Das Rote Kerbchen

Rotkerbchens Abenteuer - Teil 1

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Das Rote Kerbchen

Das Rote Kerbchen

Peter Hu

Es war einmal, vor so langer Zeit, dass es schon fast nicht mehr wahr ist, ein ziemlich hübsches Mädchen, das Rotkerbchen geheißen wart. Der böse Wolf hatte seine Großmutter gefressen. Aber Rotkerbchen war ihm nicht besonders böse darum. Denn längst nicht alle Großmütter sind ja so lieb und nett, wie wir das immer nur zu gerne glauben möchten.

Rotkerbchens Großmutter jedenfalls, war ein richtiges Rabenaas, wie es noch nicht mal im Märchenbuche steht. Nur böse alte Hexen, kommen bei dieser Betrachtung (fälschlicherweise) noch schlimmer weg.

Oma Rotkerb jedenfalls, war streng fundamentalistisch, ...und unfehlbar in ihrem Eifer. Der alte Drache also, stand mit den Schwarzröcken auf „Du und Du“, und die Fahrkarte ins Paradies war auch schon so gut wie abbezahlt. Es fehlte nur noch ein winziges Quentchen „Halleluja“, bis der „ewige Schaffner“ sein O.K. für die reibungslose Reise ins unendliche Mannaland geben würde.

Als Rotkerbchens liebe Mama, die einen recht fröhlichen Lebenswandel pflegte, dereinst an einer mysteriösen Geschlechtskrankheit starb, weigerte sich die böse Alte sogar, der „verdorbenen Tochter“ das letzte Geleit zu geben.

Da wir uns in einem recht vorurteilsbeladenen Märchen befinden, war das arme, unschuldige Enkelkind natürlich fortan Ziel all ihrer ungerechten Gemeinheiten.

Und über eine stattliche Sammlung von ungerechten Gemeinheiten, verfügen solche alten, griesgrämigen Weiber wie Oma Kerb selbstverständlich im Überfluss. Kein Wunder also, dass ihr Wonnebrunnen schon seit Jahren trocken lag, und der geduldige Gatte, Hals über Kopf davongelaufen war.

Rotkerbchen hatte also nichts mehr zu lachen. Es musste den ganzen, lieben, langen Tag über hart arbeiten, und im Schweiße seines schönen Angesichts, Großmamas weißes Brot verdienen. Es durfte niemals seine Freunde mit nachhause bringen, und einmal, als Rotkerbchen unvorsichtig beim onanieren war, verdarb die hässliche Alte unserer Ärmsten gar das beste Stück, mit einem Strauß von feurigen Nesseln.

„Schließlich waren natürliche Triebe ja schlimme Sünden, die ausgetrieben gehörten.“

Seither trug Rotkerbchen seinen recht exzentrischen Namen. Denn die selige Mama hatte sie eigentlich einst auf den Namen Evangeline getauft.

Doch was die böse Großmutter nicht ahnen konnte:

Die Feen des Waldes hielten ihre schützende Hand über das Mädchen. Und da auch die Brennnessel ein Wesen der Natur ist, ließ sie sich nicht von der bösen Großmutter dazu missbrauchen, Rotkerbchens Freuden zu zerstören.

Zwar hatte sie Evangelins Kerbchen recht scharf gezwickt (sie hat auch recht herzerweichend gequiekt, das könnt ihr mir glauben), Doch dieser erste Schock bewirkte am Ende nur das Gegenteil. Denn seither war Rotkerbchen so empfindlich an jener Stelle, dass schon ein leiser Windhauch genügte, ihre verführerischen Säfte heraufzubeschwören. Und dabei verströmte sie einen solch lieblichen Duft, dass die Burschen des Dorfes, wie liebeskranke Wölfe, gleich rudelweise unter ihrem vergitterten Fenster heulten.

Einzig zur harten Feldarbeit, durfte die Ärmste jetzt noch das Kämmerlein verlassen. Und selbstverständlich gab es auch zum Kirchgang frei, den sie unter den strengen Augen der garstigen Großmutter zu absolvieren hatte.

Doch Rotkerbchen wäre lieber zuhause geblieben. Denn der Pfaffe seiberte nur das ewige alte Lied von Schuld und Verdammnis. Unsere Heldin betete aber lieber zum Geist der seligen Mama, und zu einigen verbotenen Naturgöttern. Denn was konnte das nur für ein grausamer Götze sein, der da die leibliche Lust so krankhaft vergällte? Welcher Schöpfer, der seine sieben Sinne beisammen hatte, konnte schon ein Leben in freudloser Demut fordern?

Rotkerbchen hatte also nichts zu beichten. Denn nach ihrem unschuldigen Verständnis, tat sie niemals etwas böses. Sie hatte noch nie gestohlen, und weder Mensch noch Tier etwas zuleide getan. Was war schon dabei, dass sie ihre kitzelnde Feige ab und an etwas entspannte?

