Rechenschaft

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Paul Magallas

Genug Porno!
Er war selbst überrascht, dass das plötzlich nicht mehr funktionierte: Weder als ‚Wichs-Vorlage für Männer‘ (Karl Valentin) noch als erotische Entspannung. Er hatte über Jahre alles ausprobiert und erlebt: In schummrigen Videokabinen von Sexshops, in die man sich früher verschämt geschlichen hatte. Das Internet bot längst frei und jederzeit, kostenlos und überall ein überreiches Angebot.
Am Anfang war es der Kitzel, etwas ‚Verbotenes‘ zu tun. Mit den Jahren wuchsen die eigenen Ansprüche: Nicht mehr derb und schmutzig, primitiv und manchmal auch brachial. Er hatte ein Gespür entwickelt, wie es sein müsste, dass es ihn ansprach, wirkte und gefiel: Der Hauch einer Handlung sollte erkennbar sein.  Die Hüllen sollten nicht zu schnell fallen. Erregend waren Pornos, bei denen sich die erotische Spannung langsam und lange aufbaute. Ausziehen hatte für ihn einen besonderen Kitzel. Wenn die Akteure zu früh nackt und zu lange mit ‚dem Einen‘ beschäftigt waren, bei dem sich höchstens Stellungen und Paarungen veränderten, fiel bei ihm Spannung und Reiz schnell in sich zusammen. Inzwischen hatte er auch seine ästhetischen Ansprüche gesteigert: Wie ansehnlich waren die Mitwirkenden, wie gestaltet verlief der Plot, waren es gekonnte und überraschende Einstellungen. Er hatte entdeckt, dass Pornos von Frauen noch einmal eine ganz eigene Qualität bedeuteten. Das Verruchte war es nicht, was ihn reizte. Moralische Skrupel gegenüber dem Thema Porno hatte er sich längst abgewöhnt. Gut gemacht und gut gestaltet war es für ihn eine legitime Form erotischen Vergnügens geworden. Naserümpfen war gestern, für ihn bedeutete Pornos schauen Genuss.
Doch nun war der Punkt erreicht, wo die sich Szenen so langweilend glichen. Der Ablauf war immer der gleiche, die Kleider zu schnell am Boden. Schwänze wurden zu schnell und ausgiebig geleckt und alle nur denkbaren Löcher damit gestopft. Es begann öde zu werden.

Er stellte fest, dass ihn erotische Texte wieder zu fesseln begannen. Früher die heißen Stellen in Büchern oder erotische Literatur, die man sich heimlich zusteckte. „Fanny Hill“ und „Emmanuelle“ waren für ihn Schlüsseltexte gewesen. Wie oft war er in Buchhandlungen mit glühenden Wangen in der entsprechenden Abteilung gestanden, um einschlägige Literatur zu verschlingen. Die größte Sorge war ihm, die körperlich sichtbare Erregung (im Untergeschoss) verbergen zu können und schon gar nicht zu früh oder überhaupt zu kommen. Allein mit sich gab er sich den Wirkungen erotischer Romane hemmungslos hin.  Es gab Zeiten, in denen eine Xaviera Hollander eine Autorin war, der er vertraute. Auch an die „Hochzeitsreise“ von Robert Sermaise hatte er unvergessliche Erinnerungen.
Warum also jetzt wieder die starke Wirkung von Texten?
Weil sie der Vorstellung im Kopf alle Freiheiten lassen?
Weil sich im Kontext von erzählten Geschichten mehr Möglichkeiten auftun als beim immer gleichen Ablauf und in Rollenklischees gefangenen Verhaltensweisen?
Inzwischen wusste einen das Internet auch literarisch auf einschlägigen Portalen reichlich zu bedienen, je nach Geschmack und Anspruch auch mit Texten ‚mit Niveau‘.

