Phryne

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Leif Larsson

Seinen Vortrag über ein vermeintlich innovatives und vermarktbares Spezialverfahren hatte er am zweiten Tag halten dürfen. Wieder war es ihm gelungen, eigentlich schon bekannte Fakten mit einigen neuen, aber wenig bedeutsamen Forschungsergebnissen so zu präsentieren, dass ihm ein über das höfliche Maß hinausgehendes Interesse sicher war. Schon vom Rednerpult herab hatte Carlo im Auditorium die Sponsoren und Geschäftspartner taxiert, von denen sich die Institutsleitung lukrative Projektbeteiligungen und andere Formen der geldwerten Förderung versprach. Nach seinem Vortrag würde er sie bei gutem Essen und reichlich Moselwein von der zu erwartenden win-win-Situation überzeugen müssen, damit das Projekt mit ihrem Geld am Leben erhalten werden konnte.

In der ersten Reihe des Auditoriums saß eine junge Frau. Sie war Carlo sofort aufgefallen. Er hatte ihr Konterfei bereits auf dem Einladungsschreiben zum Kongress und im Tagungsband gesehen. Sie war die Tochter und Erbin des Eigentümers des Luxemburger Mischkonzerns PharmaChemInvest, der das Meeting veranstaltete. An ihren Namen – Tina oder Suna sowieso? - konnte er sich leider nicht mehr genau erinnern. Sie war bei weitem nicht die einzige Zuhörerin in dem futuristischen Hörsaal des Kongresszentrums. Doch aus der Mischung aus zerknautschter Konfektionsware und auffällig-unauffällig zur Schau gestellten, nadelgestreiften Maßanzügen stach sie hervor wie ein exotischer Schmetterling unter einem Schwarm Nachtfalter. Zweifellos gehörte sie zu jenen Frauen, die überall und unter allen nur erdenklichen Umständen ein nur schwer erklärbares Aufsehen erregen.

Trotz der gedämpften Beleuchtung, in deren Schutz die Zuhörer auf den hinteren Sitzreihen sich mehr oder weniger unfreiwillig dem Schlummer hingaben, zog die Frau Carlos Aufmerksamkeit unwiderstehlich auf sich. Er vergaß alle Regeln der guten Präsentation und ließ seine Blicke beim Reden nicht mehr wie üblich über seine Zuhörerschaft wandern. Während er seinen Vortrag mechanisch herunterspulte, saugten sich seine Blicke an den großen, das ebenmäßige Gesicht beherrschenden Augen der Frau in dem schlichten grauen, aber eleganten Kostüm fest. Ihr leises, von einem wohlwollenden Nicken begleitetes Lächeln trieb ihm wohlige Schauer über den Rücken. Wie in Trance beantwortete Carlo nach Beendigung seines Vortrages die wichtigtuerischen Fragen einiger Zuhörer. Leider war die ausgesprochen interessante Frau nicht unter den Fragestellern. Seine Blicke irrten durch den von Stimmengewirr erfüllten Raum, suchten ihre elegante Erscheinung, doch sie schien das Auditorium bereits verlassen zu haben. Auch seine Hoffnung, sie beim anschließenden Stehimbiss in der Aula anzutreffen, blieb unerfüllt. Lustlos verteilte er Visitenkarten an die mutmaßlichen Kooperations- und Geschäftspartner, plauschte kurz mit Bekannten bei Lachsbrötchen und Weißwein, fachsimpelte notgedrungen mit enthusiastischen Studenten und empfand nach all den Jahren zum ersten mal eine Mischung aus Überdruss und Enttäuschung.

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