Rot

Vier Farben

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Rote Fingernägel, Lippen, Pumps oder Heels. Muss man mehr schreiben, um eine gewisse Wirkung zu erzielen? Keine andere Farbe bewirkt mehr in uns als diese. Sie ist ein Leuchtfeuer, reizt uns, ist zugleich eine Warnung, kann Gefahr bedeuten, manchmal beides zugleich.
Mir war das noch nicht klar, als ich Mara kennenlernte, oder besser gesagt, das erste Mal sah. Alles an ihr schien die reinste Erotik zu sein, und sie hatte die Angewohnheit, es auch entsprechend zu präsentieren.
Mara war eine junge Frau von Welt, wusste, was sie wollte und das kompromisslos. Wer in ihre Fänge geriet, wurde wenig später als kläglicher Haufen Müll wieder ausgeworfen, fühlte sich wie ein verdautes Stück irgendwas, was in der Schüssel landete und heruntergespült wurde.
Was Mara am Leben hielt, war Geld. Nichts anders interessierte sie und bei ihr war es nur eine Frage der Bezahlung, damit aus einem Nein ein Ja wurde. Der Geruch des Geldes ließ sie dahinschmelzen, und wenn es nicht offensichtlich war, dann konnte sie es wittern wie ein Bluthund.
Ich war mir sicher, dass sie einen Millionär am Geruch erkannte, selbst wenn er zuvor einen alten, zerrissenen Blaumann angezogen und damit in Jauche gebadet hatte. Sie konnte das Aroma von Erfolg und Reichtum riechen. Entsprechend richtete sie ihre Nase aus, war stetig dabei die saftigste Frucht, die süßeste Blume, in ihrem Dunstkreis zu erkennen.
Mir erging es ähnlich, konnte mich ihrer Faszination nicht entziehen. Dabei war sie nicht einmal eine klassische Schönheit in dem Sinne. Es war vor allem ihre Art, die einen glauben ließ, dass sie etwas besonders war, eine Frau, die es sonst kein zweites Mal auf der Erde gab. Sie zu haben, ihre Aufmerksamkeit zu erringen, war wie der höchste Preis, die Goldmedaille, die man erringen konnte. Entsprechend schwer war es, an Mara heranzukommen. Wer nichts hatte, war chancenlos, selbst als Spielzeug taugte er nicht. Selbst die Vermögenden unter den Männern hatten Schwierigkeiten damit, in ihren engeren Dunstkreis zu kommen. Wenn es dann doch einer schaffte, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, hatte er sie nie alleine für sich. Ihr Tross war immer um sie herum und lauerte auf die Chance seinen Platz einzunehmen.
Genau in diesem Szenario kam ich ins Spiel. Ich hätte nie die Voraussetzung gehabt, auch nur ein Wort mit ihr zu wechseln, geschweige denn sie kennenzulernen. Auch wusste ich bis zu jenem Tag nicht einmal, dass sie existierte. Sie kam sozusagen mit einem Knall in mein Leben, den ich nicht vorhergesehen hatte.
An jenem Tage, es war ein Wochenende, fuhr ich mit meinem alten Mini herum, ohne ein Ziel zu haben. Ich mochte es einfach übers Land zu eiern, die Dörfer zu betrachten, die auf meinem Weg lagen, ohne daran denken zu müssen, wohin mich mein Weg führte. In der Woche, wenn ich arbeitete, brauchte ich mein Auto nicht, konnte zu Fuß meinen Arbeitsplatz erreichen, für meine normalen Einkäufe, konnte ich zu Fuß laufen. Somit war mein kleines Vehikel eher ein Luxus, den ich mir leistete. Sinn machte es selten. Daher fuhr ich wenigstens am Wochenende ein wenige herum, um ihm einen Zweck zu geben, mir die Notwendigkeit vor meine Augen zu führen, dass ich es doch brauchte.
Irgendwann wollte ich zurück nach Hause fahren, fuhr dafür Richtung Autobahn und war darüber erleichtert, dass wenig los war. Entsprechend entspannt konnte ich fahren, hatte es nicht eilig. Im Gegensatz zu mir konnte ich bald im Rückspiegel etwas Flaches, Rotes erkennen, das sich mit hoher Geschwindigkeit näherte. Mir war es egal, die Autobahn war frei, und wenn Menschen meinten, ein Begräbnis der Tachonadel zu veranstalten, sollten sie es tun. Wozu hatte man ein Fahrzeug, dass einem Blitz Konkurrenz machte. Für mich war das nichts, ich hatte es nicht eilig, fuhr überpünktlich los, wenn ich einen Termin hatte.
Es dauerte wenige Sekunden, bis das feuerrote Ding besser sichtbar wurde, und mir war klar, dass auf der Motorhaube sich ein aufgebäumtes, schwarzes Pferd mit gelbem Hintergrund befand. Ich mochte diese Autos, hatten eine schöne Form, waren schnell. Dafür hatten es keinen wirklichen Zweck, waren unbequem, laut und teuer. Auf der anderen Seite, wer schon alles andere hatte, der sah sich nach Extravaganz um. Mir egal.