Doch Großmutter kannte kein Erbarmen. Rotkerbchen war gerade siebzehn Jahre alt, da sollte sie auch schon ins finstere Kloster gesteckt werden. Denn Omas strenge Hand erlahmte, und die frommen Schwestern verstünden sich ohnehin besser auf strenge Mädchenzucht.

Da weinte das Rotkerbchen gar bitterlich. Schon hier war ihre Kammer kalt und karg. An dünne Suppe und steinhartes Brot war sie bereits gewöhnt, genau wie an vergitterte Fenster.

Doch wenn sie herausschaute, konnte sie wenigstens hübsche Burschen sehen. Und die verleiteten sie zum träumen.

Geiß, keusch waren diese Träume nicht; aber doch voller Liebe, sowie einer gehörigen Portion Leidenschaft.

Im Kloster wurde ja auch sehr viel von Liebe und Hingabe geredet. Doch dass diese Art von Liebe nicht nach Rotkerbchens Verständnis war, das wusste sie noch aus den Erzählungen der Mama. Denn die war einst über die Mauer einer solchen Anstalt geklettert, und unter abenteuerlichen Umständen in die weite Welt geflohen...

...„Aber mein liebes Kind, was weinst du denn solch bittere Tränen?“ ...zwitscherte da plötzlich eine kleine Schwalbe auf dem  Fenstersims.

„So lange du Freunde hast, gibt es kein Leid, das nicht zu lindern wäre. Wir haben schließlich nicht vergessen, dass du in jenen kalten Wintertagen dein karges Brot mit uns geteilt hast. Und wir kennen natürlich auch größere Tiere, die uns gewogen sind.“

„Wir kennen zum Beispiel einen großen, schwarzen Wolf, dem wir hin und wieder die Flöhe aus dem Pelz picken. Die Menschen nennen ihn den „Bösen Wolf“, nur weil er manchmal alte, hässliche Großmütter frisst, die nicht schnell genug weglaufen können. Doch im Grunde seines Herzens ist er ein guter Kerl. ...Na ja, vielleicht ein bisschen exzentrisch; er zieht manchmal die Kleider alter Frauen an, singt schmutzige Lieder, und hält sich für einen verwunschenen Prinzen. Aber ansonsten ist er ein zuverlässiger Dienstleister, der schnell und sauber arbeitet“, lachte das Schwälbchen, und zeigte seine Zähne.

„Was muss ich tun, damit er mir hilft?“ ...wollte Rotkerbchen begeistert wissen.

Die Zeit drängte. Morgen schon, sollte nämlich der örtliche Pfaffe kommen, um sie zu holen.

„Hat der Wolf noch Termine frei? Wird er es bis zum Morgengrauen schaffen?“

„Ich werde ihm natürlich alles geben, was er von mir verlangt. Um keinen Preis der Welt, will ich in diese finstere Nonnenanstalt. Ich habe noch das ganze Leben vor mir“...

„Keine Angst, der böse Wolf ist ein Profi“, zwitscherte die Schwalbe.

„Doch sein Preis ist hoch. Du wirst nicht umhin kommen, ihn zu küssen. Und er hat wirklich schlimmen Mundgeruch. Darüber verlangt er gewiss noch vieles mehr, was ein anständiges Schwälbchen nicht über den Schnabel bringt.“

...„Egal“, stöhnte Rotkerbchen gedankenverloren. Denn ihre schmutzige Phantasie machte sich schon selbständig.

„Fliege nur gleich los, und bestell ihn her. Es gilt keine Zeit mehr zu verlieren. ...Ich zahle ihm gerne jeden Preis“, ...hechelte die Phantasiebegabte, und rutschte ganz aufgeregt über der verschnörkelten Stuhllehne hin und her...

...Der böse Wolf war schnell wie der Wind. Denn seine Auftragsbücher waren augenblicklich ziemlich leer, und er hatte entsprechend wenig im Magen. Auch hoffte er noch wage darauf, dass ihn das Mädchen zum Prinzen küssen könnte (jedenfalls früher oder später). Es war schon ein ziemlich böser Fluch, der da auf ihm lastete. In Wahrheit haßte er es nämlich, die Kleider alter Frauen zu tragen...

Schon in der selben Nacht klopfte es an der Tür der garstigen Großmutter. Griesgrämig legte sie die weilige Schrift beiseite, und griff zur leidlich herunter gebrannten Talgkerze.

Als Oma durch den Türspion spähte, beschlug ihr augenblicklich das runde Brillenglas. Denn es war so schweinekalt, dass die gefrorenen Gänse vom Himmel fielen.

Draußen stand nur ein altes Mütterchen, das bibbernd um Einlass flehte.

„Der Pfarrer schickt mich, ...ich bin seine neue Magd. Es gibt da eine Terminverschiebung in der „Mädchenhandelssache“, die keinen Aufschub duldet“...

