Phryne

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Phryne

Phryne

Leif Larsson

Die seltsame Gefühlsregung Sina van der Moelens dauerte nur wenige Sekunden. Sie löste ihren Blick von der düsteren Szenerie und ergriff ihr Weinglas.
„Wir wollten doch heute Abend nicht über die Arbeit reden.“ erinnerte sie ihren Gast und drohte ihm lächelnd mit dem Zeigefinger. „Kommen Sie, stoßen Sie lieber mit mir an!“
„Gern. Auf die Schöpferin der Delfin-Therme!“
„Sie sind zu liebenswürdig.“
Während sie tranken sah der kahlköpfige Italiener unentwegt zu Sina van der Moelen herüber. Er schien sie mit den Augen auszuziehen. Missmutig stürzte er einen Grappa nach dem anderen hinunter.
„Ich wollte das Hotel eigentlich „Venus-Therme“ nennen.“ gestand sie und spielte versonnen mit einem ihrer Ohrringe. „Aber Papa war der Meinung, der Name der Liebesgöttin sei für ein Hotel zu…anzüglich.“
„Venus war auch die Göttin der Schönheit.“ warf Carlo ein. „Immerhin schmückt sich eine Tennisspielerin von Weltklasse mit ihrem Namen. Und wäre die Kunst ohne Botticellis Geburt der Venus nicht unendlich viel ärmer?“
„Vielleicht hatte mein Vater eher die Venus von Willendorf vor Augen.“
Carlo musste herzlich lachen, als er an das steinzeitliche Figürchen mit der üppigen Leibesfülle dachte. Misstrauisch blitzte der italienische Professor ihn über den Rand seines Glases hinweg an, bevor er seine Blicke wieder begierig auf die Gastgeberin richtete.
„Im Ernst: haben Sie schon daran gedacht, den Namen wieder zu ändern?“ wollte Carlo wissen.
„Dazu sehe ich keine Veranlassung. Die Delfin-Therme ist bereits sehr gut auf dem Markt eingeführt. Wozu also den Namen ändern?“ sagte Sina van der Moelen, schob sich ein Löffelchen Mousse au chocolat in den Mund und drückte die Süßspeise mit der Zunge an den Gaumen. „Vortrefflich, dieses Dessert, finden Sie nicht?“
Carlo pflichtete ihr bei, dachte aber, vom ausgezeichneten Wein erkühnt, eher an das Kleid, dessen schwarze Seide ihre Körperformen umspielte. Welch eine hinreißende Figur würde sie erst in einem knappen Bikini machen! Wehmütig widmete er sich wieder dem Dessert.

Bei den anderen Gästen hatte der Zuspruch nach dem edlen Rebensaft zunehmend zu mehr Lockerheit geführt. Die hornbebrillte Gouvernante aus der Alpenrepublik hatte viel von ihrer Strenge eingebüßt und gluckste belustigt über die Bonmots, die ihr ungarischer Kollege zum Besten gab. Nur der italienische Professor starrte nach wie vor verdrossen auf Sina van der Moelen. Die ersten Gäste waren bereits gegangen. Auch der junge Balte und der Dekan hatten sich empfohlen. Carlo, der Sina van der Moelens Gastfreundschaft gerne noch etwas länger in Anspruch nehmen wollte, entschloss sich, einen riskanten Versuchsballon zu starten.
„Nun, dann werde ich mich wohl auch verabschieden, Madam van der Moelen. Es war wirklich ein reizender Abend, für den ich mich nochmals herzlich bedanke.“ wandte er sich mit wohlgesetzten Worten an die Gastgeberin.
„Sie wollen schon gehen?“ fragte sie mit dem Ausdruck ehrlichen Bedauerns. „Tun Sie mir doch die Freude und bleiben Sie noch ein Weilchen! Falls Sie allerdings noch eine Verabredung haben...“

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