Petermanns Geheimnis

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Petermanns Geheimnis

Petermanns Geheimnis

Herzog

Zwölf Sitzungen hatte er hinter sich, und er hatte dieser Fremden mit der randlosen Brille und dem unbeteiligten Blick alles erzählt. Diese Probleme mit den Frauen (ich weiß schon, was sie wollen, aber dieses Verlangen nach Dauer...). Sein Sehnen nach diesen soviel Jüngeren (es ist als wüssten sie nichts von mir, eine ewig neue Chance). Die Erinnerungsbilder aus der Kindheit: Mehr als ein halbes Menschenleben zurück und doch so klar, so deutlich, bis in alle Einzelheiten...
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Zum Beispiel die Küche zuhause: Der schöne alte Küchenschrank mit den Scheibengardinen im Mittelteil - laienhaft mit einem hässlichen Chamois überlackiert und an den Ecken schon wieder etwas abgestoßen. Dann der Gasherd: Ein Vorkriegsmodell und wohl nicht mehr ganz sicher. Die Mutter jedenfalls öffnete die Küchenfenster weit, wenn sie den Backofen benutzte, zu Weihnachten beim Braten der Gans oder beim Kuchenbacken vor seinem Geburtstag. Und da gab es diesen Küchenstuhl und darauf die große Emailleschüssel, halbvoll mit warmem Wasser, das Stück Kernseife daneben auf immer derselben Untertasse, nur die Farbe des Waschlappens wechselte einmal in der Woche. - Er davor, nackt: Halt dich an der Lehne fest und steh still! hatte die Mutter angeordnet, während sie ihn wusch, jeden zweiten Tag: Zunächst das Gesicht, wobei er die Augen schloss, dann Rücken und Vorderseite mit schnellen, energischen Bewegungen, schließlich seinen Piephahn und das Säckchen ... und ihre Bewegungen wurden langsamer und zärtlicher dabei, und sie erklärte ihm, wie wichtig es wäre, dass er gerade da unten sauber sein müsse, er wollte doch nicht krank werden, nicht wahr? Meist legte sie dann auch den Waschlappen beiseite und schäumte ihn ein mit ihrer großen, weichen Mutterhand, sehr lange manchmal und immer gründlich, und ihre Stimme war ganz leise, flüsternd, hatte einen dunklen geheimnisvollen Unterton, der ihn inwendig erschauern ließ... Das war ein schönes Gefühl für den kleinen Petermann, und sein Schwänzchen wurde groß und stark dabei ...(Er ist ja schon ein richtiger großer Mann, mein kleines Peterle!) gurrte die Mama nicht ohne Stolz, und das Peterle fühlte diese Mischung aus frühkindlicher Lust, Verlegenheit, etwas wie Stolz, einer geheimen Angst und dem Wunsch nach mehr. Schließlich hielt die Mama die Hand dann still, umfasste ihn fest, und er konnte nicht anders als seinen kleinen Körper bewegen, hastig und unbeherrscht, vor und zurück, noch einmal vor und zurück und wieder... bis die Mama dann ihre Hand wegnahm, Genug für heute!, das Peterle sich abtrocknen ließ, in dem großen weichen Badetuch... dann den Schlafanzug an und ab ins Bett... wo er oft noch lange wachlag...
Später, als die Mama wieder verheiratet war, mit diesem herzensguten Mann, den er gleich nicht leiden konnte, auch wenn es uns beiden jetzt besser ging, änderte sich vieles. Sie lebten nun in einer Dreizimmer-Wohnung mit einem Holzbadeofen in einem richtigen Badezimmer. Er war schon übergewechselt aufs Gymnasium, und immer noch kam die Mama sonnabends herein, wenn er badete, und sah ihm zu. Sie saß auf dem Badewannenrand, beobachtete ihn genau und zeigte ihm schließlich, dass er sein Häutchen zurückziehen und sich auch da gründlich reinigen musste. Er zeigte Spuren von Auflehnung, aber die Mama drohte, die Nagelbürste zu benutzen, wenn er nicht artig war, und so ließ er alles geschehen. Schließlich: Sie meinte es ja nur gut - und die Reaktion seines Körpers, wenn er nur daran dachte, an den letzten Badesonnabend oder an den kommenden, gab ihr wohl Recht. Es war wie eine Sucht: Dieses Gefühl des Ausgeliefertseins, das er so genoss und für das er sich doch gleichzeitig verachtete. Denn irgendwo ahnte er schon, dass das alles nicht ganz in Ordnung war...
