Die Reise

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Die Reise

Die Reise

Yupag Chinasky

Der erste Tag in der fremden Stadt war interessant, wenn auch nicht aufregend. In der Innenstadt gab es nicht viele Sehenswürdigkeiten, die ihn interessierten, aber derentwegen war er ja ohnehin nicht gekommen. Er wanderte gemächlich durch die Straßen, machte einige Aufnahmen, die ihm aber, als er sie am Abend auf sein Notebook übertrug und dabei begutachtete, allesamt nicht so recht gefielen, Straßenszenen ohne ein besonderes Flair, der ihm immer auf seinen Bildern wichtig war. Auch die Menschen waren durchschnittlich, nichts Aufregendes, nichts besonders und nicht einmal die Frauen waren erwähnenswert. Er tröstete sich, dass der erste Tag einer Fotoreise meistens nicht viel brachte, man musste sich erst auf die Situation einstellen, die Szenen und die Menschen sehen, bevor man sie gut aufnehmen konnte. Zur Siesta kehrte er zurück in das Hotel und zog es wegen der Hitze vor, den Nachmittag am Pool und in dem wirklich schönen Garten zu verbringen, das Internet ermöglichte ihm, sich jederzeit E-Books und Hörbücher oder Videos herunterzuladen. Am Abend aß er wieder im Restaurant des Hotels, diesmal allein. Um wenig Probleme mit der Verdauung zu bekommen, hatte er Hühnchen bestellt, internationale Küche für alle Gelegenheiten, bei der man nichts falsch machen konnte. Der Wein war aus Frankreich, angeblich ein Qualitätsprodukt, aber er war zu süß und zu warm und auch zu teuer. Angela hatte weder auf seinem Handy angerufen noch eine Nachricht im Hotel hinterlassen und er war ein wenig traurig, als er an die letzte Nacht dachte. Diese Nacht verbrachte er unruhig, wie so oft, wenn er auswärts schlafen musste. Am zweiten Tag ging er früh los und wollte diesmal die Peripherie erkunden und vor allem Menschen fotografieren. Doch er musste die Erfahrung machen, dass es auch auf den Straßen abseits des Zentrums wenig interessante Motive gab und dass die Menschen eher unwillig waren, wenn er versuchte Bilder zu machen oder dass sie Geld wollten, was er wiederum strikt ablehnte. Da es zudem heiß und schwül war, war der Tag anstrengender und unergiebiger als er es sich vorgestellt hatte. Einmal war er sogar in eine etwas prekäre Situation geraten, als ihm in einer Nebenstraße eine Horde Jugendlicher den Weg verbaute. Sie wollten offensichtlich Geld, eine Art Wegzoll, und stellten ihre Forderungen ziemlich laut und aggressiv, aber in einer für ihn unverständlichen Sprache. Er hatte zwar keine Angst, fragte sich aber, wie er sie los werden konnte. Ob ein paar Münzen reichen würden, oder müssten es Scheine sein, so stand es doch in den Ratgebern. Er hatte nicht viel dabei und fing schon an, in den Taschen zu kramen, als ein älterer Ladenbesitzer auf die Straße trat und die Bande verscheuchte. Er bedankte sich und der Mann gab ihm in holprigem Englisch den Rat, diese Gegend zu meiden, sie sei nicht gut für Fremde. Nach diesen ernüchternden Erfahrungen ging er zurück in das Hotel und war froh, als ihn Angela gegen Abend anrief und ihn bat, nachzukommen. Ihrer Mutter ginge es viel besser, als sie gedacht hatte und die Familie würde sich freuen, ihn kennenzulernen, sie sei richtig gespannt auf ihn, auch ihre Kinder, denen es auch gut ginge. Die Adresse hatte er ja schon und wo die Busse abfuhren, wusste er auch, trotzdem beschrieb sie ihm noch einmal genau den Weg zum Busbahnhof und schärfte ihm ein, welchen Bus er wann nehmen sollte. Sie würde ihn dann am Ziel abholen. Im Hotel entstanden ihm überraschenderweise keine Kosten, als er seinen Aufenthalt unterbrach und noch nicht einmal zusichern konnte, wann er wieder kommen würde.

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