„Fertig.“ verkündete der Lehrling wortkarg und schaltete den Föhn aus. Silke öffnete ergeben die Augen. Im Spiegel sah sie eine vollkommen andere Frau. Modisch, frech aber nicht aufdringlich war die Kurzhaarfrisur in Form geföhnt, die farbigen Strähnen an den Schläfen und im Nacken setzten dezente Akzente.
„Wenn sie mich fragen: das passt zu ihnen. Steht ihnen wirklich gut.“ mümmelte Silvia und stolzierte mit dem Handspiegel um ihre verblüffte Kundin herum. Silke musste ihr uneingeschränkt zustimmen. Die neue Frisur ließ sie fünf Jahre jünger aussehen - mindestens. Silke bedankte sich freundlich bei dem Mädchen und gewährte ihm ein großzügiges Trinkgeld.
Voller Überschwang eilte sie auf die Straße, wo ein Polizist gerade um ihren falsch geparkten Wagen herumging. Auf die Wirkung ihrer neugewonnen Jugend setzend, bezirzte sie den Beamten und stellte ihm die Frage, ob er ihr wirklich den zehnten Hochzeitstag mit einem Knöllchen vergällen wolle. Der vor diese schwere Gewissensfrage gestellte Hüter der öffentlichen Ordnung drückte „ausnahmsweise“ beide Augen zu und wünschte ihr noch einen schönen Tag. Silke hatte es jetzt eilig, nach Hause zu kommen. Die Frage, was sie heute Abend anziehen sollte, stand noch ungelöst im Raum. Kaum in der Wohnung angekommen, schleuderte sie die Schuhe von den Füßen und durchstöberte ihren Kleiderschrank. Was war das passende Outfit für ein so ungewöhnliches Event, wie sie es organisiert hatte? Betont festlich war unpassend (der Theaterbesuch fiel ja aus), aber allzu leger mochte sie auch nicht aus dem Haus gehen. Sie entschied sich für das rote, nicht ganz knielange Strickkleid mit den schmuckvollen Glanzfäden und dem üppigen Rüschenbesatz, das sie im Herbst in Erwartung eines zeitigen Frühlings gekauft hatte. Sein femininer, sehr körperbetonter Schnitt und der tiefe V-Ausschnitt würden ihre Wirkung auf Oliver gewiss nicht verfehlen. Dazu wählte sie den gewagtesten push-up-BH, den sie in der Sammlung hatte, glänzende Strümpfe und hochhackige Pumps. Damit, dachte sie, dürfte sie dem Anlass angemessen ausstaffiert sein.
Silke blickte auf die Uhr. Gleich fünf. Oliver würde heute sicher etwas früher kommen. Sie sprang rasch unter die Dusche, wobei sie peinlich auf den Erhalt ihrer neuen Frisur achtete, schlang ein Badetuch um ihren Körper und eilte zurück in das Schlafzimmer. Ein Liedchen trällernd schlüpfte sie in Unterwäsche und Kleid. Sich von allen Seiten im Spiegel betrachtend fand sie, sie sei doch noch ein ganz flotter Feger. Das Kleid umschmeichelte ihre Figur, die Frisur war ebenfalls ein Hingucker und ihre Beine waren zweifellos vorzeigbar. Zufrieden stöckelte sie zurück ins Badezimmer, zog die Schuhe aus und widmete sich dem Make up. Nachdem Wimperntusche, Lidschatten und Rouge aufgetragen waren, probierte sie den Lippenstift aus, zu dem ihr Tina geraten hatte. Sie öffnete ein wenig ihre glänzenden Lippen, ließ die makellos weißen Zähne durchschimmern und sah mit halb geschlossenen Lidern in den Spiegel. Oliver, jetzt kannst du kommen!
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