minderheiten und Einzelschicksale wird. Wie er das macht, ist ihm selbst überlassen. Er liebt es, in die Menschen einzudringen, hineinzukriechen in ihre Köpfe. Dort unternimmt er lange Spaziergänge zwischen den Alleen ihrer Gedanken und Verästelungen ihrer Gefühle. Gregor ist auf der Suche. Nun, fündig wird er immer. Dort, wo ihm etwas zu viel erscheint, nimmt er etwas weg. Dort wo ihm etwas zu wenig ist, fügt er Neues hinzu. Das, was ihm gefällt, das nimmt Gregor einfach mit. Wenn es Gregor danach ist, dann pflanzt er seine eigenen Ängste, Wünsche und Hoffnungen einfach ein in die lauwarmen Hirnmassen blökender Lämmer. Er will ihnen helfen, denen, den nicht geholfen werden kann. Und er will sich selbst helfen, ihm, dem niemand half.
Gregors zartrosa Herz ist so sanft und rein, dass man weinen könnte, ob dieser Schönheit.
Doch Misstrauen und Angst verschließen es vor anderen. Gregor ist misstrauisch, wütend, zornig und neidisch wie ein alter, versoffener Belorusse. Er will nie mehr enttäuscht, nie mehr verletzt werden. So erstickt er jede Liebe, auch die ehrliche, aufrichtige, gebende im Keim und orakelt jeder Verliebtheit ein rasches Ende entgegen. Wenn dieses schließlich eintritt, wundert sich Gregor und versteht Gott und die Welt nicht mehr. Gregor kann niemandem vertrauen, außer sich selbst. Wie könnte jemand wie er denn auch wirklich geliebt werden? War er doch voll von Schmutz und Dreck, Sedimentablagerungen vieler Jahre. Aber weil Gregor ein Mensch ist, sucht er die Liebe. Er sucht sie im Körperlichen, auch wenn er sich fürchtet. Und er sucht sie in Verletzungen, weil er glaubt, dass sie der Liebe Umkehr sind. Und wenn sie nicht das sind, so sind es dennoch Berührungen. Berührungen, die ihm vertraut sind. Verletzungen, in denen er sich wälzt. Ja, er fordert sie geradezu heraus. Das ist Gregors masochistische Ader, die keine sanfte Frauenhand bisher zu schröpfen vermochte. Gregor fühlt sich schlecht. Das nährt seinen Glauben an die Schlechtigkeit im Menschen. Hatte er es nicht schon immer gewusst?
Armer Gregor. Würde es denn niemals eine so gute, reine Liebe geben, die ihn so tief berührte, dass sein schwarzes, dickes Blut endlich abflösse ins kristallklare Wasser des Lebens sprudelnden Bachs und reinwüsche sein wehmütig trauerndes Herz?
Wir werden es nie erfahren. Ich bin nur eine Frau, die sich verkauft.
Und weil Gregor Angst hat, sucht er meine Nähe. Einmal pro Woche. So wie vor drei Tagen, um sich führen zu lassen und zweifelnd in meiner Anwesenheit zu zittern; hoffend, dass ich ihn tröstend auffangen werde im Ozean unendlicher Wärme und schrankenlosen Vertrauens. Er zahlt dafür. Ich gebe. Georg ist mein Kunde.
Vor drei Tagen war ich bei ihm. Er besitzt ein schönes Haus. Zu diesem Haus habe ich einen Zweitschlüssel. Es war sein Wunsch. Nicht meiner. Da er bis spät abends arbeitet, gehört es zum wöchentlichen Ritual, dass ich schon da bin, wenn er heimkommt. Er möchte von Mutter empfangen werden, die hart mit ihm ins Gericht geht, weil Gregor zu spät zum Abendessen ist. Er will hören, welch garstiger, ungezogener Junge er ist. Dabei lege ich ihn über meine Knie, ziehe ihm die Hose über seine nackten Pobacken und versohle mit kräftigen Schlägen seinen Hintern und den empfindlichen After, der sich aufgeworfen zwischen seinen kernigen Backen hervortut. Seine wulstige, feuchte Rosette schnappt nach Luft und saugt wie ein Kussmund im Leeren, insgeheim hoffend, bald empfangen zu dürfen. Ich bin seine Mutter. Wenn Gregor brav zu seiner Mutter ist, dann darf er sie lecken und seinen kleinen, bösen Schwanz in sie stecken. Gregors Schwanz ist nach links verbogen und scharf beschnitten. Mutti wollte das damals mit Vati so. Die lange Vorhaut, unter der sich die viele Ficksahne und der klebrige Lustsaft Gregors ständiger, krankhafter Wichserei stauen würde- nein, das war uns einfach zu unhygienisch. Wenn Gregor seiner Mutter tief pumpend und stöhnend seinen Samen genau dort hinein gespritzt hat, woraus er sich einst schleimüberzogen und blutverschmiert wand - aus ein und der selben Vagina, der er einst unbeschreibliche Schmerzen zufügte, und die sich jetzt in konvulsivischen Zuckungen des lustvollen Höhepunkts zusammenzieht - dann ist es für mich an der Zeit, die Rolle zu wechseln.
Nun bin ich seine Gebieterin, die ihn anderer Vergehen wegen, vielleicht gerade des eben begangenen Inzests, bezichtigt und bestraft. Später wird er mit abgrundtiefem Ekel und Abscheu an sein Verbrechen und an all diese schlimmen Worte zurückdenken. Objekt seiner Begierde und sich selbst wird er zerstörerisch hassen. Böser, böser Junge. Und genau in diesem Hass, in diesem Ekel verbirgt sich dieselbe geile Lust, die ihn nachher dazu treiben wird, sich den geschwollenen Riemen bis zur brutalen Explosion seiner hochgärenden Säfte zu reiben, um in einem diabolischen Orgasmus und unter ohrenbetäubendem Gebrüll all seine abartige Lust hinauszuschmettern in den luftleeren Raum.

