Sebastian Rothmeyer hatte einen Sinn für Details. Dieser Sinn erwachte bei ihm stets im Sommer. Nicht dass er im Winter nicht auch da gewesen wäre, der Sinn. Aber da waren sie gut verhüllt, die Frauen. Trugen Halstücher. Warme Socken. Stiefel. Stiefeletten im besten Fall. Im Sommer aber konnte er sich in ihre Nähe setzen. In der Strassenbahn. Im Sommer konnte er sich in aller Ruhe eine Meinung bilden zu den durchsichtigen BH-Trägern aus Plastik, die auf im Grunde schönen Frauenrücken Einschnitte hinterliessen. Schweisspickel im schlimmsten Fall. Zudem gemahnten ihn diese durchsichtigen BH-Träger, die den Käuferinnen als “unsichtbar” verkauft wurden, an billigen Latex-Sex. Darauf stand er nicht, der Sebastian Rothmeyer. Zudem ist “durchsichtig” und “unsichtbar” keinesfalls dasselbe, nicht wahr. Sebastian Rothmeyer sah ganz feudal aus mit seinem gelben Sommerhemd, dem Dreitagebart und dem goldenen Schneidezahn oben links. Nicht, dass die Frauen sich nach ihm umgedreht hätten – das gerade nicht. Aber zumindest mieden sie seine Nähe nicht. War die eine oder andere Frau seinem Sinn für Details zu stark ausgesetzt – etwa dann, wenn er seinen Blick aufs Höschen unter dem Jeans-Minirock richtete, ruckelte sie, unangenehm berührt, an ihrem offensiven Kleidungsstück. Sonst aber war alles in Ordnung, die Welt nahm ihren gewohnten Lauf mit Fussballdepression, Hagelstürmen über sensiblen Rosenbeeten und Balkonpflanzen und unterbrochenen Waffenstillständen.
Sebastian Rothmeyer wollte heiraten. Seine Luisa kannte er seit über zehn Jahren, und sie hatte ihm vor nicht allzu langer Zeit einen kleinen Jungen geschenkt, den er über alles liebte. Jetzt war sie wieder schwanger. Sebastian Rothmeyer hatte in einer “Brigitte” gelesen, dass es für eine Frau die Welt bedeutet, wenn ihr Partner den Antrag während einer Schwangerschaft stellt. Im Sommer. Der Bauch schon gross, die Brüste wohlgeformt, das Umstandskleid mit den gelben und blauen Blumen durchgeschwitzt, der Blutdruck im Keller. Und dann, aus heiterem Himmel, der Heiratsantrag. Eine Frau brauche so was, hatte in der Brigitte gestanden Sebastian Rothmeyer war kein böser Mann, beileibe nicht. Aber er hatte einen Sinn für Details. Den Heiratsantrag wollte er mit einer Perlenkette flankieren. Nun sind nicht etwa alle Perlenketten gleich – auch wenn das für Laien den Anschein haben mag. Da ist mal der himmelweite Unterschied zwischen Süss- und Salzwasserperlen zu beachten. Salzwasserperlen sind runder, eher für die Ewigkeit und somit zur Bestärkung eines Heiratsantrags gedacht. Nur Zuchtperlen sind erschwinglich. Die mit rötlichem Ton kosten ein paar tausend Euro weniger als die weissen, matt glänzenden. Auch das Preisgefälle ist bemerkenswert. Kann sich ein Käufer eine 1000-Euro-Kette leisten, liegt auch eine 2000-Euro-Kette drin. Kann er 2000 Euro auslegen, liegen auch 4000 Euro im Bereich des Möglichen. Als Schmankerl kommt dann noch der Verschluss dazu. Perlenketten werden im gut sortierten Handel ohne Verschluss verkauft. Zückt der Käufer verzückt die Kreditkarte, wird er in einem Nebensatz darauf aufmerksam gemacht, dass ohne Verschluss nichts geht. Weissgold? Mit ein paar Brilläntchen? Weitere 1000 Euro wechseln den Besitzer.
