Die Reise

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Die Reise

Die Reise

Yupag Chinasky

Es schien, dass an diesem denkwürdigen Abend alle Gefühle verbraucht worden waren, denn als am nächsten Morgen das Taxi kam, natürlich wieder das des Freundes ihres Bruders, um sie zum Busbahnhof zu bringen, waren nur noch der Vater und die Mutter da und die Schwester, die für die Kinder sorgte. Die Kinder selbst waren in der Schule. Er drängte Angela, ihren Eltern für den ganzen Aufwand ein paar Scheine zu geben, die sie dann auch bereitwillig annahmen. Eine kurze Umarmung, ein Händedruck war alles und er hatte den Eindruck, dass auch Angela ganz froh war, die Familie wieder verlassen zu können. Die restlichen beiden Tage in der Hauptstadt waren ruhig. Da sein Bedarf an Bildern gedeckt war, unternahm er keine großen Touren mehr. Sie fuhren einmal ans Meer, ansonsten hielte sie sich im Park und am Pool auf, aßen in verschiedenen Restaurants ganz gut und nachts liebten sich, wenn auch nicht mehr so intensiv und so ausdauernd wie in der ersten Nacht. Es schien, als seien sie nun schon sehr vertraut und die Liebe erfolgte mit der etwas geringeren emotionalen Hingabe eines älteren Ehepaars. Fast hätte er sogar vergessen, dass ihm Angela versprochen hatte, sich in Afrika fotografieren zu lassen. Aber es fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein und so machte er eine ganze Reihe wirklich schöner Aufnahmen von ihr, in dem Park, am Pool, am Meer, in den Straßen, nur als er sie in ihrem Zimmer fotografieren wollte, im Bett und am liebsten nackt, lehnte sie ab. Das wolle sie nicht, für einen solchen Scheiß sie sie sich zu schade, er solle in den Puff in ihrer Heimatstadt gehen, dort könne er nackte Weiber sehen. Ihr Bruder hatte ihr vermutlich von dem Ausflug in das Etablissement erzählt. Erst wollte er protestieren, sie habe ihm doch versprochen, aber dann schwieg er, er hatte ja nun reichlich gute Bilder und er wusste, dass sie sehr strickt und konsequent sein konnte, wenn es darauf ankam.

Dann waren sie wieder daheim, in seiner Heimat, in der für ihn vertrauten Umgebung, zugleich in der Welt, in der sein „girl friend“ für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder sorgte. Aber sie war nicht mehr seine Freundin. Das merkte er, als er sie das erste Mal wieder aufsuchte. Sie war nett und freundlich wie immer, aber alle Vertrautheit und Leidenschaft, die sie im Hotel Etoile und im Schlafzimmer ihrer Eltern an den Tag gelegt hatte, waren verschwunden. Er war wieder Kunde, sie die Prostituierte, die er aufsuchte, um eine Dienstleistung zu erhalten. Als er sie zur Begrüßung auf den Mund küssen wollte, wandte sie sich ab und machte im klar, wie die Dinge jetzt wieder standen. Er war ziemlich enttäuscht, denn er hatte sich mehr Entgegenkommen versprochen, schließlich hatte sie nur wegen seines Geldes zu ihrer kranken Mutter reisen können, schließlich hatte er ihr den halben Flug, das Hotel, den Bus, das Taxi, das Essen, fast alles, was angefallen war, bezahlt. Aber für sie schien das eine andere Welt gewesen zu sein, eine ferne Vergangenheit, kein Grund für irgendwelche Verpflichtungen. Sie erledigte ihren Job wie immer, also zufriedenstellend, jedoch nicht mehr. Sie liebten sich, wenn man dieses Wort überhaupt noch verwenden darf, ohne einen Hauch der besonderen Erregtheit, die beide unter der südlichen Sonne, besser gesagt unter dem äquatorialen Mond, verbunden hatte. Dieses wunderbare Gefühl war nicht mehr vorhanden. Sie wollte auch in keiner Weise an die Reise erinnert werden, geschweige denn etwas über diese seltsame Abschiedsfeier sagen, die ihm immer wieder durch den Kopf ging. Ihr ständiger Spruch war, so sind Abschiede nun einmal in Afrika. Auch deswegen war er irritiert, sie fand es normal.

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