"Saug jede Note aus mir heraus, Liebster!" sank Marias Rücken auf den Flügel und schwamm gemeinsam mit Schuberts Forellen hin und her. Seine Angel auswerfend, zog Leonardo den Champagner an Land und das Piano grätschte unter der Sektdusche leicht besoffen seine Beine. Obszön rekelte sich der Sekt auf Maria und seine Perlen tätowierten Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" auf ihren Leib. Beginnend bei den Zehen, robbte Leonardos Mund ihren Körper entlang und inhalierte die aufgeschäumte Haut ein. Er trank Marias Bauchnabel leer. Ein überlaufendes Faß ohne Boden und er klemmte sich leider, bei dem Versuch seine Hose loszuwerden, die Finger im sektiererisch verklebten Reißverschluss ein. Maria schob seinen Kopf zwischen ihre Beine und rieb sich an Leonardos Zunge. Deutlich hörte er Marias flehenden Schoß fragen:
"Spürst du die Musik auf meinen Lippen?" und in seinen Mund floss die "Frühlingssinfonie" wie einsetzendes Schmelzwasser. Der grüne Engel befreite Leonardos Taktstock aus seiner Verpackung, und er dirigierte das Stück zu Ende. Bis in das Morgengrauen schob Leonardo seine Sammlung Scheibe für Scheibe in den CD-Player hinein. Ein bedeutender Höhepunkt der klassischen Musikwelt erklang nach dem anderen. Wieder und immer wieder und jedes Meisterwerk übertönte das Vorherige. Er übernahm die Stelle des Solo-Flötisten in Vivaldis Concerto op. 10 Nr. 3 in D-Dur und peitschend trieb er Maria durch Aram Chatschaturjans "Säbeltanz". Bei Wagner bockte der Flügel und abgeworfen beendeten sie den Walkürenritt unter dem Piano. Die auf der Scheibe Brot verbliebenen Schimmelpilze saßen unverdaut in Leonardos Magen und infolge der heftigen Bewegungen erregt, stiegen sie in die Blutbahn ein. Mit dieser fuhren sie bis in Leonardos Kopf und begannen unter dem Eindruck der Musik, seine Nervenstränge auf das Sensibelste zu verknüpfen. Die Schimmelpilze woben aus seinen Synapsen ein neues und hochkompliziertes neuronales Netz. So wie es Genies nach zwanzig Jahren harten Trainings zu eigen ist. Im beginnenden Schlußchor Beethovens 9. Sinfonie schlug Maria staccatoartig mit den Füßen den Staub aus dem Teppich und schrie: "Ich kann nicht mehr, sonst sterbe ich! Oh, mein Gott, ich sterbe!"
Leonardos Kraft reichte noch für die letzten Takte, und im aufbäumenden Finale knallte sein Kopf mit voller Wucht gegen das Piano. Bewußtlos brach er unter dem guten Stück auf Maria zusammen.
Die Schimmelpilze klatschten sich in die Hände und riefen: "Geschafft!" Natürlich sagten sie das in einer der zahllosen Sprachen des indischen Urwaldes. Alarmierte Agenten der Immunabwehr legten ihnen unbarmherzig die Handschellen an und führten sie ab. Leonardo erwachte. Seine Hand ertastete eine Beule, während er mit seinem großen Zeh auf die Unterseite des Flügels einen mehrstimmigen Satzgesang schrieb. Einfach nur so. Einfach nur so und fehlerfrei. Fehlerfrei und genial. "Whow!" sagte er und bezog die nächtliche Maria mit ein. Er drehte seinen Kopf zur Seite und sah in Marias verrutschtes Gesicht. Eingefroren hockten die Pupillen in ihren verglühten Augen, und Leonardo begriff, was zu begreifen er sich weigerte.
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