Olgas Mumu

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Olgas Mumu

Olgas Mumu

Anita Isiris

Es war mal wieder heiß. Sehr heiß. Und auch des Nachts gab es keine Abkühlung mehr. Rainer lag auf dem Bett, wie ein toter Walfisch, und das Einzige, das sich bewegte, waren seine Finger. Seine Finger an Olgas Mumu. Olga war untenrum nackt, und sie blickte gedankenverloren aus dem Fenster, obwohl auf dem Sideboard das überdimensionale TV-gerät stand, dass die Beiden an einem Zahlenlotto gewonnen hatten. Es wurde das Abendprogramm geboten. Olga empfand Rainers Fingerspiele noch nicht mal als unangenehm. Wäre es bloß etwas weniger heiß gewesen, und wäre Rainer bloß ein attraktiver Mann. Das war er nun wirklich nicht – mit seinem Dreitagebart, der enorme Bierbauch bedeckt von einem weißen, längs gerippten Unterhemd. Olga hatte ihn schon mehrmals damit aufgezogen. „60er Jahre Liebestöter“, hatte sie dazu gesagt, ganz zu schweigen von Rainers weinroten Boxershorts – seine allerneueste Unterhose, die er sich vor über einem Jahr gekauft hatte. Aber immerhin. In den Shorts regte sich etwas. Rainer genoss die festen, prallen Labien seiner Olga, er liebte ihre dunkel behaarte Vulva. Hausfrauenschamlippen. Die Schamlippen der deutschen Hausfrau. Obwohl das niemand zugeben würde. Aber alle schauten hin. Alle, ob Italiener, Griechen, Japaner, Schweden, Türken oder Schweizer, hatten ersties.com abonniert – die meistgeklickten Frauen waren die Deutschen. Junge Berlinerinnen, Kölnerinnen oder Freiburgerinnen, die freimütig aus ihrem Leben erzählten – und sich dabei langsam auszogen, hochauflösend gefilmt, in 4K, bis die nackte Muschi und natürlich die Brüste ins Zentrum des Geschehens rückten, bespielt von schönen, Emotionen weckenden, gepflegten Frauenhänden mit filigranen Fingern.
Und die 28jährige Olga war genau so eine Frau. Begehren weckend bei den Männern, die an der Aldi-Kasse hinter ihr anstanden. Sie hatte diese gewissen Hüften, diese gewisse Haarlänge, diese gewissen Brüste, die der Schwerkraft folgten. Die Männer an der Aldi-Kasse fantasierten, wie es wäre, wenn diese Frau sie bekochen würde, nackt natürlich, oder wie es wäre, sie im Keller auf dem Werktisch zu nageln. Von alledem hatte Olga keine Ahnung. Sie wusste auch nicht, dass ihr Rainer vorne, beim Fenstersims, eine hochauflösende Kamera installiert hatte, eine Kamera, die jetzt genau zwischen ihre Schenkel zoomte. Hob Rainer die linke Hand - er „bediente“ Olga mit der Rechten-, zoomte die 4K Kamera das Objekt der Begierde, aktuell Olgas Mumu, heran. Senkte er die linke Hand, ging der Fokus weg und somit in die Totale, die genau so erregend war. Bewegte Rainer die Hand nach links, schwenkte die Kamera nach rechts. Bewegte er die Hand nach rechts, schwenkte sie nach links. Rainer liebte es, seine Olga herzuzeigen, aber natürlich nicht gleich der ganzen Welt, sondern lieber einer geschlossenen Gesellschaft interessierter Abonnent*innen. Ebenfalls hätte es ihm nichts ausgemacht, Olga vor seinen Kollegen auf dem Stammtisch zu vögeln, Olga, wie eine unglückliche Schildkröte auf dem Rücken liegend, Rainer auf ihr und tief in ihr.
Rainer machte seine Sache gut. Er legte den Mittelfinger an Olgas Clit, was ihre Atemfrequenz steigerte, dann tastete er sich nach unten zu ihrer feuchten Liebesöffnung und drang ein – allerdings nur mit der Fingerkuppe. „Ach Raini“, seufzte sie. „Ach Raini“. Rainer war 60 Jahre alt, und es war bloß einem Zufall zu verdanken, dass er und die halb so alte Olga als Paar zusammengefunden hatten. Sie hatte zuerst in der Nachbarwohnung gelebt, zusammen mit Seb, ihrem Partner. Dieser war aber eines Abends nicht von der Arbeit zurückgekehrt – über seinen Verbleib war bis heute nichts bekannt. So waren Olga und Rainer zusammengezogen, eher als die Art Zweckgemeinschaft, was Nachbarn oft sind. Gegenseitiges Blumen gießen während der Ferien, Zierfische füttern und so.