...„Und woher weiß ich, dass du wirklich die neue Kirchendienerin bist? Du bist ja völlig vermummt. Du könntest auch irgend ein verkleideter Strauchdieb sein. Auch der böse Wolf soll ja der Tage in der Gegend wieder sein Unwesen treiben. Kannst du dich ausweisen Alte?“

„Es geht um Rotkerbchen, euer lästiges Enkelkind. Die Kutsche des Klosters ist früher gekommen. Sie wollen noch irgend so ein lohnendes Fürstentöchterlein mitnehmen, das sich mit einem Bürgerlichen eingelassen hat. Und wo sie gerade einmal in der Gegend sind..., aber warte, hier habe ich auch ein Dokument.“

Knisternd glitt ein Bogen frischen Pergaments unter dem Türschlitz hindurch, dass das Siegel der örtlichen Pfarre trug. Jener wächserner Klecks, zerstreute natürlich jeden bangen Zweifel...

...Der böse Wolf, war in der Tat ein Mann des meuchelnden Fachs. Er hatte nicht nur die berühmte Kreide gefressen, die schon den sieben Geißlein zum Verhängnis geworden war. Nein, bei einem kleinen "Imbiss" im Pfarrhaus, hatte er sich auch gleich mit der passenden Ausstattung versorgt.

Der Riegel glitt träge quietschend zurück... die Tür sprang auf... und der Rest war ein Kinderspiel...

...„Aber Pfarrdienerin, was hast du denn für große Augen?“ wimmerte die böse Großmutter, als sie ihren verhängnisvollen Fehler erkannt hatte.

„Ein bisschen Vorspiel muss sein“, ...dachte sich der böse Wolf. Er antwortete der Etikette genügend:

...„Damit ich dich besser sehen kann!“

„Aber Parrdienerin, was hast du denn so viele Haare auf der Brust?“ ...krächzte die Alte, um Zeit zu gewinnen.

„Solltest du gar ein verkleideter Lustmolch sein? Da will ich mir noch rasch was hübsches überziehen“...

„Frag endlich nach meinen Zähnen, ich habe nicht ewig Zeit!“ ...knurrte der böse Wolf, ...und antwortete auch sogleich mit dem berühmten Satz...

...„Übrigens, bevor ich es vergesse“, unterbrach sich der Wolf mitten im Sprung. ...„Wo ist der Schlüssel zu Rotkerbchens Kammer?“

„Den bekommst du nur über meine Leiche!“ ...jammerte die Alte, ...und verbarg hastig das Kettchen, dass um ihren faltigen Greisenhals hing.

„Das kommt ja wie aufs Stichwort. Nichts lieber als das“, lachte da der Böse Wolf spitzbübisch, sperrte den reißzahnigen Rachen auf,...

...und schon war es um das garstige Großmütterchen geschehen.

Auch die Enkelin wusste genau, wie man sich in solchen Fällen zu verhalten hatte:

...„Aber Großmutter, was hast du denn für eine lange Zunge?“ ...gurrte Rotkerbchen selig lächelnd, als es mit ausgebreiteten Beinen auf dem weichen Federbett der Alten kniete. Und diese langen, schlanken Stelzen waren wirklich eine Augenweide; selbst für einen „Bösen Wolf.“

...„Damit ich dich besser schlecken kann“, ...lachte der Wolf (überhaupt nicht böse), und ließ auch schon den langen Lecker wedeln. Rotkerbchen quiekte vor Vergnügen...

Wer an dieser Stelle ein Wunder erwartet, soll einstweilen enttäuscht werden. In dieser Nacht verwandelte sich der „Böse Wolf“ nicht in einen jungen, schönen Prinzen, was vielleicht an den allzu unkeuschen Küssen lag. Aber das hätte Rotkerbchen wahrscheinlich auch ziemlich langweilig gefunden. Sie liebte ihren Befreier nämlich genau so rau und haarig, wie ihn die Natur geschaffen hatte. Nicht auszudenken, wie sehr sie diese animalische Zunge vermisst hätte...

Im Morgengrauen jedenfalls, flohen sie gemeinsam, und ohne übertriebene Hast, in den tiefen, dunklen Märchenwald, wo sie noch viel Spaß miteinander hatten...

...Rotkerbchens Namenspatin wurde immer feuriger davon. Und der „Böse Wolf“ hatte bald weiße Strähnen im zottigen Fell. Nach drei glücklichen Jahren, starb er schließlich an völliger Erschöpfung. Aber er lächelte zufrieden, ...und ging ohne Reue.

Als er wie schlafend im Grabe lag, erinnerte er tatsächlich an einen ruhenden Prinzen. Und unserer Heldin war, als stiege ein schöner Mann (mit Krone auf dem Haupt) die Wolkenleiter zu den Ahnen empor...

‚Hatte er ihr also doch kein Märchen erzählt.‘

Traurig raffte Rotkerbchen ihre Kleider zusammen und verließ die Höhle, die so lange ihr Zuhause gewesen war. Sie war zu jung, um das Leben einer einsamen Einsiedlerin zu führen.

Ins heimatliche Dorf, wollte sie aber keinesfalls zurückkehren. So wandte sie sich den Tiefen des Waldes zu. Einem Wald, von dem man sich so viel Wunderliches erzählte. Bald schon, sollte die Trauer von ihr abfallen. Denn hier gab es wirklich viele Abenteuer zu bestehen...

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