Normal waren aber in den folgenden Wochen ein paar Dinge ganz und gar nicht. Wie vor der Reise ging er einmal in der Woche zu Anita, so nannte er sie wieder, nachdem ihre Vertrautheit auf so seltsame Weise verflogen war, entweder am Donnerstag oder am Freitag kurz vor Mitternacht. Wenn es also an der Zeit war, sie aufzusuchen, spätestens am Donnerstag gegen Mittag, überfiel ihn eine seltsame Unruhe. Es war, wie wenn er literweise Kaffee getrunken hätte oder wie vor einer wichtigen Prüfung, die sein ganzes Denken beherrschte. Ein unangenehmes, beklemmendes Gefühl nistete sich ein und das hatte rein gar nichts mit sexuellem Verlangen zu tun. Die Unruhe wurde um so drängender, je mehr er den Besuch hinauszögerte. Einmal hatte er eine ganze Woche übersprungen und wäre fast verrückt geworden, so sehr war er in diesem Gefühl gefangen. Er konnte nur noch an diese Frau denken, sie beherrschte ihn in diesen Phasen fast vollständig. Es war wie bei einem Süchtigen, der unbedingt seine Ration brauchte, um wieder klar zu denken oder, schlimmer noch, um zur Vernunft zu kommen. Die Vorstellung, das seltsame Verhältnis einfach zu beenden oder eine andere Frau aufzusuchen, bereitete ihm Pein, allein der Gedanke war abstrus. Wenn er dann bei ihr war, verschwand diese seltsame Unruhe sofort wieder, noch bevor sie miteinander geschlafen hatten. Es war, als würde eine brennende Sucht schlagartig befriedigt, als erhielte ein Verdurstender eine ganze Karaffe frisches Wasser hingestellt und ihn allein dieser Anblick schon wieder aufleben ließ. Seltsam war, dass dieses Verlangen und seine Befriedigung kaum etwas mit sexuellem Abreagieren zu tun hatte. Er war nicht scharf auf sie, manchmal hatte er gar kein Lustgefühl, es war nur ihre Nähe, die er unbedingt brauchte. Einmal kamen sie gar nicht dazu, sich zu lieben, weil er vergessen hatte, genügend Geld einzustecken und Anita absolut nicht dazu zu bewegen war, ihm Kredit einzuräumen. Wer sagt mir, so ihr Argument, dass du überhaupt noch einmal wieder kommst. Er war wütend und ging und nahm sich vor, nicht mehr zu kommen. Aber Mitte der Woche ging es dann wie üblich mit diesem Scheißgefühl wieder los und er musste zu ihr, ob er wollte oder nicht. Mit der Zeit stellten sich richtige Angstattacken ein, die erst dann beendet waren, wenn er die Treppe zu ihrem Zimmer mit ihr hochstieg. Selbst das wäre nicht einmal nötig gewesen, es hätte vielleicht gereicht, sich einfach ihrem Fenster zu näheren, denn einmal war sie sehr lange beschäftigt und er wartete mindestens eine halbe Stunde vergebens. Aus lauter Angst wagte er es nicht, einfach wieder zu gehen, obwohl seine Vernunft ihn einen Idioten nannte. Als er dann doch ging, war es so, als sei er bei ihr gewesen. Er hatte nur ein schlechtes Gewissen, so als ob er seine Freundin, die sie ja gar nicht mehr war, betrogen hätte.
Er litt unter diesen unerklärlichen Vorkommnissen, aber das war noch nicht alles, was sich verändert hatte. Eine andere Sache gab ihm fast noch mehr zu denken. Als er nach seinem mysteriösen Afrikatrip zum ersten Mal wieder eine mehrtägige Fotoreise unternahm, voller Zweifel, wie er die Zeit ohne diese „verdammte Hexe“, so nannte er inzwischen Anita für sich, überstehen könne, beschloss er eine andere Frau aufzusuchen. Er erkundigte sich nach dem Rotlichtmilieu und geriet auch an eine ganz nette, sympathische Asiatin mittleren Alters. Zu seinem eigenen Schrecken und zur Ratlosigkeit seiner Gefährten war es ihm unmöglich, auch nur die kleinste Regung, geschweige denn Erregung zu zeigen. So sehr sie sich auch abmühte, so sehr auch er sie wollte, es geschah nichts, sein Schwanz blieb schlaff, seine Wollust war nicht vorhanden und konnte deswegen auch gar nicht aufkeimen. Nach längerem, vergeblichem Bemühen, blieb ihm nichts anderes übrig, als völlig frustriert, entnervt und unbefriedigt, wieder zu gehen. Dieses Unvermögen wiederholte sich, als er am letzten Tag seiner Reise, eine andere Frau aufsuchte, wieder musste er unerledigt von dannen ziehen. Es war ein regelrechter Fluch, der seit dieser ominösen Abschiedsfeier auf ihm lastete und er dachte schon daran, einen Psychiater aufzusuchen, fürchtete aber, sich mit seiner Geschichte lächerlich zu machen. Wer glaubt in unserer aufgeklärten Zeit schon an einen Fluch oder an die langandauernde Wirkung eines Abschiedszaubers. Dafür beschloss er, mit Anita zu reden, selbst wenn sie nicht wollte oder sich dumm stellte. Er tat es und sie reagierte genauso, wie er es befürchtet hatte, aber er ließ nicht locker und schließlich gestand sie ein paar erstaunliche Dinge. Sie bestätigte, was er schon vermutet hatte, dass es keine Abschiedsfeier war, sondern eine Art von Vermählung. Aber, so erklärte sie vehement, keine richtige Heirat, nur das Herstellen einer Abhängigkeit. Der Priester, es war also doch nicht nur ein Schlachter, habe auf ihre Bitte nur dafür gesorgt, dass sie auch in Zukunft genügend Geld für die Ausbildung ihrer Kinder verdienen und sich selbst den Lebensunterhalt sichern könne. Wenn er ihr das Geld, was ihr noch fehle, auf einmal geben würde, könne dieser Bann wieder gelöst werden. Er sei dann frei und sie auch. Sie habe ihm ja gesagt, dass sie nicht länger hier bleiben wolle, wenn die Ausbildung der Kinder gesichert sei. Wenn er also bereit wäre, ihr Geld zu geben, sie nannte eine recht beträchtliche Summe, würde sie dafür sorgen, dass auch er erlöst sei. Er hatte ihr ungläubig zugehört, von Verarschung und Erpressung geredet und sie gefragt, wer ihm denn garantieren könne, dass dem so sei. Sie sei dann weg und er müsste immer noch leiden. Darauf meinte sie nur kühl und schlich, er müsse ihr eben vertrauen und er solle in Ruhe über ihr Angebot nachdenken, über den Preis könne sie aber nicht verhandeln, das sei schon das Mindeste, was sie für ihre Kinder brauche. Da er nun einen Teil der Wahrheit kannte, wollte er noch mehr wissen und bedrängte sie mit zahlreichen Fragen. Sie war erst unwillig, aber dann gab sie nach.
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