Irgendwann einmal war Olga vom Gästezimmer in Rainers Bett übergesiedelt, und, klar, zwischendurch überkam sie die Schwanzlust, sie wollte mal so richtig rangenommen werden, und wenn Rainer sie von hinten nahm, spürte sie zwar seinen Bierbauch an ihre Pobacken klatschen, aber sie sah ihn nicht. In dieser Liebesstellung konnte sie frei fantasieren, wer sie stieß. Der amerikanische Präsident. Der deutsche Außenminister. Oder, warum nicht, Jesus.
Rainer spreizte Olgas Schamlippen. Die Betrachter sollten alles zu sehen bekommen von seinem Schätzchen – gleichzeitig hob er die linke Hand, und Olgas Vulva war voll im Fokus des Geschehens. Langsam bewegte sie ihr Becken, und das Ganze ließ sich gut an. Sehr gut. Dann hielt Rainer es nicht mehr aus und wälzte sich auf sie – wissend, dass er die Stellung rasch wechseln musste, weil er selbst von hinten nicht allzu vorteilhaft aussah. Er musste Olga so weit bringen, dass sie auf ihm ritt. Genussvoll würde die Kamera ihren tanzenden Hintern herzeigen, und, klar, er würde ihre Pobacken spreizen, um auch Olgas süssen rosa Anus in Szene zu setzen. Anal hatte er sie bisher verschont, davon ausgehend, dass ihr „hinteres Pförtchen“ noch jungfräulich war. Ihn erregte das. Terra incognita. Was Rainer nicht wusste: Herr Weimar, der Nachbar im obersten Stock, Herr Lenzburg, der Briefträger und Johann, der Gärtner, teilten sich Olgas Polöchlein. Alle drei waren Analfetischisten, und sie konnten es sich an den Fingern abzählen, dass die liebeshungrige 28jährige es besorgt bekommen wollte, und zwar richtig. Oral. Vaginal. Und, klar, anal.
Es ging gegen 22:00 Uhr, und Rainer machte sich Sorgen, ob die Beleuchtung noch ausreichte, um Olga gut in Szene zu setzen. Während sie auf ihm ritt, betätigte er den Dimmer. „Siehst Du nicht genug…“, keuchte Olga und gab ihrem Rainer die Sporen. Dann war es sie, die die Position änderte, der Kamera ihre Vorderseite zuwandte und sich wieder auf Rainers gar nicht mal so kleinen Speer setzte. Er genoss den Anblick ihres prallen Hinterns und wusste, dass er ganze Meere hätte leerfischen können, ohne je auf ein derartiges Pracht-Exemplar wie „seine“ Olga zu stoßen, geschweige denn, in sie zu stoßen. Er hielt sie an den Hüften fest und genoss den Rhythmus, den sie vorgab. Die Kamera filmte Olgas Pracht-Titten, und es waren wirklich Pracht-Euter. Dunkle, hervorstehende Nippel, hervorstehend auch im unerigierten Zustand, ein Naturwunder eigentlich. „Puffy Nipples“, sagen die Expert*innen dazu. Die Kamera würde auch Olgas erhitztes Gesicht festhalten, ihr dunkles Haar, das ihr in die Stirn hing, ihr geöffneter Mund, ihre runden Schultern. Natürlich war auch Olgas Pracht-Hausfrauen-Mumu zu sehen, gemütlich-wollig behaart, das wahre Elysium derer, die den Clip dereinst würden betrachten dürfen, den Mitgliederbetrag begleichend, dann an sich herummachend.
Olga sank erschöpft zur Seite.
Rainer bildete mit Zeigefinger und Daumen der linken Hand einen kleinen Kreis, machte eine Drehbewegung – um den Film so zu stoppen.
Was er nicht wusste: Auch Olga war kein Kind von Traurigkeit, obwohl sie sich das nicht immer anmerken ließ. Sie war Sekretärin in einer Großbank, und sie hatte schon mehrmals festgestellt, dass sie bei den Männern Begierde auslöste. Einmal hatte sie sich auf die Glasscheibe des Kopierapparates gesetzt, in Anwesenheit eines Arbeitskollegen, und der hatte die Lichtschiene aktiviert. Olgas Arsch. Lachend hatte er sie hochgehoben, auf den Ausschnitt geküsst… und dann ihren gelben Sommerrock zurückgestreift, ihr Höschen zur Seite gezupft und sie im Stehen genommen – so heftig, dass Olga beinahe losgeschrien hätte.
„Eine Szenerie wie in ersties.com“, hatte ihr Arbeitskollege gelacht. Als Olga das Portal etwas später googelte, sah sie sie. All die natürlichen, fröhlichen Frauen, denen es nichts auszumachen schien, dass die Zuschauer gegen ein kleines Abo-Entgelt ihr Intimstes betrachten konnten.