Um Gregor gebührend zu empfangen, hatte ich mich entsprechend zurecht gemacht. Ich zog lange, schwarze Seidenstrümpfe an, ein schwarzes Lederkorsett und Schuhe mit extrem hohen Absätzen. Das Lederkorsett schnürte ich fest, damit meine Brüste, mein Becken und mein ausladender Hintern noch besser zur Geltung kamen. Meine behaarte Möse rieb stetig gegen den Reißverschluss im Schritt. Die langen, dunklen Haare ließ ich wie einen Seidenvolant über meine nackten Schultern fallen, an denen schon so mancher Mann vor Erlösung geweint hat. Ich lackierte mir die Fingernägel rot, schminkte meine vollen Lippen und schlüpfte in den langen, schwarzen Wollmantel. Dann schnürte ich ihn in der Taille, schlug den Kragen nach oben und ging so zur Bushaltestelle. Niemand wusste, was ich unter dem Mantel trug. Ich spürte Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen aufkeimen. Gregor würde heute Abend noch vor ihnen knien und darum bitten, an Mutters Quelle trinken zu dürfen.
Bei ihm angekommen, setzte ich Teewasser auf und begab mich ins Wohnzimmer. Ich schürte den offenen Kamin und zog mir Gregors Strickjacke an. Sie lag fein säuberlich zusammengefaltet auf einem Ledersessel. Gregor würde bald heimkommen. Ich ging zu seiner Bibliothek und berührte sanft die Bücher. Mit meinen Fingerspitzen glitt ich über die Rücken all der geschriebenen Reichtümer. Sie erinnerte mich an mein Zuhause in Minsk, das es schon lange nicht mehr gibt. Und daran, als ich noch ein kleines Mädchen war. Als meine Eltern noch lebten. Da holten mein Vater und ich im Winter oft gemeinsam Holz, draußen in einem Unterstand. Es war eiskalt, die klirrende Kälte schmerzte beim Atmen tief in den Lungen, so, als würden sie im nächsten Moment zerplatzen. Der Schnee knirschte unter den Tritten und dennoch war mir inwendig warm. Wenn die Nase rot anlief und die Augen tränten, drückte mein Vater mich fest an sich und erzählte mir Geschichten über die Jahreszeiten, das Sterben und das Neuentstehen. Sobald wir mit dem Holz zurück in den großzügigen Wohnraum gekommen waren, machten wir Feuer zusammen. Mutter war fröhlich, summte ein Lied und hatte die Kerzen in den Fenstern angezündet. Der würzige Duft kleiner Tannenzweige, die sie auf einem Marmorstück verbrannt hatte, durchzog den Raum. Es roch nach Winter. Wenn das Feuer zaghaft zu züngeln und knacken begann, das feuchte Holz in der Hitze zischte und in hohem Singsang pfeifende Töne von sich gab, ging ich zu unserer Bibliothek und suchte mir ein besonders schönes Buch heraus. Eines, dessen Einband meine Neugierde erweckt hatte. Mein Vater, der selbst mit einem Buch auf dem Sofa saß, beobachtete mich manchmal bei meiner Suche. Sobald ich mich für ein Buch entschieden hatte, schmunzelte er freundlich und wünschte mir eine gute Reise. Dieser Wunsch ging liebevoll an ihn zurück. Dann kuschelte ich mich tief in den Sessel vor das Feuer und begann zu lesen, nicht ohne zuvor das Buch zärtlich gestreichelt und daran gerochen zu haben. Hinter dem prächtigsten Lederband konnten sich die ödesten Landstriche verbergen, und der unscheinbarste Leinenrücken öffnete oftmals Tore zu goldenen Bergen und wilden Schluchten. Auch wenn der Inhalt selten dem Äußeren entsprach, so waren es doch immer Gedanken in Worte gefasst. Und diese lebten weiter in mir und formten sich dort zu bunten Bildern, Gestalten und neuen Geschichten.
Das Pfeifen des Teekessels riss mich aus meiner Erinnerung. Ich hatte ihn völlig vergessen. Schnell ging ich in die Küche. Dort nahm ich das kochende Wasser vom Herd und kippte es in eine blauschwarze Kanne. Dabei verschüttete ich etwas Wasser und verbrühte mir die linke Hand. An physischen Schmerz gewöhnt, hielt ich die verbrannte Haut unter das kalte Wasser und dachte an nichts. Ich setzte mich an den Küchentisch und goss Tee in eine blaue Porzellantasse. Kaum hatte ich den ersten Schluck des heißen Getränks zu mir genommen, hörte ich ein Auto nahen. Ich stand auf, zog die Strickjacke aus und warf sie achtlos auf den Boden. Gregor hatte sie schon wieder dort liegen lassen. Schon sah ich die Scheinwerfer des Cabrios in der Einfahrt aufblitzen. Jetzt gingen die Lichter und der Motor aus. Eine Autotür wurde zugeschlagen. Ich öffnete den Reißverschluss im Schritt des Korsetts und richtete mich gerade auf. Dann ging ich langsam zum Hauseingang und öffnete die Tür. Mein Sohn stand mit strahlenden Augen davor und hielt mir voller Erwartung einen Strauß roter Rosen entgegen.

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