"Weißt du eigentlich, wie demütigend es ist, mir jedesmal die Wunden von diesen Drogendealern, Zuhältern und Glücksspielganoven zeigen zu lassen? Diesem kulturlosen Haufen, der Chopin für ein französisches Damenparfüm hält. Weißt du das? ..." und seine Hände metzelten aufgebracht die Melodie nieder. Der Pizzabäcker schüttelte den Kopf und sagte:
"Ich bin völlig unmusikalisch." "Unmusikalisch, unmusikalisch! ... Versteht mich denn keiner?" stöhnte der Pate auf und schlug seinen Kopf, den Rhythmus der Melodie ignorierend, gegen das Piano. Benommen dröhnte dessen Resonanzboden und es befürchtete, sich eine umfassende Saitenverstimmung zugezogen zu haben. Der Pate saß zusammengekrümmt auf seinem Hocker und stützte sich den Kopf mit den Fäusten. Das Klavier und der Pizzabäcker genossen gemeinsam diesen Moment der Stille.
Doch!" sagte der Pate und seine Augen füllten sich mit der wäßrigen Melancholie des Sehnsüchtigen. "Doch ...", wiederholte er und seine Stimme wurde leiser, "es gibt jemanden." Und fast flüsternd fügte er hinzu "Maria!" Und er sprach ihren Namen aus wie ein großes, schweres Flügeltor, das sich weit hinein in den Frühling öffnet. Der Pate streichelte das Klavier, begann langsam weiterzuspielen und sein inneres Auge formte Marias Gestalt.
Maria, diese perfekt durchkomponierte, ja geradezu sinfonische Dichtung. Maria, die in ihrem grünen Kleid täglich unten auf der Straße an seinem Haus vorbeilief. Nein, nicht lief, sondern schwebte, wie ein grüner Engel. Eingehüllt in eine ruhelose Streich-Quartett-Wolke, die aus ihrem Walkman duftete. Marie, die ... "Ich bin jetzt siebzig Jahre alt!" murmelte das Klavier und befand sich damit im besten Instrumentenalter.
"Ich habe in dieser Zeit alles erdenkliche erlebt. Faulheit, Achtlosigkeit, wechselnde Besitzer und ungezählte Rotweinflecke. Ich habe jeden überlebt. Zickige Schüler und bebrillte Klavierlehrerinnen mit zu tiefen Dekolletés. Ich habe klaglos die zweijährige Nachbarschaft eines Synthesizers ertragen, eines arroganten Kunststoffetwas, das seinen mickrigen Klang elektronisch verstärkte und mir täglich erzählte, wie unglaublich polyphon es sei. Aber das hier stellt alles in den Schatten. Was will ich denn vom Leben? Einen Schüler, der ordentlich übt, mich einmal die Woche entstaubt und alle paar Jahre stimmen läßt. Verlange ich denn zuviel? Muß ich mich derart malträtieren lassen. Dieser Kerl besitzt einfach kein Taktgefühl." Der Pizzabäcker hielt sich seine unmusikalischen Ohren zu. Der Körper des Paten straffte sich und er sah den Bäcker an. Dieser lächelte ängstlich und seine Hände entfernten sich schleunigst von den Ohren. Demonstrativ kratzte er sich den Hals und ordnete seine Haare. "Glück hast du! Großes Glück!" wiederholte der Pate. "Morgen, ja morgen gehe ich zu Leonardo - einem Komponisten - und ..." Der Pate beendete den Satz mit einer stolzen Kunstpause. "Anders herum." begann er von neuem. "Vor einem Vierteljahr gab ich bei Leonardo die "Rhapsodie in grünem Moll" in Auftrag. Ich kann dir sagen, die Herren Künstler sind nicht gerade billig und ohne Vorschuß krümmen die keinen Finger. Aber für Maria ... Für Maria ist mir nichts zu teuer ... Ich werde mir die Partitur geben lassen und den grünen Engel, also Maria, besuchen und dann ..." Die vergoldeten Haare des Paten jubelten und intonierten den Hochzeitsmarsch. Das Piano begehrte dagegen auf und leistete mit seinen Tasten heldenhaften Widerstand.
Das Schimmelpilz-Sex-Genie
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