Rita

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Rita

Rita

Michael Müller

Begonnen hat es an dem Abend als Moni, die Inhaberin, einzige Angestellte und alleinige Organisatorin des Cafes "Bühne", ihn zu einer Lesung von Paul Celans Briefwechsel aus seinem "Exil" in Paris mit seinen Freunden, einlud.
Also hat es eigentlich damit begonnen, dass Paul Celan Briefe schrieb. Oder damit, dass er ins Exil ging?
Na, na! Immer schön beim Thema bleiben! Der genau Zeitpunkt des Beginnes ist für das Folgende auch nicht so Wichtig!
Also, begonnen hat es an dem Abend als...............
In dem Cafe "Bühne" war er seit rund acht Jahren häufig Gast. Es ist auch jenes Cafe in dem er vor drei Monaten zum allerletztem Male, Francois Villons Gedichte einem kleinen Kreis von Zuhörern vortrug. Dort traf er auch, rund zwei Wochen war das her, zum allerersten Male Rita. Zufällig.
Ritas Körper zu beschreiben fällt schwer, ist beinahe unmöglich. Nicht schlank, zart; nicht mollig, bummelig. Ritas Körper "war" und strahlte in Kombination mit ihren Bewegungen, Gesten, jene Erotik aus die wahrgenommen wird ohne einer Definition zu bedürfen. Sie war jung, Mitte Zwanzig, langes schwarzes Haar. Ihr Gesicht geprägt von der perfekten Vermischung abendländischer Gene mit solchen morgenländischen Ursprungs. An der L-förmigen Theke saß sie ihm dann schräg gegenüber und blätterte in einer Zeitung, die täglich zukaufen Moni sich nur aus dem Grunde immer wieder entschloss, da sie den ceylonesischen Kolporteur nicht enttäuscht, ohne ein Geschäft gemacht zu haben, aus ihrem Lokal senden wollte.
Sie saßen einander also schräg gegenüber an der Theke und er beobachtete sie. Nein, nicht beobachtet, starrte sie an. Fragte sich, was sie an einer Zeitung anzog, deren Artikel von Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit geprägt sind, stellte aber fest, dass ihr Blick immer nur kurz auf den Seiten dieses Druckwerks verweilten und sie rasch weiterblätterte. Hin und wieder sah sie ihn an, nach einigen Blickkontaktakten sandte sie ein kurzes Lächeln zu ihm.
"Nichts lesenswertes gefunden?" fragte er.
"Ich sehe mir nur die Bilder an."
"Find ich schlimm genug."
"Die Bilder?"
"Auch."
Ihre Worte wurden zu ihm getragen von einer dunklen, sanften Stimme, welche Wogen zärtlichen Verlangens in ihm erweckten. Das folgende Gespräch mit Rita wandte sich dann auch rasch anderen Themen zu. Dabei erfuhr er auch, dass Rita gemeinsam mit einer Freundin ein kleines "Zwei-Frauen-Unternehmen" führte, das abgestürzte oder von Viren stillgelegte Rechner oder Netzwerke zu neuer Funktionalität brachte. Sie um ein weiteres Treffen zu bitten, hatte er nicht den Mut. Knapp eine Stunde verbracht er im Gespräch mit ihr, dann mache er sich auf den Weg. Mehr als 70 Kilometer von der Stadt entfernt hatte er seine Wohnung und diese Strecke fuhr er im von einer Bekannten geliehenem, an die zwei Jahrzehnte altem Auto. Während der Autofahrt wanderten seine Gedanken immer wieder zu Rita. Er nahm sich aber vor, diese seine Gedanken als reines Wunschdenken anzunehmen. An die dreißig Jahre schätzte er den Altersunterschied zwischen Rita und ihm, eine Differenz die ihm seinen Wünschen nähertreten, an die Möglichkeit an deren Erfüllung glauben zulassen, verbot.
Zwischen der Einladung Monis an ihn und diesem ersten Zusammentreffen mit Rita lagen einige seiner Besuche in diesem Lokal. Bei jedem der Besuche hatte er auch gehofft, Rita wieder zu treffen, was aber nie der Fall war.
Er sagte seine Teilnahme an der Lesung zu und bat Moni für ihn einen Platz an einem der Tische zu reservieren.
"Kommst du alleine?," wollte sie wissen.
"Ja."
"Es ist noch ein kleiner Tisch frei. Macht es dir etwas aus, wenn ich diesen für dich und Rita reserviere - du hast einmal mit ihr gesprochen, erinnerst du dich noch?"
Erinnern? Allein ihren Namen zu hören, lösten wieder diese Wogen des Verlangens in ihm aus!
"Das ist schon in Ordnung," sagte er aber nur und versuchte möglichst gleichgültig, desinteressiert, zu klingen.
"Rita war einige Male hier und hat nach dir gefragt," erfuhr er nun von Moni.