In den letzten Wochen waren ihm noch neue Stimulanzien begegnet: Begegnungen, Beobachtungen, Details im Alltag, die ihre Wirkung auf ihn nicht verfehlten:
Morgens ging er den üblichen Weg vom Parkplatz zum Bahnsteig. Er kam an die Treppe. Einige Schritte vor ihm eine unbekannte, jüngere Frau, die die Stufen hinabstieg. Plötzlich stach sie ihm ins Auge: Wie sich ihr lockiges Haar bewegte, wie sie sich die Haare hinters Ohr strich und dabei ein wunderbarer schlanker, hautreicher Hals sichtbar werde. Er hatte Nofretete- Format. Unmittelbar spürte er die Wirkung dieser erogenen Zone. Zu gerne hätte er die Haut dort berührt, gestreichelt, von dort aus durchs Haar gestrichen oder über die Schultern und nach vorne Richtung Brust die Finger ausgeschickt.
Tage später in einer großen Buchhandlung. Plötzlich sieht er diese Frau mit Stiefeln und in engem hellem Strickkleid. Sie hatte einen ausgeprägten Hintern. Das Kleid brachte ihn gelungen zur Geltung. Er konnte gar nicht anders, als der Frau durch die Abteilungen zu folgen, immer wieder ihren Anblick zu suchen, sich hineinzuphantasieren, wie es wäre, über ihren Rücken und Po zu streichen, ihr Komplimente ins Ohr zu hauchen, die sie vielleicht anmachten. Wer weiß, was sich daraus entwickelte.
Er vergaß jene andere Szene nicht – seltsamerweise damals auch in einer Buchhandlung – als er eine Frau bemerkte, die einfach nur schön war. Natürlich hatte er sich damals nicht getraut, ihr das einfach zu sagen – ohne Hintergedanken und Absichten, eher voller Staunen und aus Dankbarkeit über solch anbetungswürdige Schönheit.

Noch eines viel ihm ein: Ästhetische erotische Photographie begann ihn neu zu fesseln. Es gab Motive und Stellungen, die nichts in ihm auslösten. Raffinierte Arrangements und Details hatten das Zeug, ihn bei der Stange zu halten und vor allem seiner Leben einzuhauchen. Rücken- und Po-Partien, eine frei gezeigte Muschi elektrisierten ihn, wenn zwei Frauen einander zugetan waren, entstand ein Kitzel. Langsame Eindrücke, die es seiner Phantasie erlaubten, sich Geschichten, Dialoge dazu auszudenken, einzutauchen, sich in diese Settings zu versetzen und damit sein eigener Porno zu werden. Davon bekam er bis jetzt nicht genug!

„Wo bleibst du denn? Komm endlich!“
Monas Stimme kam aus dem Schlafzimmer. Er wusste, was ihn erwartete. Er freute sich über ihre Finger und Hände, die zupackten konnten, wie Tigerkrallen über ihn fuhren oder seine Nippel kniffen, aber auch hauchzart seine Aura zu streicheln verstanden. Er liebte es, wenn sie mit Zunge, Lippen und Mund über ihn fuhr. Sein Kleiner liebte es, wenn sie ‚über ihn kamen‘ und ihn über sich hinauswachsen ließen. Mona überraschte ihn mit immer neuen Spielideen. Er klappte den PC zu, stand auf und entledigte sich schon auf dem Weg ins Schlafzimmer seiner Kleider. Als er die angelehnte Türe aufstieß, stockte ihm der Atem. Die Reaktion unten war gigantisch und spontan und er stürzte sich in etwas, das tausendmal besser war als jede Art von Porno …

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schreibt Huldreich

Lieber Paul Magallas! Schön und nachdenkenswert Ihr Beitrag, hat mich dazu gebracht, zu überlegen, welche Clips mich warum anturnen oder ab, und wie das mit den Pornos überhaupt so ist. Wunderbar dazu: J.C. Ahlers: "Himmel auf Erden" Kapitel übers Internet Liebe Grüsse Ulrich Hermann München

Gedichte auf den Leib geschrieben