Neugierig sah ich in den Rückspiegel, konnte erkennen, dass ich recht hatte und zwei Sekunden später raste das Fahrzeug an mir vorbei und ich hörte den laut heulenden Motor mit seiner hohen Stimme. Ich persönlich fand den Ton nervig, mochte es lieber hubraumstark und blubbernd, wie bei einem alten Schiffsdiesel. Ansichts- und Geschmackssache.
Der Wagen war noch keine hundert Meter weit gekommen, als er plötzlich langsamer wurde, seltsame Rauchzeichen von sich gab und es knallte. Eine Säule von Wasserdampf schoss in die Höhe und Motoröl spritzte auf meine Frontscheibe.
Irgendwas war passiert und der Fahrer hatte Schwierigkeiten, das Fahrzeug unter Kontrolle zu behalten. Es schlingerte mehrmals hin und her, sodass ich befürchtete, dass es sich überschlagen könnte. Wahrscheinlich war es die flache Form, die es verhinderte. Der Fahrer schaffte es irgendwie das Auto abzubremsen, auf den Standstreifen zu fahren und dort zum Stehen zu bringen. Natürlich bremste ich sofort, lenkte meinen Wagen vor den anderen und stieg aus, wollte nachschauen, ob alles in Ordnung war, sich niemand verletzt hatte.
Ich war noch nicht am Fahrzeug angekommen, als die Fahrertür aufging und ich erkennen konnte, dass es eine Fahrerin war. Knallrote Heels erschienen, schlanke Waden folgten. Mit wackeligen Beinen schälte sich eine Frau aus dem Wagen, wie ich es selten gesehen hatte.
Alles an ihr schien businessmäßig zu sein, zugleich ein Prototyp des blonden Dummchens.
Der Minirock war auf die Schuhe abgestimmt, genauso wie die Bluse, die von einem schwarzen, breiten Gürtel in der Taille ihre Figur hervorhob. Eine große Sonnebrille, die mich an Puck die Stubenfliege erinnerte, verdeckte einen großen Teil ihres Gesichts.
„Verdammt!“, hörte ich, als ich fast bei ihr war und sie hob eine Hand, sah sich anscheinend ihre Fingernägel an.
„Warum passiert mir das immer, jetzt muss ich schon wieder meine Nägel machen lassen!“
Solche Sorgen hätte ich auch gerne gehabt. Sie hatte gerade einen Wagen geschrottet, der dem Wert eines Hauses entsprach und das Einzige was sie interessierte, waren ihre Fingernägel.
„Entschuldigen sie, geht es ihnen gut?“, erkundigte ich mich bei ihr, als ich bei ihr ankam und sie sah mich für einen Moment abschätzig an, verzog ihre Mundwinkel nach unten.
„Das sehe sie doch. Mein Fingernagel ist abgebrochen, meine Frisur durcheinander. Wie soll es mir also gehen, was denken sie denn wohl? Schrecklich natürlich. Ich verpasse einen wichtigen Termin bei meinem Fitnesstrainer!“
Ich schüttelte meinen Kopf, sah mir den Wagen von der Nähe aus an und konnte erkennen, wie ein Gemisch von Wasser und Öl auf die Straße tropfte und zäh in Richtung Leitplanke lief. Danach lief ich einmal um den Wagen herum und konnte die Typenbezeichnung sehen, von der ich nie etwas gehört hatte.
812GTS. Dabei fand ich es schon merkwürdig, dass dieser Bolide ein Cabrio war.
„Schöner Wagen!“, sagte ich mehr zu mir, als zu ihr, doch sie hatte es gehört, drehte sich zu mir um und zuckte mit der Schulter.
„Keine Ahnung, gehört einem Bekannten. Er hat ihn mir geliehen!“, antwortete sie und in ihrer Stimme war gut zu erkennen, dass es sie nicht weiter interessierte.
„Das wird ihm nicht gefallen. Haben sie denn nichts bemerkt?“
Sie schien einen Moment nachzudenken.
„Doch, eine kleine rote Lampe mit so einer seltsamen Kanne drauf. Ich bin extra schnell gefahren, um ans Ziel zu kommen, damit es nicht lange leuchten muss!“
Jetzt war mir klar, dass sie nicht alle Latten am Zaun hatte. Zumindest was Autos anging. Ich verkniff mir einen Kommentar.
„Ich denke, sie sollten einen Abschleppwagen holen. Der wird nicht mehr fahren!“
„Und wie komme ich dann zu meinem Termin? Mal davon abgesehen weiß ich die Nummer nicht!“
Um es einfacher zu machen, zog ich mein Handy aus meiner Tasche, wählte eine bekannte Nummer und wir warteten, ohne ein Wort zu wechseln auf den Abschleppwagen.
Warum ich überhaupt dort blieb, war mir nicht ganz klar. Sie schien in Ordnung zu sein, es war kein Unfall in dem Sinne passiert, keine sichtbare Verletzung musste versorgt werden. Trotzdem blieb ich, als wenn ich vermutete, dass es sinnvoll sein könnte.
