Er kam nicht gleich dazu, die Bilder auf seinen Laptop zu übertragen, weil die Eltern seiner „Freundin“ keinen Aufwand gescheut hatten, ein rauschendes Fest vorzubereiten. Die ganze Familie war zugegen, die wichtigsten Freunde waren gekommen, und wie ihm schien, die halbe Nachbarschaft dazu. Es gab große Platten mit reichlich Gemüse und Fleisch, dazu Brot und Reis und bestes Bier aus Dosen. Eine Band aus drei verwegen aussehenden Typen spielte die neuesten Schlager, darunter einige Melodien, die er kannte, die aber seltsam verfremdet waren. Er und Angela waren unbestritten der Mittelpunkt der Feier. Sie mussten an der Spitze der Tafel sitzen, die im Hof aus diversen Böcken und Platten aufgebaut worden war. Er hatte gut gegessen, einige Bier getrunken, ein paar Mal mit Angela getanzt und fühlte sich ganz wohlig, als sie unvermittelt ankündigte, dass nun der Höhepunkt des Abends bevorstehe. Doch auf das, was sich nun ereignete, war er in keiner Weise vorbereitet. Sie erklärte ihm noch, dass ihnen beiden zur Ehre, weil sie gekommen waren und damit sie wieder gesund und sicher zurückkehren könnten, eine junge Ziege geschlachtet würde. Dann ging das Spektakel auch schon los. Unter dem Gejohle und dem Beifall der Anwesenden betrat ein alter Mann den Hof. Er war in einen blauen Kaftan gekleidet und trug einen komischen spitzen Hut. Sein Gehilfe, ein dürrer junger Mann in Shorts und T-Shirt, zog an einem Strick eine junge Ziege hinter sich her, die vielleicht ahnte, was ihr bevorstand, jedenfalls sträubte sie sich und jammerte herzerweichend. Während der Gehilfe einen Stock in den Boden rammte und den Strick befestigte, machte der Alte allerhand Firlefanz. Er breitete Palmwedel in einen Tonkrug, den jemand bereitgestellt hatte und verspritzte Wasser auf die Anwesenden. Die Ziege hörte nicht auf, kläglich zu meckern. Unbeeindruckt hatte der Metzger oder war es ein Priester, seine beschwörenden Rituale fortgeführt und zwischendurch immer wieder kurze Reden gehalten, die von den Anwesenden mit Beifall aufgenommen wurden. Seine gezischte Bitte, Angela möge gefälligst übersetzen, ignorierte die jedoch. Dann reichte der Gehilfe dem Meister eine Machete und ohne zu zögern, ohne eine Regung des Mitleids schlug dieser dem Tier den Kopf mit einem einzigen, kraftvollen Hieb ab. Sofort stürzte sich der Gehilfe mit einer Waschschüssel auf den entseelten Körper und fing das Blut auf. Unter dem Beifall der sichtlich erregten und gespannten Anwesenden, nahm der Priester, es war klar, dass es nicht nur ein einfacher Schlachter war, die Schüssel und schritt langsam auf das Ehrenpaar zu und richtete seine Worte nun unmissverständlich nur an die beiden. Natürlich verstand er wieder kein Wort und Angela, die er mehrfach anstieß und sie bedrängte, dass sie endlich etwas sagen, endlich den Quatsch übersetzen möge, schaute ihn nur verschämt an, sagte aber kein Wort. Als er nicht locker lies und drohte, augenblicklich zu gehen, wenn sie keine Erklärung abgäbe, flüsterte sie, es sei alles harmlos, alles sei kein Problem, es sei eine Abschiedsfeier und er solle sie einfach über sich ergehen lassen, sie sei ohnehin gleich zu Ende. Abschiedsfeiern seien in ihrem Land nun einmal aufwändiger und auf jeden Fall ganz anders, als in seinem. Doch als der Priester, der nun vor ihnen stand und seine Rede beendet hatte, einen Finger in das Blut tauchte und zwei ineinander