Phryne

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Phryne

Phryne

Leif Larsson

Kaum war der Wagen vor dem historischen Restaurant Koopmans Kontor zum Stehen gekommen, öffnete eine Art von Butler mit blütenweißen Handschuhen den Schlag. Nachdem Carlo seine Einladung vorgezeigt hatte, wurde er in eine Vorhalle komplimentiert, die mit allerlei Versatzstücken eines Überseekontors aus der guten alten Zeit ausstaffiert war. Er händigte seinen leichten Mantel dem Garderobier aus und schlenderte entlang abgewetzter Stehpulte, historischer Seekarten, englischer Teekisten und verstaubter Baumwollballen in Richtung Speisesaal, aus dem bereits angeregte Unterhaltung, Gelächter und das dezente Geklimper eines Klaviers an sein Ohr drang. Bereitwillig nahm er an der breiten Flügeltür ein Glas Champagner entgegen und betrat das vornehm knarzende Parkett. Vor der akkurat, mit makellos weißem Tuch gedeckten Tafel, auf der allerlei kristallenes Geschirr das Licht der prachtvoll-kitschigen Leuchter brach, standen Männer und Frauen in kleinen Gruppen beisammen, hielten sich an ihren Sektflöten fest und frönten dem small talk.
Carlo schritt langsam an den Grüppchen vorbei, nickte einigen flüchtigen Bekannten lächelnd zu und vertiefte sich in die Betrachtung der in Öl verewigten Kaufleute vergangener Epochen, die im Selbstbewusstsein ihres Erfolgs und ihres Besitzes aus schweren, vergoldeten Bilderrahmen auf die Versammlung herabsahen. Er war gerade an dem Konzertflügel modernster japanischer Produktion angelangt, in dessen Tasten ein befrackter, offensichtlich sehr befähigter junger Musiker griff, als Carlo eine leichte Berührung am Ellenbogen verspürte. Sina van der Moelen war unbemerkt an ihn herangetreten.

Carlo zögerte einen kurzen Augenblick, ehe er sich umwandte. Da stand sie vor ihm, die Frau aus der ersten Reihe und eine der reichsten des Landes obendrein. Sie trug dem Anlass entsprechend ein Etui-Kleid aus schwarzer Seide, das ihre Figur sehr vorteilhaft betonte, dazu eine kurze Bolerojacke aus Baumwollstretch. Das chice Business-Outfit endete kurz oberhalb der Knie und brachte die schlanken Beine zur Geltung, die durch die schwarzen High Heels stilvoll verlängert wurden. Ihr kastanienbraunes Haar war auf raffinierte Weise hochgesteckt, die schwingenden Ohrringe aus Silber und Lapislazuli betonten das hübsche Gesicht mit den großen, ausdrucksstarken Augen und dem dezent geschminkten Mund. Eine schimmernde Perlenkette schmückte den zierlichen Hals. Sie lenkte den Blick auf ein Dekolleté, das durch den waagerechten Ausschnitt weniger auf unverhüllte Offenbarung setzte, sondern vielmehr die Fantasie des Betrachters auf das Angenehmste anregte. Alles in allem machte die Dreißigjährige eine fabelhafte Figur.

„Da sind sie ja, mein lieber Doktor! Ich hatte schon befürchtet, dass Sie schon abgereist sein könnten.“
Sie schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln, das er linkisch erwiderte, und reichte ihm eine schmale, grazile Hand – allerdings hielt sie sie mit dem Handrücken nach oben, was ein konventionelles Händeschütteln ausschloss. Carlo rief seine längst verschütteten Tanzkurserinnerungen ab, fasste ihre Fingerspitzen, brachte seine Lippen so nah wie möglich an ihre Knöchel heran, ohne sie jedoch zu berühren, und richtete sich wieder auf.

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