"So, hat sie?" sagte er und begann in einem Programmfolder, der auf der Theke lag zu blättern.
Er fühlte sich von Moni beobachtet. Als er aufblickte und sie ansah, lächelte sie - na ja, wissend? Ahnend? Kryptisch?
"Ich dachte, es interessiert dich - vielleicht. Ihr habt ja lange zusammen geredet." Damit wandte sie sich dem Polieren der Gläser zu.
Am Abend der Lesung kam er eine Stunde vor deren Beginn ins Lokal. Hoffte auch Rita käme früher, wollte so gerne mit ihr sein, mit ihr sprechen, ehe sie schweigend fremden Worten lauschen würden, er im Versuch seine
Aufmerksamkeit auf diese zu konzentrieren. Rita kam aber erst wenige Minuten nach dem "offiziellen" Beginn der Veranstaltung, als er bereits eingeklemmt zwischen den anderen Besuchern saß, davon voll vereinnahmt, den noch lehren Sessel neben ihn von Handtaschen, Mäntel und Jacken der um ihn sitzenden freizuhalten. Moni, die Pünktlichkeit ihrer Gäste bereits kennend, hatte wie immer den tatsächlichen Beginn um eine viertel Stunde nach dem im Programm stehenden Zeitpunkt verschoben.
Rita erschien, sah angespannt aus und presste sich durch die dichten Reihen des Publikums an seine Tisch.
"Hallo," begrüßte sie ihn, "hab's gerade noch geschafft. Wir arbeiteten viele Stunden an der Problemlösung eines unserer Kunden, ich fürchtete bereits, heute nicht kommen zu können."
"Schön, dass du's geschafft hast," sagte er.
Ihrem Körper so nahe zu sein verstärkte sein Verlangen nach Berührung, nach zärtlichem Entdecken. In der langsam wärmer werdenden Luft des Raumes kam zart der Geruch von Jasmin aus ihrem Haar zu ihm. Irgendwann legte er seinen Arm um ihre Schultern, fühlte ihr Zögern ehe sie dem sanften Druck nachgab und sich an ihn schmiegte.
Nach dem Ende der Darbietung saßen sie noch lange an dem Tisch, waren dann alleine in dem Raum. Suchten nach Gesprächen, wollten etwas Ausdrücken das sie nicht wagten zu benennen. Redeten über Themen denen nur jetzt, an diesem Abend ihre Aufmerksamkeit nicht wirklich gehörte.
"Ich fahre jetzt," sagte er gegen zwei Uhr nachts und nachdem Moni schon mehrmals einen die beiden zu ihren Aufbruch auffordernden Blick in den kleinen Veranstaltungsraum geworfen hatte.
"Ich will dich nach Hause bringen," fügte er zu.
"Ich will nicht nach Hause. Nicht heute nacht. Nicht jetzt.,"
"Komm' mit mir," bat er. Flüsterte, war verstört über das eben gesagte. Sie schüttelte den Kopf, senkte ihren Blick.
"Ich kann nicht, bin nicht gut für solche dinge. Ich kenne dich kaum, brauche noch etwas Zeit."
Er nahm ihre Hand. Diese war heiß, feucht.
"Ich habe ein Gästebett."
"Ich kann in einem eigenen Bett schlafen?"
"Wenn du es so willst, ja."
Fast neunzig Minuten dauerte die gemeinsame Autofahrt. Fast neunzig Minuten hielt sie ihre Augen geschlossen, sah ihn nur hin und wieder kurz an. Kein Wort wurde in dieser Zeit gewechselt. Auch seinem Verlangen ihre Hand zu berühren gab er nicht nach.
Er hatte das Gästebett im Wohnzimmer für die Nacht gerichtet und sie standen einander gegenüber. Seine Hände auf ihren Schultern zog er sie sanft an sich, barg sein Gesicht in ihrem Haar, roch darin den zarten Duft von Jasmin. Sie hob ihre Gesicht dem seinen zu und er verbarg ihre bebenden Lippen unter seinem Mund, fühlte nun den Druck ihrer Hände auf seinem Rücken.
"Komm' mit," seine Stimme bebte.
Im Schlafzimmer, vor dem Bett stehend, bat sie:
"Lösch' das Licht."
Die schmale Sichel des Mondes war durch die Scheibe des Fensters zu sehen, sandte schwaches, weißes Licht in den Raum, beleuchtete ihren nackten Körper.
Sie lag neben ihm. Er erforschte ihren Körper, fand weiche runde Hügel, eine moosige Stelle, ein feuchtes Tal. Trank neuen jungen Wein aus einer heißen Quelle und pochte mit seinem Stab an die Pforte eines Tempels.
"Bitte nicht. Noch nicht. Nur, noch nicht," bat sie.
Sie lagen Seite an Seite, aneinander geschmiegt, zarter Jasmin duft umhüllte Beide als sie schliefen. Als sie sich am nächsten Tag trennten, er dem abfahrenden Zug nachsah der Rita in die Stadt zurück brachte, wusste er: es war noch nicht.
Nur, noch nicht.

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