Das Schimmelpilz-Sex-Genie

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Das Schimmelpilz-Sex-Genie

Das Schimmelpilz-Sex-Genie

Charles Haiku

1. einen notdürftig reparierten Fahradschlauch seines Rennrades wieder, welches ihm leider vor kurzem gestohlen worden war;
2. entdeckte er das Grabmal der unbekannten Geliebten in einer alten Keksdose. In der blechernen Herberge lagerte ein dutzend Leichen ein. Zwölf mumifizierte Abschiedsbriefe gewisser Gott-weiß-wer-sie-alle-waren und in dem kürzesten Brief legte ihm eine auf vier engbeschriebenen Schreibmaschinenseiten logisch dar, warum sie ihn haßt, warum er sich haßt, warum sie miteinander fertig waren und warum sie nichts mehr von ihm wollte, warum er sich nicht meldet und daß sie von ihm eine Antwort erwartete;
3. meldete sich eine lange und schmerzlich vermißte nagelneue Unterhose zurück,
Und 4. stöberte er das Werksverzeichnis all seiner Kompositionen auf. Korrekterweise muß erwähnt werden, daß sein Oeuvre nur aus dieser Liste bestand, denn die Kompositionen warteten noch darauf, von ihm niedergeschrieben zu werden. Der letzte Eintrag in seinem Werksverzeichnis war ein Vierteljahr alt und lautete in gewissenhaft notierten Druckbuchstaben "Rhapsodie in grünem Moll".
Leonardos Fingerspitzen ertasteten einen Zettel, der mit einer Büroklammer an sein Verzeichnis geheftet war und dessen Existenz sein Kopf vergeblich zu leugnen suchte. Es war eine Quittung. Nein, weniger eine Quittung, mehr eine Vereinbarung. Ein Vertrag. Ein Vertrag mit seiner Mafiosität, dem Paten, über die "Rhapsodie in grünem Moll". Verbunden mit einem Vorschuß, den Leonardo verlangt hatte. Ein Bohemienleben will finanziert sein. Der Abgabetermin des Auftragswerkes - Leonardo rief sich das heutige Datum in Erinnerung - war morgen. Morgen war Sonntag und Sonntag hieß morgen. Sonntag hieß Klingelgeläut, hieß Tür öffnen und Stammeln. Stammeln hieß keine Rhapsodie und verbrauchter Vorschuß. Keine Rhapsodie hieß auf die Knie gehen. Verbrauchter Vorschuß hieß "Gnade, Gnade ..." rufen. Gnade hieß reflexartiges Stirnrunzeln des Paten und Stirnrunzeln hieß das Kommando für seine beiden sonnenbebrillten Knochenbrecher.Leonardo sprang auf. Morgen ist morgen und heute ist heute. Er rannte zu seinem Flügel, meißelte mit seinen Fingern in die Tastatur eine schwarze Elfe und brach ihr versehentlich das weiße Bein ab. Nervös und umständlich leimte er die Taste wieder an. Aus dem trocknenden Kleber entwich langsam die nach Resignation riechende Feuchtigkeit. Es war zwecklos. Gewissenhaft betrachtete Leonardo seine Finger und gestand ihnen bitter sein Versagen ein. Nein, er korrigierte sich. Nicht Versagen, sondern Faulheit. "Ähm" räusperte sich Leonardos Magen und erinnerte ihn daran, daß er Hunger hatte. In die Küche zurückgekehrt, kratzte er mit einem Messer den Schimmelpilz und seine Fluchtgedanken von dem Brotstück herunter. "Nein, Flucht ist sinnlos", dachte er. "Wohin auch ohne Geld?" und schob das Brot, auf dem noch genügend Schimmelpilze hockten, in seinen Mund.
Eine recht seltene Art Schimmelpilz, den eine Gruppe missionierender Nonnen aus den Tiefen des indischen Urwaldes mitgebracht und einer reuigen Sünderin bei der Beichte vererbt hatte. Diese bedankte sich, denn sie war Stewardeß auf der Linie Bombay-Paris, bei einem Kunden mit dem Schimmelpilz. Danach tauchte der Schimmelpilz erst einmal ab, denn der Kunde wurde mit mehreren Haftbefehlen gesucht und verwischte seine Spur sehr sorgfältig. Um so überraschender tauchte der Schimmelpilz urplötzlich und genauso hinterrücks bei Leonardo wieder auf. Nun klebten die Schimmelpilze an seiner Magenwand und meditierten ein schützendes Mantra gegen die Verdauungssäfte. Leonardo schluckte den letzten Bissen hinunter und schob seine Hände in die Hosentaschen. Halt, was war das? Seine rechte Hand angelte einen zusammengefalteten Schein heraus, der klägliche Rest seines Vorschusses. Ausreichend jedoch, die Henkersnacht alkoholisiert und in Sünde zu verbringen. Er zog sich die wiedergefundene Unterhose an - sicher ist sicher -, schmiß sich in seine schwere Lederjacke und bot dem Abendwind die Stirn.

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