verschlungene Kreise auf Angelas Stirn malte und sich dann anschickte, dasselbe auf Zeichen auch auf seiner anzubringen, hätte er seine Drohung am liebsten doch wahr gemacht und wäre gegangen, wenn ihn nicht Angela festgehalten hätte und ihn eindringlich bat zu bleiben und noch einmal versicherte, es sei jetzt gleich überstanden und alles sei harmlos. Und das war auch so, zumindest war die seltsame Zeremonie zu Ende. Der Priester sagte kein Wort mehr, besprühte nur noch einmal zum Abschluss die Leute mit seinem Palmwedel, dann ging er, gefolgt von seinem Gehilfen, der den Stock mit dem daran gebundenen Strick und dem Ziegenkopf mitnahm. Die Gäste klatschten, die Band begann wieder zu spielen und Angela zog ihn auf die Tanzfläche, die eben noch eine Richtstätte gewesen war. Der Körper der Ziege war nicht mehr da, er sei schon in der Küche, meinte Angela, die auf einmal wieder ganz entspannt und freundlich war. Zum Zeichen, dass er sich richtig verhalten habe, gab sie ihm vor allen Leuten einen langen Kuss auf seinen Mund und strahlte ihn an. Alle sahen es und alle klatschten Beifall. Dann spielten die Musiker eine Art Tusch und stimmten ein Lied an, das sehr bekannt sein musste, dann die Gäste stimmten ein und sangen laut mit, am lautesten sang Angela. Alle waren selig, alle tranken eifrig Bier aus Dosen und das unterbrochene Essen wurde fortgesetzt und irgend wann sagte ihm Angela, das Fleisch hier sei die Ziege und er solle es sich schmecken lassen, sie sei sehr köstlich, was auch stimmte, aber schmecken wollte es ihm doch nicht mehr so recht. Denn eine andere Sache war ihm auch noch sehr seltsam vorgekommen. Kaum dass sie den Tanz, der diesem Ritual gefolgt war, beendet hatten, kamen der Vater und die Mutter Angelas, dann ihre Geschwister und schließlich fast alle Anwesenden zu ihnen, gaben ihnen die Hand, umarmten sie, redeten, wieder für ihn unverständlich, auf sie ein. Angela weinte und als er wieder ein ungutes Gefühl bekam und nun endlich wissen wollte, was hier los sei, was hier gespielt würde, was man mit ihnen beiden gemacht habe, wiederholte sie nur, das sei eben ein Abschied auf afrikanisch und er solle nicht weiter nachdenken. Spät in der Nacht, als fast alles aufgegessen und das Bier zur Neige gegangen war und auch die letzten Gäste den Hof verlassen hatten, bedrängte er Angela noch einmal, ihm die ganze Zeremonie zu erklären, vor allem die Sache mit den Blutkringeln auf der Stirn, die immer noch da waren. Aber sie gab auf einmal vor, schrecklich müde zu sein, obwohl sie eben noch ganz munter war, rannte geradezu in das Schlafzimmer und als er ihr, etwas verunsichert folgte, nachdem er noch gepinkelt und sich das Blut abgewaschen hatten, lag sie schon im Bett, von seinem Platz weggedreht und schien bereits fest zu schlafen, denn sie regierte weder auf seine Worte noch auf sein leichtes Schütteln an ihrer Schulter. Er war etwas sauer, hätte zumindest einen Kuss oder ein paar Zärtlichkeiten erwartet, wenn auch keinen erneuten Sex, aber da er nun selbst merkte, wie schläfrig ihn das reichlich genossene Bier und das üppige Essen gemacht hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als auch zu schlafen. Eine Weile noch grübelte, mit welchem Aufwand man hier schon nach einem kurzen Besuch verabschiedet wurde, dann war auch er im Nirwana angekommen.
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