Wenig später kam der gelbe Engel, hatte mehr Augen für den Wagen als für die Frau. Er war traurig, als er den Zustand sah, ergab sich in Lobeshymnen über die technischen Details, schien in seinem Element zu sein. Ich war mir sicher, wenn es seiner gewesen wäre, sie wären zusammen ins Bett gegangen.
„Und wie komme ich jetzt zu meinem Trainer?“, fragte sei plötzlich, als ihr auffiel, dass sie keinen fahrbaren Untersatz hatte. Der Fahrer des Abschleppwagens erklärte ihr, dass er sie maximal bis zur Werkstatt mitnehmen könnte. Doch als die Frau in das Führerhaus sah, bemerkte, dass dort mehr Motoröl auf den Sitzen war, als zuletzt in ihrem Fahrzeug und verzog ein fürchterliches Gesicht.
„Sind sie übergeschnappt? In so eine Dreckskiste steige ich doch nicht ein, das versaut mir doch mein Outfit!“
Dem Fahrer schien es egal zu sein. Er stieg wortlos ein und fuhr davon. Jetzt standen wir beide alleine auf dem Haltestreifen. Sie sah mich kurz an und atmete tief durch.
„Sagen sie mal, sie fahren doch vielleicht in die Richtung, in die ich muss oder?“, sagte sie und es ging mir wie ein Stromschlag durch den Körper. Sie hatte einen vollkommen anderen Ton in ihrer Stimme als zuvor, ruhiger und säuselnd, der mein Gehirn in eine breiige Masse verwandelte.
„Wohin müssen sie denn?“, fragte ich und musste dabei alle Kraft meiner Gedanken zusammennehmen, um nicht sofort zuzusagen.
Sie sagte mir die Adresse, und mir wurde sofort klar, dass es überhaupt nicht auf meinem Weg lag. Trotzdem sagte ich zu, ich fühlte mich dafür verantwortlich, sie an diesem Ort sicher abzuliefern.
Es wurde eine kleine Horrortour, um es genau zu sagen. Nichts an meinem Auto schien sie gut zu finden. Zu klein, langsam und unbequem. Sagte jemand, der gerade noch in einem Sportwagen gesessen hatte. Gut, Luxus war es nicht, aber man kam von einem Ort zum anderen. Das hatte ihr Fahrzeug nicht geschafft.
Irgendwann kamen wir an der Adresse an und sie stieg nicht gleich aus. Ich erwartete zumindest ein Dankeschön, sonst nichts, damit wäre ich zufrieden gewesen, doch das kam nicht. Stattdessen sah sie mich kurz an, krame in ihrer Handtasche, die sie mitgenommen hatte, und holte einen Lippenstift heraus, zog damit die Linien nach.
„Es wird nicht lange dauern. Danach fahren sie mich nach Hause!“
Ich war baff und verwundert. Sie machte zuerst mein Auto schlecht, missachtete jede Art von Höflichkeit, von Dank war keine Rede und sie brachte es fertig, ohne mit der Wimper zu zucken, diese Unverfrorenheit zu äußern. Dabei wartete sie nicht einmal auf meine Antwort. Stattdessen forderte sie mich dazu auf, ihr die Tür zu öffnen.
Jetzt platzte mir der Kragen.
„Das könne sie selber und nach Hause kommen sie sicher auch alleine. Ich habe keine Zeit dafür, mich um sie zu kümmern!“, warf ich ihr vor die Füße und sie schien davon nicht besonders beeindruckt zu sein. Stattdessen säuselte sie mir erneut in die Ohren, und ich fühlte mich wie in Watte gepackt. Sie beugte sich langsam vor und kam mit ihren knallroten Lippen dicht an mein Ohr heran.
„Dabei hatte ich vor, mich noch herzlich bei ihnen zu bedanken. Zuhause!“, sagte sie, wobei sie das letzte Wort deutlich hervorhob.
Ich schluckte, die wildesten Fantasien machten sich in mir breit. Dieses Angebot anzunehmen war Pflicht. Alleine die unbestimmte Aussicht ließ meinen Körper anspannen.
Wie von selbst stieg ich aus, öffnete ihr wie gewünscht die Tür und sah ihr dabei zu, wie sie in das Haus ging, vor dem ich parkte. Danach setzte ich mich zurück in den Wagen und wartete.
Was immer bei ihr „nicht lange“ bedeutete, es war eine andere Dimension als bei mir.
Es dauerte über zwei Stunden, bis sie zurückkam und sich, wie selbstverständlich neben mich setzte.
„Wir können los, geben sie Gas, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!“, wies sie mich harsch an, und ich startet den Motor, fuhr der neu angegebenen Adresse entgegen.
Schnell wie möglich trafen wir dort ein und ich parkte vor einem großen Haus, eher einer Villa. Ein prächtiges Gebäude, das sicher ein Vermögen gekostet hatte. Wir stiegen aus und sie forderte mich dazu auf, mitzukommen. Nichts hätte ich lieber getan, achtete dabei weniger auf das Haus als auf sie.
Alles an ihr schien perfekt zu sein, genauso wie ich mir eine Traumfrau vorgestellt hatte und je länger ich mit ihr zusammen war, umso mehr war ich davon überzeugt.

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