Phryne

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Phryne

Phryne

Leif Larsson

„Wie hätte ich eine so reizende Einladung ausschlagen können, Madam. Es ist mir eine große Ehre, heute Abend Ihr Gast sein zu dürfen.“
„Die Freude ist ganz meinerseits, Doktor.“ strahlte sie ihn an und nippte an ihrem Champagner.
„Den Doktor habe ich im Hotel gelassen.“
„Verzeihen Sie, aber ich glaube, Sie sind der erste heute Abend, der auf den Titel keinen Wert legt.“
Verschwörerisch beugte er sich ein wenig vor, als ob er ihr ein Geheimnis anvertrauen wollte.
„Der akademische Grad ist kein Bestandteil des Namens.“ erklärte er. „Die meisten wissen das nur nicht…oder wollen es nicht wissen.“
„Mit Verlaub, Sie scherzen!“
„Ich bin ein schlechter Witzeerzähler.“
Sie neigte den Kopf und sah ihn über den Rand ihrer Designerbrille hinweg seltsam an.
„Sicher haben sie andere Qualitäten, die es wert sind, kennengelernt zu werden.“
Ehe Carlo über diese kryptische Bemerkung nachdenken konnte, ertönte aus der Tiefe des Raumes mehrmals ein chinesischer Gong. Sofort improvisierte der Pianist ein paar abschließende Akkorde und ließ seinen Vortrag mit einem perlenden Arpeggio ausklingen.

„Kommen Sie!“ forderte Sina van der Moelen Carlo auf. „Lassen sie uns unsere Plätze aufsuchen. Der Küchenchef hat es gar nicht gern, wenn man ihn warten lässt.“
Sie stellten die leeren Champagnergläser auf der polierten Decke des Flügels ab und schritten an der langen Tafel entlang zu Mitte des Saales. Da sie voranging, erhaschte Carlo einen Blick auf die wohlgeformten Waden und die schlanke Taille seiner Gastgeberin. Sie hätte auf dem catwalk eine ausgezeichnete Figur gemacht.

„Hier sind unsere Plätze.“ verkündete sie, als sie die Mitte der Tafel erreicht hatten. Zu seiner Verblüffung entdeckte er sein Namensschild rechts neben dem von Sina van der Moelen. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass sie ihn absichtlich neben sich platziert hatte. Carlo rückte ihr den gepolsterten Stuhl zurecht und setzte sich. Die Gäste folgten ihrem Beispiel und nahmen ebenfalls ihre Plätze ein. Rechts neben ihm hatte ein junger Litauer Platz genommen, den er aus einer Podiumsdiskussion flüchtig kannte. Ihm gegenüber saß Bartolomeo Caresi, ein kahlköpfiger Sizilianer aus Palermo, der nur Augen für die schöne Gastgeberin zu haben schien. Daneben thronte eine steife, gouvernantenhafte Österreicherin mit Hornbrille und streng nach hinten gekämmten, im Nacken zusammengebundenen, grauen Haaren in Gesellschaft eines korpulenten Ungarn. Links neben Sina van der Moelen hatte sich der Dekan der hiesigen Fakultät für Chemotechnologie niedergelassen. Die Gastgeberin parlierte mit allen charmant auf Englisch, während aufmerksame Kellnerinnen die Getränke kredenzten.

Carlo beteiligte sich nur sporadisch an den zumeist belanglosen Gesprächen. Er tauschte ein paar höfliche Worte mit dem jungen Litauer und lauschte ansonsten der angenehmen, leicht rauchigen Stimme seiner Gastgeberin. Auch grübelte er über den Grund ihrer Einladung nach. Warum hatte sie sich ausgerechnet ihn als Tischnachbarn auserkoren?
„Übrigens,“ eröffnete sie ihm plötzlich, als ob sie seine Gedanken gelesen hätte. „Erwarten Sie nicht von mir, dass ich mich heute mit Ihnen über die fachlichen Aspekte Ihrer Arbeit oder über ein mögliches joint venture unterhalte. Darum kümmern sich meine Mitarbeiter. Meine Einladung war rein privater Natur:“

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