Der Teufel hatte Olga gebissen – sie hatte sich auf der Seite registriert und wenig später eine Interviewerin in ihrer Wohnung empfangen. „Home made“ braucht nicht viel Technik. Olgas Masturbationsfantasie war rasch im Kasten; damals hatte Seb noch gelebt, aber sie wusste, dass er spät nach Hause kam. Möglicherweise lebte er noch immer – aber nicht mehr bei ihr, was ihr immer mal wieder schmerzlich bewusst wurde. Sie hatte es sich im Wohnzimmer bequem gemacht, hinter einem Glas Campari mit O’Saft, und sie hatte der Interviewerin Red‘ und Antwort gestanden, über ihre Hobbies, ihre Arbeit, ihre sexuellen Präferenzen. Dann hatte sie sich entkleidet und nach kurzem Vorspiel ihren blaugrünen Delphindildo in sich geschoben. Der Orgasmus war intensiver, als sie das erwartet hatte. Möglicherweise erregte es sie, dass sie bei ihren Fingerspielen gefilmt wurde und ihre Mumu zu sehen war.
Einen Tag später lud Rainer sein „home made“ Sexfilmchen bei ersties.com hoch - aber nicht, bevor er sich einen runtergeholt hatte. „Wirklich geil, Olga“, murmelte er. „Wirklich geil“.
Seb war vor Olga geflüchtet, weil er ein neues Leben suchte – mit seinen 50 Jahren. Er hatte die Maloche satt, und auch Olga langweilte ihn. Sie kochte immer dasselbe, ihre Unterwäsche kannte er in- und auswendig, und das betraf auch ihr Parfum, ihren Körper, ihre Gewohnheiten.
Darum war er abgehauen, darum hatte er sich von seinem Ersparten einen Caravan erworben. Da saß er nun, am Seegestade, vor sich einen Camping-Tisch, im Schatten, damit sein Handybildschirm nicht spiegelte.
Seb loggte sich auf ersties.com ein. Scrollte sich durch. Und stutzte.
Das Erste, was er erkannte, war seine Wohnung. Er wusste, dass ersties.com die einzige Porno-Bezahlseite ist, die biopsychosozialen Ansprüchen genügt. Die Frauen werden zu nichts genötigt, zeigen, was sie wollen und zeigen nichts, was sie nicht wollen. Dann schwenkte die Kamera zu… Olga. Zu seiner Olga, und sie trug das blaue Sommerkleid, das er ihr gerade eben erst geschenkt hatte.
Interviewfragen beantwortend, völlig relaxed, mit frisch gewaschenem Haar, und dann, das Kleid langsam aufknöpfend, war Olga für Seb eine ganz andere Frau. „Verdammt“, presste
Seb zwischen den Zähnen hervor, unterbrach den Clip und holte sich ein kühles Bier. „Verdammt“, nahm er den Faden wieder auf. Und er wurde Zeuge von Olgas Fingerspiel, auf seiner eigenen Couch, sah Olgas vertraute Mumu, aber im Filmkontext um ein x-faches erregender als in den Jahren, in denen er selbst zugange gewesen war. Er schaute Olga zu, bis sie kam. Dann lud er den Clip runter. Noch viele, viele Male würde er sie sich ansehen, die Masturbationsreise seiner Lebensgefährtin, die er wohl für immer verloren hatte.
Dann sah er den Hinweis. „Olga 2“. Was Seb da zu sehen bekam, war alles andere als biopsychosozial. Bio sicher, psychosozial eher nicht, denn ihm drehte sich vor Eifersucht der Magen. Er sah die Einstellung von Rainers Wurstfingern an Olgas hübschen Labien. Sah, wie Rainer mit kreisenden Bewegungen Olgas Clit zum Leuchten brachte. Hörte Olgas Stöhnen. „Gott, ist der Typ hässlich…“, entfuhr es Seb. „Verdammt…“.
Vor Sebs herunterhängender Kinnlade wälzte sich Rainer auf Olga. Dann wechselte er die Stellung, Olga offenbarte den Zuschauer*innen ihren großen, prallen Hintern, ein Ort der Liebe, nach dem sich Seb nun mit ans unerträglich grenzende Verlangen sehnte. Oft hatte er seinen Kopf an Olgas Po gebettet – wieviel Leben da pulsierte! Wieviel Wärme!
Wieviel Weichheit. Wieviel Liebe. Und nun… wurde sie von diesem gottverdammten Babyboomer gevögelt, diesem Frührentner.
Als Olga die Stellung wechselte und dem Zuschauer ihre Vorderseite, ihr Rack, herzeigte, kamen Seb die Tränen. Olga blickte direkt in die Kamera, und sie blickte somit Seb direkt in dessen Augen, in dessen Herz, in dessen Seele. „Schau… er nimmt mich jetzt“, schien sie zu hauchen. Sebs Herz dreht sich um, gleichzeitig war sein Stab noch nie so hart gewesen.
Enthielt die erste Filmsequenz, die Masturbationsszene, tatsächlich biopsychosoziale Elemente, konnte man das vom Vögel-Video nicht sagen.
Hrrrrrgh… knurrte Seb, tat einen weiteren grossen Schluck Bier und blickte auf den See hinaus, über dem der Himmel sich allmählich verfinsterte.
Es wurde Nacht; Tausende träumten von Olgas Mumu.
Seb war einer von ihnen.

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