Dann war da noch Tante Elisabeth, die alle nur „Betty“ nannten, was er damals, vielleicht acht- oder neunjährig, unweigerlich mit seinem Kinderbett oder mit dem großen Doppelbett in Mamas Schlafzimmer in Verbindung brachte. Sie war Mamas jüngere Schwester, unverheiratet, eine große, üppige Blondine mit streng nach hinten gekämmtem Haar, einem Knoten, den man damals Dutt nannte und wässrig-blauen Augen, die immer etwas verschlafen wirkten, wie auch ihre Stimme, nicht unangenehm, aber doch von dieser verträumten hintergründigen Sinnlichkeit. - Dass Tante Betty aber auch ganz anders konnte, das wusste nur er, und er hütete sich, darüber zu sprechen (abgesehen davon, dass ihm ohnehin niemand geglaubt hätte...). - Betty kam ins Haus, wenn die Mama mit dem neuen Mann abends ausging, zum „Tanz in den Mai“ mit den Kollegen von der Gewerkschaft oder mit dem befreundeten Paar aus der Nachbarschaft... Sie kam dann gegen Abend, brachte sich ein Buch mit und passte auf, dass der Junge keinen Unsinn machte und spätestens um halb neun ins Bett kam. - Natürlich gab es jedes Mal Theater, wie Betty das nannte, und er weigerte sich, war bockig und hatte Widerworte. Es war wie ein unabgesprochenes Ritual: Tante Betty steigerte sich in eine künstliche Wut hinein, er wurde immer störrischer, weigerte sich, Hände und Gesicht zu waschen, woraufhin sie das selbst in die Hand nahm... und wenn er dann immer noch keine Ruhe geben mochte, schlug sie ihm gewöhnlich den nassen Lappen ins Gesicht, was seinen Widerstand brach und ihn in heilloses Schluchzen verfallen ließ. Auch als er seinen Schlafanzug schon angezogen hatte, drückte er noch Tränen hervor, bis Tante Betty sich die frische weiße Leinenbluse auszog, den prall gefüllten Büstenhalter öffnete und ihn („Komm, mein Petermännchen“) anlegte („Aber nichts der Mama sagen, hörst du!“). Im selben Moment wurde er ruhig, und länger als eine halbe Stunde saß sie oft so an seinem Bett., hielt ihn im Arm, und nicht selten fand ihre andere Hand den Weg unter die Bettdecke und prüfte nach, ob er sich wieder so schrecklich aufregte dabei, was für sie ein erneuter Grund war zum Schimpfen, wenn auch mit sanfter, leiser Stimme, und wie lange dauerte es oft, bis sie ihre Hand wieder fortnahm...
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Die Frau Doktor hatte nicht viel gesagt zu all dem, was auch nicht nötig war, er wusste ja selbst, wie es um ihn bestellt war: Diese Sucht nach Heimlichkeit, diese Unfähigkeit zu Eroberungsverhalten gegenüber Frauen der richtigen Altersklasse, diese Sehnsucht nach der sanften, mütterlichen Domina... Er wusste, womit dies alles zusammenhing, warum er nicht normal war wie all die anderen Männer um ihn herum... oder bildete er sich das nur ein, war er vielleicht gar nicht solch ein Sonderfall, wie er immer geglaubt hatte?
Das ist es nicht, was dich interessieren sollte, hörte er die Stimme der Frau Doktor plötzlich über sich, und wunderte sich noch, wieso sie ihn mit einemmal duzte. Er lag in diesem ledernen Ruhesessel, und plötzlich war ihr Gesicht über ihm. Sie hatte die Brille abgenommen und zeigte eine sanfte Entschlossenheit, die ihn ganz einfach hilflos machte.
Bis jetzt war es Analyse, jetzt beginnt die Therapie. Du wirst lernen, nicht mehr dagegen anzukämpfen... warum auch...Wir wissen doch beide, warum du zu mir und nicht zu einem männlichen Kollegen gegangen bist.
Sein Atem stockte und er spürte, wie sie in aller Ruhe begann, die Gürtelschnalle an seiner Jeans zu öffnen, ohne dass er sich dagegen wehren mochte...

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