Von der Verkäuferin war Sebastian Rothmeyer hingerissen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Sie trug ihr dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, wirkte ausnehmend gepflegt mit ihrem dezenten Lippenstift und den sorgfältig gezupften Brauen. Ihre ebenmässig geformten Zähne gaben Sebastian Rothmeyer den Rest. Er war Zahnarzt. Sie bat ihn, Platz zu nehmen. Klärte ihn über Unterschiede zwischen Süss- und Salzwasserperlen auf. Er lauschte nur ihrer Stimme. Stets wenn sie sich vornüber beugte um eine neue Kette auf die schwarze Samtunterlage zu legen, die sich vor ihm befand, konnte er einen Blick auf ihre Brust werfen. Nicht auf die ganze natürlich, aber auf den Teil, der frei wird, wenn eine Frau sich nach vorne beugt. Dann wirft der Ausschnitt nämlich Falten. Falten, die etwas offener sind, als Frau das eventuell will. Aber was soll´s. Sebastian Rothenmeyers Blicke oszillierten also zwischen Süsswasser, Salzwasser und Tittchen hin und her, und ihre Stimme war wie eine leichte Sommerbrise. “Wie sieht Ihre Frau denn aus?” hörte er sie fragen. “Äh... sie hat einen Hals”, hörte er sich sagen. “Ah ja?” lachte sie. “Einen Hals, so elegant die der eines Schwans. Etwa so wie Ihrer.” flirtete er. Die Verkäuferin errötete. Dann wurde dem detailversessenen Zahnarzt schwindlig. Die Verkäuferin lächelte ihm zu und erkundigte sich, ob sie ihm eventuell die wundervolle Salzwasserkette, die mit den grossen mattglänzenden Perlen für 3500 Euro, präsentieren sollte. Sebastian Rothmeyer schluckte leer. Draussen 31 Grad Hitze. Drinnen angenehme Kühle, Edelschmuck im spartanisch aber vornehm eingerichteten Juwelengeschäft, und diese Zauberfrau mit dem magischen Lächeln. Da Perlenketten, wie bereits erwähnt, nicht standardmässig über einen Verschluss verfügen, hob die Verkäuferin ihren rechten Arm und führte die Hand an ihren Nacken, um die Kette so zusammenzuhalten. Sie präsentierte Sebastian Rothmeyer ihre rasierte Achselhöhle und blickte ihn unverwandt an. Diese geile, geile Achsel! Viele Frauen bilden sich ein, ein sichtbarer String unter der tiefsitzenden Jeans sei für Männer ein Turn-On. In aller Wahrheit ist das starke Geschlecht aber achselversessen. Sebastian Rothmeyer starrte und starrte. “So schauen Sie doch auf die Kette”, lachte die Verkäuferin. Der Mann wirkte vollkommen ungefährlich, irgendwie durchgeknallt, aber sie war sich Männer gewohnt. Männer und ihre Reaktion auf weiblichen Sommerlook. Sebastian Rothmeyer stellte sie sich nackt vor. Vermutlich war ihr Busen nicht allzu gross – eine Handvoll oder so. Mit hochgehobenen Armen waren ihre Tittchen jetzt etwas straffer als im Normalzustand, passten sich den kleinen Bewegungen der Verkäuferin an. “Zeigen Sie mir noch diese Kette hier, die mit dem rötlichen Schimmer.” Die Verkäuferin tat, wie ihr geheissen, hob diesmal beide Arme nach hinten und präsentierte ihre gepflegten Achselhöhlen. Wie gerne Sebastian Rothmeyer sie gekitzelt hätte, nur ein ganz klein wenig, lässt sich hier kaum in Worte fassen. Nach sieben weiteren Perlenkettenpräsentationen entschied er sich für eine 5000-Euro-Variante, die sich von der 2- und der 3000-Euro-Variante in keinem noch so kleinen Punkt unterschied. Für Laien, versteht sich.
“Ich finde es wundervoll, wenn ein Mann seine Frau befriedigt”, sagte die Schöne, während sie Sebastian Rothmeyer die Tür öffnete – und entliess ihn ins Freie. Dann konnte sie nicht anders. Sie war leicht erhitzt und hätte sich diesem attraktiven Dreitagebartmann mit den Feueraugen noch stundenlang präsentieren können. Es war mittlerweile 19:00 Uhr. Sie schloss die Ladentür ab, ging nach hinten in die kleine Werkstatt, in der sich Utensilien wie Perlenfaden, Feilen, Messerchen und Scheren befanden, machte es sich auf einer kleinen Liege gemütlich und schenkte sich “une petite mort.”
Sebastian Rothmeyer tat dasselbe in der nächstgelegenen Männertoilette. Dabei stellte er sich die wundervollen Achseln der Verkäuferin vor. Nur mit Mühe konnte er “danach” seinen Pimmel wieder verstauen und erinnerte sich plötzlich daran, dass er seiner Luisa einen Heiratsantrag machen wollte.
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